Nach außen hin ein Augen- und Gaumenschmaus, intern jedoch rumort es: Österreichs Gastronomie geht der Nachwuchs aus, was vielfach an den rauen Arbeitsbedingungen liegt.

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Wien - Mehr als 14 Stunden Arbeit am Tag, ohne Pause und ohne Mittagessen. Saisonen, in denen sich die Überstunden auf drei Wochen summierten und keine davon bezahlt werde. Im besten Fall spiele es ein paar Tage Zeitausgleich, der Rest werde verschenkt. Der Umgangston sei rüde, "Lehrlinge werden nicht selten behandelt wie der letzte Dreck". Paul lebt seit zwanzig Jahren von der Spitzengastronomie. In international expandierenden Fünf-Sterne-Hotels arbeitete er sich zum Chef-Patissier auf.

Rückblickend sei er selbst stolz darauf, über so lange Zeit Vollgas gegeben zu haben. Dass aber viele Junge darauf keinen Bock hätten, zumal die Bezahlung alles andere als üppig sei, könne er keinem verübeln. "Was in der Branche abgezogen wird, grenzt teils schon fast an Sklaverei." Wer dagegen aufbegehre, pralle meist gegen Mauern. "Dann heißt es: Wir verlangen das eben. Es ist eine Ehre für dieses Haus zu arbeiten." Rundum sehe er nach ihrer Lehrzeit nur wenige Jugendliche bleiben. "Die meisten machen das auf Dauer nicht mit."

Der Ruf einzelner österreichischer Gastronomen nach neuen Arbeitskräften aus Krisenländern wie Griechenland, Portugal und Spanien löst in der Branche Empörung aus. Aus der Not arbeitsloser Griechen werde ein Geschäft gemacht - "während der Fachkräftemangel in Österreich hausgemacht ist", klagt Robert Maggale.

Der Tourismusexperte der Gewerkschaft erzählt von unregelmäßigen Arbeitszeiten, nicht eingehaltenen Dienstplänen und zig unbezahlten Überstunden. "Viele Unternehmen haben keine Personalreserven und quetschen ihre Belegschaft bis aufs Letzte aus." Die Dienstpläne würden in der Regel kurzfristig geändert, womit sich die Freizeitplanung erübrige. "Das ist es, was vielen am meisten am Wecker geht." Mehr noch als die Dienste an Wochenenden und Feiertagen. Maggale sieht die Karrieremöglichkeit begrenzt - nicht jeder brauche noch Küchenchefs und Restaurantleiter. Und alt werden könnten hier wenige. "Wer beschäftigt schon 50-Jährige?"

70.000 Hotel- und Gastronomiebetriebe zählen in Österreich zwischen 180. 000 und 200.000 Mitarbeiter. Ihr Kollektivvertrag liegt deutlich unter jenen der Handelsbeschäftigten: Ab Jänner 2013 beträgt der Mindestlohn 1300 Euro. Zuschläge gibt es für Arbeit an Feiertagen, nicht an Sonntagen.

Natürlich nutzten einzelne Betriebe die Jungen als billige Hilfskräfte aus. Das sei mittlerweile jedoch die Ausnahme, meint Christian Petz, einst Koch des Jahres von Gault Millau. "Für Lehrlinge haben sich die Arbeitsbedingungen mittlerweile stark verbessert. Doch auch wenn man erfolgreich und berühmt wird, die Gastronomie ist und bleibt ein harter Job." An Arbeit bis spät in die Nacht führe kein Weg vorbei. Stundenlöhne wie sie etwa Installateure, Mechaniker oder gar Anwälte erhielten, seien Illusion - dann könne sich keiner mehr ein Schnitzel leisten. "Für Leistungen der Branche lassen sich nicht die Preise verlangen, deren es eigentlich bedürfte. Und das geht zulasten der Eigentümer oder Mitarbeiter."

"Weit über EU-Niveau"

Er halte es für ein Gerücht, dass die Beschäftigten weit über dem Kollektivvertrag bezahlt würden, sagt Gewerkschafter Maggale. Der Haubenkoch Max Stiegl vom Gut Purbach ist vom Gegenteil überzeugt. "Die Gehälter liegen in Österreich in der Gastronomie weit über dem EU-Niveau." Ein Koch komme hier im Schnitt auf 1400 Euro netto im Monat - das 14 Mal. In Deutschland gebe es zwölf Mal im Jahr selten mehr als 1200 Euro.

Auch Stiegl sieht die Lehrlinge der Gastronomie aussterben, die Schuldigen seien aber anderswo. Er würde sofort fünf Junge im Burgenland einstellen. Doch diese dürften per Gesetz nur jedes zweite Wochenende arbeiten, dazu käme monatelange Berufsschule. Mit dem Alltag der Branche lasse sich das einfach nicht vereinbaren, urteilen auch Kollegen.

Starkoch Mario Plachutta hält von Schutzmaßnahmen wenig. Er nennt Österreichs Lehrlinge "unbrauchbare Analphabeten". Betriebsinterne Diebstähle gingen zu 90 Prozent auf ihr Konto. Sie seien "das Spiegelbild der verrotteten Gesellschaft". Dass sie bis vier Uhr früh in Discos herumzögen, interessiere keinen. "Wehe aber, sie arbeiten bis fünf nach elf im Betrieb." Statt Nachwuchs in Griechenland zu suchen, müsse man sich um den eigenen kümmern. Kritik an den Arbeitsbedingungen weist er als Schwachsinn zurück: Kein Gastronom finde Leute, biete er ihnen kein modernes Umfeld. (Verena Kainrath, DER STANDARD, 6.11.2012)