Viennale-Direktor Hans Hurch: "Ich muss mich nicht immer auf die Bühne stellen und meine Strafpredigt halten."

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STANDARD: Sie haben einmal gesagt, Sie hätten eine diplomatische und eine stalinistische Seite. Wo blieb im Fall von Ulrich Seidl, der seine Filme von der Viennale zurückgezogen hat, die Diplomatie?

Hurch: Das hat die Danièle Huillet von mir gesagt. Sie hat mich immer vorgeschickt und gesagt: "Hans, wir brauchen den Wiener Diplomaten." Ich würde die Frage allerdings gerne auf eine andere Ebene als jene der Diplomatie bringen. Es geht auch nicht um Eitelkeiten. Jeder Filmemacher hat das Recht, für seinen Film das Beste zu wollen. Es gibt jedoch unterschiedliche Formen, das Beste zu wollen, einen unterschiedlichen Maximalismus. Ulrich Seidl ist der einzige österreichische Filmemacher, mit dem ich mich über einen Termin unterhalten habe.

STANDARD: Aber wäre eine Annäherung dem Festival nicht gut angestanden?

Hurch: Vielleicht wäre eine Annäherung notwendig gewesen, andererseits trifft dann ein, was Sie letztes Jahr geschrieben haben: dass die Viennale aufpassen muss, damit sie kein Festival on demand wird. Diese Gefahr gilt allen gegenüber, den Sponsoren, den Verleihern, der Politik. Ein Festival muss die Eigeninteressen wahrnehmen und sie im Zweifelsfall über die Interessen der anderen stellen. Die Viennale ist in sich ein eigenes Werk. Bei Seidl geht es um etwas anderes: um eine Begehrensneurose. Um den Symbolcharakter und eben nicht um die Sache. Deswegen habe ich einen Strich gezogen.

STANDARD: Kann man da nicht über sich hinausgehen? Die Anbindung der österreichischen Filmkultur an ein internationales Programm wäre doch für alle wünschenswert?

Hurch: Genau das findet ja statt, ich zeige zwanzig österreichische Filme. Lang- und Kurzfilme, aber die Diskussion um Seidl überlagert das. Das, was Sie über sich hinausgehen nennen, nenne ich, sich zu verleugnen. Wenn es um die Unabhängigkeit der Viennale geht, riskiere ich lieber einen Konflikt, der mir in diesem Fall nicht sehr guttut - das spüre ich; es ist nicht angenehm, den ganzen Regieverband gegen sich zu haben - auch wenn es richtig schwach ist, dass er in seinem Statement nicht einmal meinen Namen nennt.

STANDARD: Apropos Festivalpolitik: Der scheidenden Direktor des New York Film Festival, Richard Peña, hat gesagt, ein Festival müsse auch Filme zeigen, die man hasst, weil man nicht zur Mitte, sondern zu den Rändern streben soll.

Hurch: Ich halte das für dummen Zynismus.

STANDARD: Warum?

Hurch: Weil man nicht Dinge vertreten soll, zu denen man nicht steht! Dann nimmt einen doch kein Publikum mehr ernst. Eine der wirklichen Qualitäten der Viennale ist, dass es uns gelungen ist, ein Verhältnis zwischen dem Publikum und dem Festival aufzubauen, das auf Vertrauen beruht. Ich zeige auch keine Sachen, die total daneben sind. Es gibt einen bestimmten Punkt, da werde ich sehr ernst, weil ich das dem Kino gegenüber schuldig bin. Das heißt nicht, dass ich nicht auch viele Fehler mache, falsche Filme zeige, Leerstellen lasse. Für mich ist das Festival jeder einzelne Film. Ich überlege mir nie ein größeres Bild, Tendenzen des Weltkinos - das mag eine Schwäche sein.

STANDARD: Die Viennale gilt als sehr angesehen in der internationalen cinephilen Gemeinde. Inwiefern hat sich der Begriff von Cinephilie - der wörtlichen Liebe fürs Kino - für Sie verwandelt?

Hurch: Ich habe mich eigentlich nie als Cinephilen gesehen. Was ich unabhängig davon sagen kann, ist, dass es mehr denn je notwendig ist, einer Welt, in der eine Auflösung ins Virtuelle stattfindet, eine Form entgegenzuhalten. Und mit Form meine ich eine konkrete filmische Form, in der Dinge verhandelt werden, Sprachen existieren: ein realer Widerstand. Man kann unterscheiden, ob etwas auf der Leinwand existiert - oder ob es zum Geldverdienen da ist. Ich glaube, dass das Kino zum jetzigen Zeitpunkt eine extrem wichtige Möglichkeit oder Form sein kann.

