Ich habe, glaube ich, gute 20 Jahre gebraucht, bis ich der Quitte erstmals begegnet bin, und dann habe ich den Fehler begangen, einfach in sie hineinzubeißen. Das war nicht erfolgreich. Sie war, wie Quitten roh nun einmal so sind, steinhart. Ich habe geflucht, sie für völlig unreif gehalten und weggeschmissen. Mittlerweile habe ich allerdings dazugelernt.

Jetzt hat es bei den meisten selten gegessenen Früchten einen guten Grund, dass sie nicht öfter konsumiert werden. Noch nie etwa habe ich mich wirklich an einer Kumquat erfreut oder eine Sternfrucht tatsächlich genossen. Die heimischen Mispeln sind zwar sehr gut, aufgrund ihrer unproportional großen Kerne aber maximal als Snack zwischendurch geeignet (sehr unerfreulich jener Weihnachtstag, an dem ich mir eingebildet habe, fürs Dessert eine Mispelsauce durch ein Sieb zu streichen). Die Quitte aber wird zu Unrecht vernachlässigt.
Foto: Tobias Müller
Geschmacklich irgendwo zwischen Apfel, Birne, Rose und Zitrone angesiedelt, duftet sie stark und verführerisch, ihr samtiger Pelz hebt sie optisch angenehm von Allerwelts-Obst ab. Sie wächst und gedeiht an sich problemlos auch in unserem eher obstfeindlichen Klima. Dass sie nicht im Supermarkt liegt, hat nur den Grund, dass sie vergleichsweise unnahbar ist: Roh sind fast alle Sorten ungenießbar, erst gekocht weiß sie zu bezaubern.

In früheren Zeiten prominent vertreten, wurden viele ihrer Verdienste im Laufe der Jahre zu Unrecht ihrem ordinären Cousin, dem Apfel, zugeschrieben. Der goldene Apfel des Paris soll eigentlich eine Quitte gewesen sein, genauso wie die Hesperiden-Äpfel. Manch obstkundiger Bibelforscher meint sogar, dass es ursprünglich eine Quitte war, die Eva sich vom Baum pflückte. Wilhelm Busch erwähnt die Quitte in einem Gedicht ("Der Quarz sitzt tief im Bergesschacht, die Quitte stiehlt man bei der Nacht"), Max Goldt nannte ein Buch nach ihr und verfasste der Welt ersten Quittenwitz (der allerdings so schlecht ist, das er hier nicht nacherzählt wird. Wen er wirklich interessiert, der muss ihn sich selbst ergoogeln). Zudem leitet sich das Wort Marmelade von dem portugiesischen Namen der Quitte, Marmelo, ab.

Jetzt kann man die Quitte wie die alten Griechen einfach in Milch und Honig backen oder wie die Marokkaner in den/die Lamm-Tajine schnipseln. Weil das aber für diesen Blog zu wenig Arbeit ist, habe ich sie eingekocht. Dabei lassen sich aus einer Portion Quitten gleich zwei Einkoch-Produkte herstellen: Erst werden die widerspenstigen Früchte ausgekocht und aus dem Saft Gelee gekocht, das zerstampfte Fruchtfleisch wird zu Quittenbrot, spanisch Membrillo, gebacken.

Foto: Tobias Müller
Das Quittengelee ist der Emmanuelle-Film unter den Brotaufstrichen: Mit seiner fast rubinroten Farbe, die man dem blassgelbgrünen Ausgangsprodukt nie zugetraut hätte, und seinem unanständig süßlichen, an Rosen erinnernden Duft sorgt es für verführerischen Retro-Kitsch am Frühstückstisch.

