"Über Wirkung und unerwünschte Nebenwirkungen informieren Arzt und Apotheker", dieser Stehsatz aus der Werbung ist allen Patienten geläufig. Aber wie funktioniert die Kommunikation in die andere Richtung, wenn Patient oder Patientin Arzt und Apotheker über eine Nebenwirkung informieren? Was machen Ärzte und Apotheker mit der Information? Wenn sie gesetzeskonform vorgehen, eine Meldung an die Behörde.
Arzneimittelgesetz und Pharmakovigilanzverordnung (Pharmakovigilanz: Überwachung zugelassener Arzneimittel, Anm.) verpflichten "Angehörige der Gesundheitsberufe", vermutete Nebenwirkungen an das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG) bei der AGES Medizinmarktaufsicht zu melden.
Die Meldepflicht beschränkt sich noch auf "schwerwiegende Nebenwirkungen". Das sind solche, die tödlich, im Krankenhaus oder mit einer dauerhaften Beeinträchtigung enden. 3000 bis 4000 Meldungen gehen im BASG jährlich ein. 66 Prozent davon kommen, sagt Bettina Schade, die Leiterin des Instituts für Pharmakovigilanz, von den Zulassungsinhabern. Ein Drittel der Meldungen kommt aus Spitälern, Praxen, Apotheken. Die Behörde überprüft und komplettiert die Meldungen und leitet sie an die europäische Datenbank EudraVigilance weiter.
Im neuen Arzneimittelgesetz, das noch in Arbeit ist, wird man von der Einengung auf schwerwiegende Nebenwirkungen absehen. Gemeldet werden müssen dann alle unerwünschten Wirkungen. Möglich ist die Meldung von weniger gravierenden, aber die Patienten belastenden Nebenwirkungen auch schon heute. Schade: "Diese Meldungen finden Niederschlag in den regelmäßigen Berichten der Zulassungsinhaber über die Sicherheit der Präparate. Die Firmen sind zur Annahme der Meldungen verpflichtet. Kommt eine Meldung zu uns, wird der Zulassungsinhaber verständigt."
Hoher Zeitaufwand
Die meisten Ärzte gehen gleich den direkten Weg. "Wenn eine Nebenwirkung auftritt, die nicht im Beipackzettel erwähnt wird, wende ich mich direkt an die Pharmafirma. Die schickt mir dann ein Formular zum Ausfüllen", sagt Walter Heckenthaler, Allgemeinmediziner in Maria Enzersdorf. Die Firmen setzen dann Maßnahmen "abhängig vom jeweiligen Produkt, der Häufigkeit und dem Schweregrad der Neben-wirkungsmeldungen und in Abstimmung mit den Behörden" sagt Alexandra Seidl, Sprecherin von Roche Österreich. Mögliche Maßnahmen sind: Informationen an Ärzte, Änderung der Verschreibungsempfehlung oder eine Änderung der Fachinformation.
Oft seien die Beschwerden der Patienten sehr unspezifisch, sie direkt mit der Einnahme eines bestimmten Medikaments in Verbindung zu bringen sei schwierig, beschreibt Allgemeinmediziner Heckenthaler die Mühen des Alltags. Zudem sei der Zeitaufwand, "man muss ja für jeden Fall einen mehrseitigen Bericht ausfüllen", groß und werde nicht bezahlt.
Maximilian Ledochowski, Internist in Innsbruck, teilt die Kritik: Pro Fall müsse ein Formular ausgefüllt werden, es sei nicht möglich, einen gebündelten Bericht, beispielsweise einmal jährlich, abzuliefern. "Wenn nur schwerwiegende Nebenwirkungen gemeldet werden müssen, ist dieser Aufwand vertretbar. Müssen alle Nebenwirkungen gemeldet werden, würde der Verwaltungsaufwand, bei geschätzten zehn Prozent aller verschriebenen Medikamente unzumutbar werden." Ärzte würden dann gleich gar nicht mehr nach Nebenwirkungen fragen, befürchtet der Internist.
Wollen sich Patienten direkt an die Behörde wenden, empfiehlt Bettina Schade, der Meldung ärztliche Unterlagen beizufügen, aus denen Details zum Fall ersichtlich sind. Beispielsweise Arztbriefe. "Alternativ kann die Adresse des behandelnden Arztes für weitere Auskünfte angegeben werden."
Apothekennotruf
Betroffene, die Neben- oder Wechselwirkungen von Medikamenten vermuten, wenden sich in den meisten Fällen an ihren Arzt oder fragen in der Apotheke nach. Häufig wird der Apothekenruf 1455 in Anspruch genommen. Diese Anrufe landen dann in der pharmazeutischen Abteilung bei Bernhard Ertl und seinen Kollegen. Ertl: "Ältere Menschen fragen nach Wechselwirkungen, jüngere erkundigen sich schon vor der Einnahme über mögliche Nebenwirkungen." In den Apotheken, wie bei der Telefonberatung wird versucht im Gespräch herauszufinden, ob es sich um eine Nebenwirkung oder eine mögliche zusätzliche Erkrankung handelt.
Die Wechselwirkungen werden über Computer abgefragt. Die Software steht allen Apotheken zur Verfügung. Unter gesundheitlichen Folgen von Medikamenten, die nicht zusammenpassen, leiden vor allem ältere Menschen. Ertl: "Über 60-Jährige müssen durchschnittlich fünf Arzneimittel nehmen. Ab fünf Medikamenten ist sicher eine Wechselwirkung dabei. 19 Prozent dieser Altersgruppe bekommen 13 verschiedene Medikamente und mehr verschrieben, da werden dann die Wechselwirkungen total unüberschaubar."
Der Computer nehme aber weder Arzt noch Apotheker das Denken ab. So sollte bereits bei der Verschreibung und beim Verkauf darauf geachtet werden, ob die gleichen Wirkstoffe unter unterschiedlichen Produktnamen verschrieben werden. Oft fänden sich Original und Generikum auf den Rezepten, kritisiert Ertl.
Dosisveränderungen
Bei unerwünschten Wirkungen müsse differenziert werden, ob diese relevant sind oder nicht. Beeinträchtigen sie den Patienten, "hilft oft schon, die Dosis zu verändern". Bernhard Ertl empfiehlt den Ärzten, die Anzahl der Medikamente so niedrig wie möglich zu halten: "Man sollte sich auf die Behandlung der wichtigsten Indikationen beschränken." (Jutta Berger, DER STANDARD, 17.9.2012)