STANDARD: Welche Filmemacher entsprechen diesen Überlegungen denn zurzeit besonders?

Hurch: Ich finde Miguel Gomes unter den jungen Filmemachern wirklich interessant. Er macht Filme, wie er sie machen will: Tabu ist für mich einer der schönsten Filme des letzten Jahres. Auch Albert Serra ist interessant, aber er ist schon ein bisschen zu manieriert, zu minimalistisch - aber er hat das Zeug dazu, irgendwann etwas zu machen, wo alles zusammenkommt. Mir gefallen besonders unreine Filme: Einer davon ist dieses Jahr die Dokumentation Leviathan. Das ist ein Film, der geht in eine gewisse Richtung zu weit, aber er hat eine unglaubliche Form. Aber warum regt sich niemand auf, was ich alles nicht spiele? Von Brian de Palma bis Terrence Malick - damit hätte man wunderbar das Gartenbau gefüllt.

STANDARD: Ich hätte gerne Paul Thomas Andersons "The Master" gesehen, der gerüchteweise nicht läuft, weil das Gartenbaukino nun doch keine 70-mm-Kopien spielen kann. Stimmt das?

Hurch: Wir können das derzeit nicht spielen, aber ich glaube, wir hätten The Master grundsätzlich nicht gekriegt. Sie haben uns zwar gefragt, wie wir ihn zeigen, aber sie haben ihn uns wohl nicht gegeben, weil sie bemerkt haben, dass der Film schwer zu verkaufen ist. Das ist immer wieder so, dass Filme, die nicht reüssieren, on hold gehen.

STANDARD: Warum wurde in die 70-mm-Technologie nicht im Rahmen der 50-Jahr-Feiern investiert - das war doch geplant?

Hurch: Wir werden schauen, dass wir das im nächsten halben Jahr machen: Das ist immer noch eine 50-Jahre-Investitionsidee, so wie die Peter-Handke-Schau, die es noch geben wird. Wir haben uns mit diesem 50er-Projekt natürlich auch ein bisserl übernommen.

STANDARD: Eine Frage, die derzeit offen diskutiert wird, ist der Wandel des Arthouse-Kino-Sektors. Manche meinen, er könnte wegbrechen. Fangen Festivals dies auf?

Hurch: Falls sich der Arthouse-Sektor tatsächlich reduziert, sind Filmfestivals längerfristig auch nicht die Lösung. Dazu haben Festivals viel zu sehr Ereignischarakter. Für mich hat ein Festival die Aufgabe, ein Angebot, einen Fächer offenzuhalten an Formen und an Filmen, die wir im normalen alltäglichen Kino nicht mehr wahrnehmen können. Viele Filme, die bei der Viennale gezeigt werden, wird man so nicht mehr sehen können. Ein Filmfestival muss die Idee eines größeren Kinos am Leben erhalten.

STANDARD: Dem Magazin "Sight & Sound" haben Sie gesagt, Sie seien bekannt für Ihre kritischen Eröffnungsreden. Was dürfen wir dieses Jahr erwarten?

Hurch: Letztes Jahr bin ich an einem bestimmten Punkt sehr weit gegangen. Ich hab Namen genannt, das tut man eigentlich nicht. Aber Brecht hat einmal gesagt, man sagt nicht "man", man nennt die Namen. Ich habe gesagt, wie der Namen des Bundeskanzlers nach einem Nestroy-Stück wäre: der Unbedeutende. Das hat man mir übelgenommen. Ich werde heuer sagen, dass das voriges Jahr eine Fehlleistung war, der Bundeskanzler ist nicht der Unbedeutende, sondern der Unbeugsame. Aber meine Rede muss heuer nicht so unverblümt sein, die Verhältnisse sind so, dass sie ein jeder lesen kann. Wir feiern dieses Jahr ein Fest.

STANDARD: Gemeinsam mit Michael Caine - ein alte Schwäche von Ihnen?

Hurch: Für mich gibt es wenige wirklich ganz große europäische Schauspieler in diesem Alter, einer ist der Piccoli. Meine Sympathie für Michael Caine liegt in dem, was man pathetisch Street-Credibility nennt. Auf gewisse Weise hat er davon immer noch etwas, weil er in seiner ganzen Karriere ein wirklich guter, intelligenter Handwerker war. Ich liebe diesen Satz von ihm: "Ich weiß, dass die Spießer mich nicht mögen, weil ich ein Prolet bin, mit einer Million Dollar am Konto und einer schönen Frau." (Dominik Kamalzadeh, Spezial, DER STANDARD, 19.10.2012)