Mediziner Felix Fischer kritisiert den Wildwuchs von Oktoberfesten und das Vorgehen gegen die Volksdroge Alkohol.

Foto: hermann wakolbinger

Für Sieglinde Friedl will mit ihren Comics zeigen, wie schwer es ist, über Alkoholismus zu reden - allerdings ohne erhobenen Zeigefinger.

Foto: hermann wakolbinger

DER STANDARD: 340.000 Österreicher sind alkoholkrank, weitere 760.000 trinken regelmäßig in gesundheitsgefährdenden Mengen. Alkohol ist unumstritten eine Volksdroge, trotzdem scheint das Thema Abhängigkeit noch immer ein Tabu zu sein.

Felix Fischer: Es hat sich in den vergangenen Jahrzehnten einiges getan. Heute muss man den Entscheidungsträgern sowie den meisten gebildeten Österreichern nicht mehr erklären, dass Alkoholismus keine schlechte Angewohnheit ist. Das ist ein Riesenfortschritt und hat dazu beigetragen, dass sich die Situation der tatsächlich Erkrankten verbessert hat. In Österreich steht es vollkommen außer Diskussion, dass die Behandlung von Abhängigen von den Krankenversicherungen bezahlt wird. Sie ist finanziell abgesichert, was nicht in ganz Europa selbstverständlich ist.

STANDARD: Das öffentliche Bewusstsein hat sich also geändert? Wie erklären Sie sich dann, dass sich Österreichs Jugend in der EU an die Spitze getrunken hat?

Fischer: Das ist absoluter Quatsch. Je älter die Österreicher werden, desto größer ist der Pro-Kopf-Konsum von Alkohol. Der Pro-Kopf-Konsum bei Teenagern ist seit 1970 sogar um 17 Prozent gesunken. Was aber stimmt: Das Einstiegsalter hat sich verschoben, da wir Eltern den Kindern schon früh Mittel zur Verfügung stellen, die eigentlich noch nicht in Kinderhände gehören - Handys, Geld, Zigaretten. Das heißt: Der Einstieg ins Alter des Experimentierens mit dem Erwachsensein rutscht immer mehr in Richtung zehn Jahre.

STANDARD: Das Anton-Proksch- Institut in Wien kann wegen Geldmangels keine ambulanten Therapien mehr anbieten. Wie passt es mit dem veränderten Bewusstsein zusammen, wonach Alkoholismus als Krankheit außer Streit steht?

Fischer: Dabei geht es um eine ganz eigene Fragestellung, die der ambulanten Therapien. Letztlich bieten alle Spitäler in Österreich kostenlos ambulante Behandlungen an, ohne dass sie dafür ordentlich bezahlt werden. Am Beispiel des Anton-Proksch-Instituts ist diese Situation jetzt virulent geworden. Eigentlich finanzieren alle stationären Patienten Österreichs die ambulante Nachversorgung quer, das war auch auf meiner Abteilung am Wagner-Jauregg-Spital so.

STANDARD: Sie vermissen also ein aktives Vorgehen gegen die legale Droge Alkohol vonseiten der öffentlichen Hand?

Fischer: Sicher, aber in Österreich ist das Wein- und Biermarketing aufgrund des massiven politischen Lobbyings dieser beiden Drogenindustriezweige sehr erfolgreich. 28 Prozent der Österreicher gebrauchen Alkohol schädigend oder riskant. Es ist laut WHO genau bekannt, ab wann Alkohol schädigend ist, aber es wird nicht vermarktet. Nur ein Beispiel: Österreich ist kein Land des Oktoberfestes. Aber fahren Sie jetzt mal durch die Gegend, jedes Dorf hat sein Oktoberfest. Dafür gibt es keine Ernte-Dank-Feste mehr. Und ich bin davon überzeugt, dass es Weisungen gibt, dass die Polizei bei den Festen keine Alkoholkontrollen durchführt.

Sieglinde Friedl: Den Eindruck habe auch ich. Ich bin in meinem Leben noch nie in eine Alkoholkontrolle gekommen, obwohl ich auch häufig am Wochenende nachts - Freitag vier Uhr früh etwa - mit dem Auto unterwegs bin. Was ich da alles gesehen habe, nur nie eine Kontrolle.

STANDARD: Frau Friedl, Sie zeichnen Cartoons zum Thema Alkoholismus und sagen, Sie wollen damit Tabus brechen. Darf man sich über eine Krankheit lustig machen?

Friedl: Mein erster Comic dazu ist aus einer konkreten Situation heraus nach meiner Geburtstagsfeier entstanden. Ein Bekannter hat mich nach der Feier gebeten, ihn ein Stück mit dem Auto mitzunehmen. Während der Fahrt hat er mir dann stark lallend erklärt, welche Schleichwege ich nehmen müsse, um einer Polizeikontrolle zu entgehen. Mein Bekannter hat dabei nicht bemerkt, dass ich nüchtern war. Diese Situation empfand ich derart komisch, dass ich mir dachte, die muss ich im Bild festhalten. Mit einem Cartoon kam ich nicht aus. So reihte ich mehrere aneinander. Und als ich die Comics zum ersten Mal hergezeigt habe, ist mir aufgefallen, dass dies zugleich auch eine Möglichkeit ist, ein kleines bisschen von der Tragik, dem Schweigen und dem Vertuschen zum Ausdruck zu bringen. Dies mache ich mit einer Art von Humor, die ich als Tragikomik bezeichnen würde.

