Als Walter Mischel am vergangenen Freitag den Wittgenstein-Preis der Österreichischen Forschungsgemeinschaft verliehen bekam, schloss sich für ihn ein Kreis.

Vor 16 Jahren hatte er in einem Gespräch mit dem Standard Rückblick auf seine bisherige Karriere gehalten, es waren auch die zahlreichen Einladungen vorgekommen, die er in der Folge seiner Experimente über "delay of gratification", Belohnungsaufschub, erhalten hatte. Österreich allerdings, hatte er bemerkt, sei eines der wenigen europäischen Länder gewesen, aus denen keine Einladung an ihn ergangen sei.

Das hat sich nun, spät, aber doch, gegeben. Das Gedränge um den als Kind aus Wien Vertriebenen war groß. Sogar zum privaten Abendessen im Sacher mit seinem Freund und Kollegen von der Columbia-Universität, dem Gedächtnisforscher Eric Kandel, und mit beider Familien kamen Fans und machten ihre Aufwartung.

Der Verleihung selbst ging ein Symposium im Festsaal der Wiener Universität voraus. Ihre unterschiedlichen Ansätze spiegelten die Vielfalt und die Impulse wider, die von Mischels frühen Experimenten und von deren Fortführungen in der angewandten Psychologie und den Neurowissenschaften ausgingen.

Mit Yuichi Shoda von der Washington University in Seattle arbeitet Mischel seit Jahrzehnten zusammen, zunächst an der Formulierung einer sozialpsychologischen Persönlichkeitstheorie. In Wien sprach er über Persönlichkeit als eine Form der Informationsverarbeitung, bei der neben den kognitiven auch die lange vernachlässigten affektiven Komponenten Eingang finden.

Inge-Marie Eigsti von der Uni Connecticut referierte ebenfalls über den Information-processing-Aspekt der Persönlichkeitsentwicklung. Anhand von Schaubildern zeigte sie physiologische Veränderungen - mehr oder weniger myelinierte Regionen - im Gehirn als Begleiterscheinungen von Gedächtnisleistungen und emotionaler Reife.

Dass Selbstregulierung mit erfolgreichem Lernen zu tun hat und dass man die Theorie des Belohnungsaufschubs auf Konfliktlösungsstrategien anwenden kann: ebenfalls Hommagen an den Preisträger.

In seinem Festvortrag, "Self-Control in the Life Course", fasste Walter Mischel mehr als vier Jahrzehnte Forschung zusammen. Es ging bald nicht mehr nur um Objekte der Belohnung, sondern auch um deren kognitive Repräsentation in unterschiedlicher Attraktivität. Aus gewöhnlichen Marshmallows wurden innere Bilder derselben: Die Fähigkeit, sagte Mischel, sich den Stimulus anders vorzustellen, hat mit der Fähigkeit zum Aufschub zu tun.

Er erzählte anschließend von einem kleinen Mädchen, das die Belohnung nicht lange aufschieben konnte, wenn es sich Marshmallows auch nur vorstellte. Wenn es die Belohnung aber als Bild mit Rahmen sah, hielt es das - wie die Gruppe insgesamt auf signifikantem Niveau - länger aus. Warum, habe er gefragt. "Ein Bild kann man nicht essen", habe das Mädchen geantwortet. (mf, DER STANDARD, 10.10.2012)