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Foto: AP/Stephen Chernin

Während der London Fashion Week im Februar dieses Jahres führte Kanye West, millionenschwerer Rapper, Produzent und Designer, ein Schuhmodell spazieren, das in der Sneakerwelt für Schnappatmung sorgte: Der Nike Air Yeezy 2, ein nach hinten reptilartig zulaufendes Sneaker-Modell aus Leder, Nylon und Nubuk, das der US-amerikanische Sportartikelhersteller in Zusammenarbeit mit West entwickelt hatte, war schon mehr als ein Jahr zuvor zum Must-have 2012 erklärt worden - das allerdings nicht über teure Kampagnen, sondern über Social-Media-Kanäle.

Und obwohl das Geschäft mit den limitierten Sneakereditionen wahrlich nicht neu ist und den Herstellern keinen übermäßigen Gewinn verspricht, funktionierte die virale Marketingschlacht auch diesmal wieder. Für nicht infizierte Außenstehende mag der Hype um exklusive Sneakereditionen nicht nachvollziehbar sein, aber fest steht: Auch 2012 campierten im Frühsommer Horden von Konsumenten vor ausgesuchten Sneakerstores in Berlin, New York und anderswo, um den Treter für 260 Euro zu ergattern. Unter den Sneakerliebhabern oft genug clevere Wiederverkäufer, die erkannt haben, dass sich Schlangestehen lohnen kann: Heute werden die Schuhe bereits für 1600 Euro auf Ebay versteigert.

Sneakers-Hymne

Wieso der ganze Wahnwitz um ein paar Schuhe? Mitte der 80er verfasste die Hip-Hop-Gruppe Run DMC eine Hymne auf ihre Adidas-Sneakers und zog als erster Musik-Act überhaupt einen millionenschweren Werbedeal mit einem Sportartikelhersteller an Land, ein Michael Jordan machte 1985 mit seinen Air Jordans Nike, bis dahin die Sportmarke der weißen Mittelschicht, für die Black Community interessant. Überdurchschnittlich oft geben Männer, die sich der stark männlich dominierten Hip-Hop-Kultur verbunden fühlen, eine Menge Geld für ihr Schuhwerk aus. Michael Paul vom Stil-Laden im siebten Bezirk in Wien: "Die Sache mit den Sneakern hat etwas von einer Jagd: Es geht um Schuhe, die schwierig zu bekommen sind, die man aber unbedingt haben will."

Men are the new Women

Betroffen von der Sucht nach den neuesten Modellen und Farben sind Frauen selten: "Vor ein paar Jahren gab es ein Shirt mit dem Aufdruck 'Men are the new Women' - was Mode und insbesondere Sneakers angeht, ist das sicher der Fall", kommentieren Severin Rogl und David Rüb vom Wiener Sneakersgeschäft Zapateria das Phänomen des anspruchsvollen männlichen Konsumenten. Dieser legt nämlich wert auf Originalität, kauft auch einmal mehrere Exemplare eines Modells und legt, was die Pflege der Schuhe angeht, plötzlich Gewohnheiten an den Tag, die dem Klischee einer in Highheels vernarrten Fashionista gleichkommen.

Stefan Häckel zum Beispiel, Chefredakteur des Vice-Magazins und seit acht Jahren passionierter Sneakerssammler, nennt 280 Exemplare sein Eigen. Er mag ein typischer Vertreter seiner Zunft sein, wenn er sagt: "Ich putze meine Schuhe jeden Tag, bevor ich das Haus verlasse. Die Sneakers sollten dabei schon 'used' aussehen, aber frei von eingetrockneten Schmutzresten sein." Der Mann mit dem sauberen Schuhwerk hat 2008 mit der Sneakerness das Event zum Sneaker-Lifestyle von Bern nach Wien geholt.

Schwerpunkt: Bunte Farben und Neontöne

So anspruchsvoll wie die um Distinktion bemühten selbsternannten Sneakers-Connaisseure geht das Gros der Kundschaft den Turnschuhkauf in der Regel aber nicht an: "Derzeit geht es stark in die Richtung Retro-Running, 70er- und 80er-Jahre", machen Rogl und Rüb von der Zapateria grobe Trends aus. Schwerpunkt: "Bunte Farben sowie Neontöne." Die werden der weiblichen Käuferinnenschaft als buntes Bonbon auch im Wood Wood Store, der hippen Anlaufstelle für den nordischen Streetstyle, gereicht. Besonders beliebt: der Nike Air Max.

Ansonsten ist hier eher vornehme Zurückhaltung angesagt, schreiende Farben und exzentrische Schuhe à la Jeremy Scott sind Fehlanzeige. Vor allem dezente Sneakersmodelle à la New Balance stehen im Regal. Weil aber der alljährliche Aufguss der Retromodelle in neuen Farbstellungen irgendwann langweilig wird, werden aktuell wieder technische Neuerungen ins Spiel gebracht: "Schneller als schnell" verheißt beispielsweise die neue Faas-Technologie von Puma zu sein.

Luxusverwöhnte Kundschaft

Solch technisches Chichi spielt allerdings für ein Gros der Kunden gar keine Rolle, Sneakers werden vor allem als Straßenschuhe und nicht beim Sport getragen. So interessiert die luxusverwöhnte Kundschaft in der Regel auch nicht die Story hinter dem Schuh, sondern das möglichst edle Material. Kein Wunder also, dass viele Sneakers mittlerweile eher schick als sportlich, dafür aber exklusiv gefertigt daherkommen: "Heute ist ein Großteil der Sneakers auf slicke, möglichst flache und schmale Silhouetten getrimmt", weiß Florian Kampelmühler, Einkäufer für "6th Floor", die Sneakersverkaufsinsel im Steffl, die Luxus-Highend-Marken sowie ausgefallene Releases bekannter Sneakershersteller führen.

Da kann es dann auch mal herrlich absurd werden. Dort, diese Saison das teuerste Modell: "Ein Hi-Top von Lanvin aus Python - der kostet knapp 800 Euro", erklärt Kampelmühler. Auf dem Basketballfeld hat der Python-Sneaker tatsächlich nichts zu suchen, dafür wird er wohl eher zum After-Work-Cocktail in der Innenstadt ausgeführt.

Dazu passt, dass der Sneaker in der virtuellen Modewelt auf den internationalen Blogs seit spätestens 2011 ein echtes Revival erlebt: Moderedakteurinnen von Vogue und Elle tragen statt Highheels immer wieder mal Nike oder New Balance zur neuesten Designerware.

In diesem Jahr aber verdient sich vor allem das französische Inlabel Isabel Marant dumm und dämlich - und das an einem Zwitterschuh. Der Wedge Sneaker mit integriertem Absatz ist auf Ebay gegenüber dem Kanye-West-Treter allerdings fast schon wieder ein Schnäppchen. (Anne Feldkamp, Rondo, DER STANDARD, 5.10.2012)