Mehr als 25 Millionen Todesopfer starben an der Spanischen Grippe der Jahre 1918 bis 1920. Neueren Schätzungen zufolge könnten es sogar 50 Millionen gewesen sein. Darunter etwa Egon Schiele, der französische Dichter Guillaume Apollinaire und der deutsche Soziologe Max Weber - sie alle starben an dem Virus, das von Vögeln auf den Menschen übergesprungen war.

Dass die Pandemie derart viele Todesopfer forderte, lag nicht nur an der im Vergleich zu heute minderen Gesundheitsversorgung. Das Virus hatte sich eigentlich an seine Vogelwirte angepasst und löste im menschlichen Körper eine tödliche Überreaktion des Immunsystems aus. Dass der Schuss des körpereigenen Abwehrsystem nach hinten losging, ist historisch betrachtet keine Seltenheit. An der Schweinegrippe 2009 starben etwa paradoxerweise relativ junge Patienten im Alter zwischen 20 und 50 Jahren. Forscher der Vanderbilt University in Nashville fanden kürzlich heraus, warum gerade Infizierte mit einem "fitten" Immunsystem besonders gefährdet waren. Ihre Immunzellen scheiterten bei dem Versuch, die schädlichen Viren zu durchlöchern - und richteten den zerstörerischen Impuls stattdessen gegen Blutgefäße. Die Folge: Flüssigkeit drang in die Lungen der Grippekranken und löste einen Kollaps des Atemsystems aus.

Im Vergleich zum Erreger der Spanischen Grippe war jener der Schweinegrippe aber relativ harmlos, wie der US-Forscher Arnold Levine betont (s. Interview). Denn Ersterer stammt ursprünglich von Vögeln und stellte das menschliche Immunsystem anno 1918 vor noch bedeutend schwierigere Probleme. Was die Frage aufwirft: Wie viele Erbänderungen braucht es, damit sich ein Vogelvirus auch in Säugetieren vermehren kann?

Eine Antwort lieferten letztes Jahr zwei Forschergruppen: Lediglich vier Mutationen sind dazu nötig, so der Befund. Die Antwort war so erschreckend simpel, dass sich unter anderem das National Science Advisory Board for Biosecurity der USA gegen eine Publikation der Studien aussprach. Dahinter stand die Sorge, Terroristen könnten das entsprechende Wissen für die Entwicklung von Biowaffen verwenden. Mittlerweile wurden die Studien dennoch veröffentlicht. Ganz so heiß gegessen wie gekocht wird die Sache offenbar doch nicht. Unter anderem deswegen, weil die entsprechenden Versuche an Frettchen durchgeführt wurden. Und - verständlicherweise aus ethischen Gründen - nicht an Menschen. (cz, DER STANDARD, 12.9.2012)