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Ging den weiten Weg von der Punk-Ästhetik zur engagierten Kunst: Patti Smith, die nach langem Rückzug ins Privatleben seit 1996 wieder regelmäßig als Musikerin arbeitet.

Foto: ap/Eduardo Verdugo

STANDARD: Sie haben Ihre Kunst einmal als "Loshämmern eines blinden Bildhauers" bezeichnet. Wie darf man das verstehen?

Patti Smith: Das stammt von einem Gespräch mit Robert Mapplethorpe. Wir standen beide ganz am Anfang und waren ein Paar. Ich schrieb wie eine Besessene an meinen Gedichten, Tag und Nacht. Aber ich konnte nicht ausdrücken, was ich eigentlich sagen wollte. Ich war schon immer eine sehr körperlich arbeitende Poetin. Die Ladehemmungen machten mich krank. Der Satz beschreibt, wie ich mich damals fühlte. Da riet mir Robert, meine Gedichte live zu improvisieren und zu performen. Das habe ich dann auch getan. Es war ein erster Schritt in die öffentliche Arena. Von dort ging es schnell zur Musik. Die musste simpel sein, da wir alle keine Ahnung vom Musizieren hatten. "Gloria", "Land Of Thousand Dances", das waren alles Drei-Akkord-Nummern, einfache Gefäße für meine Improvisationen.

STANDARD: Auf Ihrem neuen Album "Banga" gehen Sie es thematisch relativ breit an. Es gibt Songs über berühmte Freunde (Johnny Depp, Anm.), den Tsunami in Japan, die Entdeckung Amerikas ...

Smith: ... italienische Renaissance-Maler und russische Poeten. Ich weiß, der Bogen reicht weit, aber schlussendlich steht alles mit allem in Zusammenhang. Wie im echten Leben. "Banga", das Titelstück, das ich mit meinen Kindern und Johnny Depp aufgenommen habe, handelt von Bulgakows Hund in dem Roman Der Meister und Margarita. Nie wurde ein Köter treuherziger geschildert als dort. Ich musste ihm einfach einen Song widmen. Banga, das Wort, hat aber auch einen energetischen Klang. So kommen die Dinge zusammen. Das Bellen, das Sie dort hören, ist übrigens von meinem Sohn Jackson. Er hat das gut gemacht.

STANDARD: Auf "Banga" ist auch ein Song in memoriam Amy Wine house enthalten. In Ihrem künstlerischen Umfeld, speziell in den Tagen des Punk, wimmelte es nur so von selbstzerstörerischen Charakteren. Sie selbst scheinen aber immun gegen die Versuchungen des Rock 'n' Roll.

Smith: Viele Menschen glauben, ich würde das Selbstzerstörerische romantisieren, nur weil ich viele Künstler kenne, die eine dementsprechende Ader haben oder hatten. Ich kann Ihnen versichern, dem ist nicht so. Es geht immer um die Arbeit, die Kunst. Amy Winehouse? Das Mädchen konnte singen! Unglaublich. Dieser Instinkt, diese Wahrhaftigkeit. Sie war so stark, dass der ganze Retrotand ihres Materials einfach abfiel, sobald sie ihre Stimme erhob.

STANDARD: Keine ungesunden Vorlieben?

Smith: Ich bin völlig frei von selbstzerstörerischen Anwandlungen. Dafür bin ich viel zu neugierig und lebenshungrig. Vielleicht hat es aber auch damit zu tun, dass ich als Kind sehr kränklich war. Meine Mutter hatte alle Hände voll zu tun, mich durchzubringen. Tuberkulose, Masern, Scharlachfieber. Als Teenager war ich froh, überhaupt noch am Leben zu sein. Das Letzte, was mich interessierte, war, mich körperlich zu ruinieren.

STANDARD: Vielen Menschen sind Sie heute eher als Malerin, Fotografin oder Autorin bekannt. Punk scheint da manchmal wie ein Relikt aus der Vergangenheit. Welchen Stellenwert hat die Musik in Ihrem Schaffen?

Smith: Früher war ich die "Queen of Punk", heute bin ich die "Grandmother of Punk". Dabei weiß doch jeder, dass das alles Beethoven erfunden hat! (lacht) Musik hat so viele Qualitäten. Da wäre zum einen der gemeinschaftliche Prozess des Schaffens, die Band, das Aufnehmen, die Touren. Alles, was ich sonst mache, mache ich ja allein. Und dann kann man mit Popmusik einfach sehr viele Menschen erreichen.

STANDARD: Ihr letztes Album mit Originalsongs war sehr politisch. Sie unterstützen u. a. auch die Occupy-Bewegung. Was kann man denn als Künstler noch bewegen?

Smith: Mein Album Tramping aus 2004 war tatsächlich sehr politisch. Ich war tief betrübt und sehr zornig auf die Bush-Regierung. Ich hatte das Gefühl, dass wir Amerikaner im Post-9/11-Klima vom Weg abgekommen sind. Kaum jemand wagte es, die Entscheidungen der Regierung infrage zu stellen. Für mich ist das aber ein Grundwert einer Demokratie. Ich habe mich zwar in der Folge in diversen Projekten engagiert. Künstlerisch habe ich mich aber wieder mit anderen Dingen beschäftigt. Ich will mich nicht in einem fort äußern. Im Übrigen: Künstler können nur anstoßen. Der wirkliche Veränderung muss von den Menschen kommen.

STANDARD: Wie soll das geschehen?

Smith: Das Einzige, was das korrupte politische System und die Corporations fürchten, ist unsere Anzahl. Wir sind Millionen von Menschen. Wenn wir es schaffen, uns hier weltweit kurzzuschließen, globale Streiks und Kampagnen zu organisieren, erst dann wird sich etwas verändern. (Christian Lehner, DER STANDARD, 25./26.8.2012)