STANDARD: Übers Saufen zu schmunzeln, besteht da nicht die Gefahr, dass man ein ernstes Problem wieder verharmlost?

Friedl: Ich hoffe nicht, weil ich glaube, dass sich sehr viele Leute in den Comics wiederfinden werden. Ich will nur zeigen, wie schwer es ist, "darüber" zu reden, aber ich tue es nicht mit dem moralischen Zeigefinger. Denn meiner Meinung nach ist Alkoholismus sehr wohl eines der größten Tabuthemen, mehr noch als etwa das Thema Sex. Probieren Sie einmal in ihrer Familie oder im Bekanntenkreis, offen über Alkoholprobleme zu sprechen.

STANDARD: Also ist Alkoholismus doch ein gesellschaftliches Tabu?

Fischer: Was ich eingangs meinte, ist, dass es historisch gesehen Schritt für Schritt eine Öffnung gegeben hat. Und was Frau Friedl macht, ist ein weiterer Baustein im öffentlichen Diskurs über diese beschämte Thematik. Comic ist ein Weg, um das Thema nicht wieder in die Vertuscherei zu bringen. Jede Familie hat die Tendenz, nicht darüber zu reden. Das ist keine Verlogenheit, sondern die klare Funktion der Familie. Wenn sie etwas haben, was nicht an die Öffentlichkeit dringen soll, erwarten sie sich von ihren Familienmitgliedern, dass sie den Mund halten. So entstehen Tabus.

STANDARD: Die durch Comics aufgebrochen werden können?

Fischer: Um etwas bewegen zu können, muss man über diese Geheimhaltungsschranken hinwegsteigen können. Je mehr "draußen" letztendlich gewitzelt wird, desto leichter fällt es der Familie "drinnen", das Tabu fallen zu lassen, weil sie merkt, dass die dort draußen dieses Geheimnis gar nicht so ernst nehmen.

STANDARD: Verstehen Sie Ihre Cartoons als eine Art Therapie?

Friedl: Ich zeichne eigentlich nur Geschichten, die sich eins zu eins zugetragen haben. Bevor ich zu dem Gespräch gekommen bin, war ich noch im Café und habe am Nebentisch gesehen, wie ein Mann einen weißen Spritzer getrunken hat, vollkommen beschäftigt mit einem Kreuzworträtsel. Dann bekam er einen zweiten Spritzer hingestellt, ohne zu bestellen. Solche Grauzonen interessieren mich einfach als Zeichnerin. Ab wann ist es zu viel? Es gibt 60 materielle und immaterielle Suchtarten. Alkohol ist beides und zudem eine Art von Sucht, dies ab einem gewissen Zeitpunkt sehr sichtbar ist.

Fischer: Es wird die Möglichkeit gegeben, sich über eine zutiefst tragische Situation zu erheitern.

Friedl: Man soll auch lachen, denn Lachen befreit; ein Auslachen ist es aber nicht. Wenn Hochprozentiges im Dampfbügeleisen versteckt wird, entsteht trotz Dramatik Situationskomik.

STANDARD: Würden Sie auch zum Thema Krebserkrankungen Comics zeichnen?

Friedl: Keine Ahnung, damit habe ich mich bisher noch nicht beschäftigt.

STANDARD: Ich möchte noch das Thema Therapie ansprechen. Statt totaler Abstinenz wird jetzt immer mehr kontrolliertes Trinken als Therapieform propagiert.

Fischer: Das primäre Therapieziel für Abhängige ist die lebenslange absolute Abstinenz, das ist internationaler Standard. Bedauerlicherweise gibt es eine Gruppe von nicht ganz professionellen Helfern, die sich gefällt, das Thema kontrolliertes Trinken als Therapie zu propagieren. Dies ist jedoch nur für eine kleine Splittergruppe interessant: Für jene, die bereits mehrere Abstinenzversuche erfolglos hinter sich gebracht haben. Ich als Arzt propagiere kontrolliertes Trinken nicht, außer bei der erwähnten Patientenschaft, die strengst kontrolliert werden muss. Alles andere finde ich komplett verantwortungslos.

STANDARD: Halten Sie die Maßnahmen zur Früherkennung für zielführend? Wie aussagekräftig sind Fragebögen, die bei Gesundenuntersuchungen ausgefüllt werden.

Fischer: Ich finde, die Einführung der sogenannten Audits, ein international standardisierter Fragebogen, war eine gute Sache. Es geht dabei ja nicht um eine Offenbarungseid. Allein die differenzierte Befragung löst bei dem Betroffenen eine intensive Auseinandersetzung mit dem Thema aus. Es ist eine Selbstreflexion.