Membrillo hingegen verleiht jeder Käseplatte einen herbstlich-bodenständigen und mediterranen Einschlag. Es schmeckt weniger süß und intensiv als das Gelee, hat dafür aber mehr Körper und einen natürlich-fruchtigen Charakter. Die Spanier essen es traditionell gemeinsam mit Manchego, einem recht milden Schafshartkäse. Das Gelee wiederum lässt sich nicht nur aufs Brioche schmieren, sondern harmoniert auch hervorragend auf Baguette mit gebratener Chorizo.

Foto: Tobias Müller
Weil die Quitte von sich aus sehr viel Pektin enthält, ist sie ein ideales Übungsobjekt fürs Einkochen ohne Gelierzucker. Puristen lehnen die Gelierhilfe ab, weil sie darauf bestehen, dass natürliches Pektin zu einer zarteren Konsistenz des Endprodukts führt.

Pektin ist jener Stoff, der gemeinsam mit Wasser, Zucker und Säure dafür sorgt, dass etwas geliert. Es sitzt vor allem in Schalen und Kerngehäusen – bei der Quitte in solchen Mengen, dass Quittenmarmelade, die nicht oder mit zu wenig Wasser verdünnt wird, in der Konsistenz trockenem Plastilin ähnelt. Bei anderen Früchten muss der Gelierzucker-Verächter mitunter etwa grüne Apfelschalen mitkochen, um an das nötige Pektin zu kommen.

Foto: Tobias Müller

Als Erstes werden die Quitten von ihrem sympathischen Flaum befreit, dann gewaschen, geachtelt und entkernt. Letzteres kann sich sparen, wer nur Gelee kocht; wer auch Membrillo will, der sollte umso sorgfältiger arbeiten. Obwohl manche Rezepte das empfehlen, ist es meiner Meinung nach völlig überflüssig, die Quitte zu schälen.

Die Fruchtstücke mit Wasser bedecken, zum Kochen bringen und zugedeckt etwa zwei Stunden köcheln lassen, bis die Quitten richtig weich sind.

Foto: Tobias Müller

Die Mischung in ein Sieb oder ein Tuch gießen und über Nacht abtropfen lassen. Nicht ausdrücken, sonst wird das Gelee nicht schön durchsichtig.

Foto: Tobias Müller
In je 600 Mililiter Quittensaft 500 Gramm Zucker und den Saft einer Zitrone kippen und unter Rühren zum Kochen bringen. Den Schaum, der sich bildet, abschöpfen und so lange kochen, bis es die richtige Konsistenz erreicht hat. Das merkt man einerseits an der Farbe (Dunkelrot), an der Art des Blasenwurfs (schwer zu beschreiben) und am Geliertest: einen kleinen Tropfen auf einen eiskalten Teller geben, kurz warten und dann sehen, ob das Zeug Falten wirft, wenn man mit dem Finger durchfährt. So sollte es aussehen:
Foto: Tobias Müller
Wenn es so weit ist, in Gläser abfüllen und umgedreht 24 Stunden in Ruhe stehen lassen. Wenn er nicht nachgibt, hat sich erfolgreich ein Vakuum im Glas gebildet, was die Haltbarkeit drastisch erhöht.

Für das Quittenbrot nun das Fruchtfleisch zerstampfen, pürieren oder sonstwie zerkleinern und eins zu eins mit Zucker mischen. Die Masse unter häufigem Rühren und auf nicht zu hoher Temperatur etwa drei Stunden köcheln lassen. Vorsicht: Es brennt leicht an!

Foto: Tobias Müller

Wenn das Mus fast so rot ist wie das Gelee (ganz so rot habe ich es leider nicht hinbekommen), es etwa einen Zentimeter dick auf Backpapier streichen.

Foto: Tobias Müller

Entweder bei 80 Grad zwei Stunden im Rohr backen oder über Nacht einfach stehen und trocknen lassen, dann wenden und nochmals stehen lassen.

Foto: Tobias Müller

In Stücke schneiden und mit Lorbeerblättern garniert etwa in Backpapier verpacken.

Foto: Tobias Müller

(Tobias Müller, derStandard.at, 7.10.2012)