Die Physik-Engine von BeamNG sorgt auch für realistische Unfälle.

Foto: Screenshot
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Wenn von der nächsten Videospielgeneration rund um "PlayStation 4" und "Xbox 720" die Rede ist, dann steht oft die Grafik im Vordergrund. Die realistische Berechnung des Lichts, plastische Texturen, Spiegellungen, Partikelschwärme und detailliertere Modelle werden die virtuellen Welten einen Schritt näher in Richtung Fotorealismus führen. Dabei wird leicht übersehen, dass die zusätzliche Rechenkraft moderner Prozessoren auch unter der Haube für Fortschritte sorgen werden. Zum einen liegt die Hoffnung auf einer Steigerung der künstlichen Intelligenz, die computergesteuerten Charakteren eine Portion Menschlichkeit verpassen könnte. Zum anderen sollen die naturgetreue Berechnung und die Integration von Physik Spiele näher an die Wirklichkeit heranrücken und die Bildschirmspektakel glaubhafter machen.

Crash-Test

Wie diese "glaubhafte Virtualität" aussehen könnte, veranschaulicht ein junges Start-up namens BeamNG seit Anfang des Jahres. In immer realistischer anmutenden, virtuellen Crash-Tests stellt das Team seine eigens entwickelte Physik-Engine unter Beweis. Als wäre jede Einstellung minutiös animiert, verbiegen sich Karosserien beim Aufeinanderprallen der Schwerkraft entsprechend. Achsen verziehen sich, Einzelteile lösen sich und lassen die abrupt zum Stillstand gekommenen Metallmassen hinter sich. Es sieht aus wie inszeniert, so realistisch, dass man sich die Auswirkungen für die glücklicher Weise abwesenden Fahrer nicht vorstellen möchte. Doch dabei entfaltet sich die Blechschlacht zur Gänze dynamisch.

Den Modellen Physik einhauchen

In einem Interview mit IGN erklärt BeamNG erstmals ganz offen, wie den Modellen die Physik eingehaucht wird. Während etwa aktuelle Rennspiele Fahrzeuge als festes Masse-Modell ansehen (Rigid-Body-Simulation), werden in der Physik-Engine von BeamNG die Einzelteile des Autos nicht nur mit eigenen Massewerten, sondern auch mit ihren besonderen Eigenschaften versehen (Soft-Body-Simulation). Diese Eigenschaften umfassen etwa Hydraulikwerte für Einzelteile, die sich zusammenziehen und dehnen können und Rotationskräfte, wie sie unter anderem der Motor erzeugen kann. Im Zusammenspiel sorgt die Physik-Engine dann dafür, dass so ein aus rund 50 Einzelteilen zusammengesetztes Modell sich beim Beschleunigen, Lenken, Bremsen und bei Unfällen wie ein reales Gegenstück verhält.

Sehr aufwändig

Diese so genannte Soft-Body-Simulation ist mit weitaus mehr Rechenaufwand verbunden, als die derzeit hauptsächlich in Spielen eingesetzte Rigid-Body-Simulation. Daher wird sie heutzutage vor allem in der Filmbranche und in der Industrie eingesetzt, wo sie allerdings im Gegensatz zu Videospielen nicht in Echtzeit berechnet wird.Die für Echtzeitberechnungen einsetzbare Physik-Engine von BeamNG könnte daher gleich mehrere Branchen hellhörig machen.

Viel Wissen benötigt

Doch es gibt abseits der benötigten Prozessorleistung weitere Gründe, weshalb Spielhersteller die Soft-Body-Simulation zumeist auf Details wie Gewänder oder Stoffe beschränken. Will man beispielsweise ein Fahrzeug oder ein Flugzeug korrekt simulieren, benötigt man dafür jede Menge realer Daten. Für eine perfekte Runde in "Gran Turismo" mag dies kein Problem darstellen, dafür könnten die Informationen ausreichen, die die Autohersteller den Entwicklern zur Verfügung stellen. Doch was ist mit einem Kampfjet oder einem Helikopter – hier wird die Datengewinnung schon schwerer. Aber um bei den Autos zu bleiben: Ein weiteres Problem könnte sein, dass manche Hersteller gar kein Interesse daran haben, eine reale Kollisionsphysik für ihre Fahrzeuge zu ermöglichen. Donnert man mit 300 km/h gegen die Wand oder fällt beim leichten Auffahrunfall gleich die Stoßstange ab, könnte das in der Marketingabteilung weniger gut ankommen.

Damit leben, was man hat.

Für Designer hat die bestehende Rigid-Body-Simulation auch einen nicht vernachlässigbaren Vorteil: Es erlaubt ihnen Modelle nach freiem Willen und auch abseits der Naturgesetze zu gestalten. Für einen Videospieldesigner ist es beispielsweise effizienter, nur die Fahrphysik möglichst authentisch umzusetzen, als sich Gedanken über jeden einzelnen Aspekt machen zu müssen. In der Theorie mag es aufregend klingen, die fatalen Unfälle der Wirklichkeit nachstellen zu können. Doch was bedeutet das fürs Spiel, wenn man sein Auto beim kleinsten Fehler schon in die ewigen Jagdgründe schickt? Entwickler werden mit dem Fortschritt einer einzelnen Technik daher gleich vor mehrere neue Herausforderungen gestellt. Bis zum "echten" Unfall in Videospielen ist es wohl dennoch nur noch eine Frage der Zeit. (zw, derStandard.at, 4.10.2012)