Scott Walker veröffentlicht das Album "Bish Bosch" - radikaler Wahnsinn eines 70-Jährigen.

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Wien - Man muss ihn sich als Robbie Williams in Dunkelschwarz und ohne Happy End in der Hitparade vorstellen. Beim heute 69-jährigen US-Sänger Noel Scott Engel alias Scott Walker, der jetzt mit Bish Bosch ein radikales, irres, beängstigendes, maßloses Alterswerk jenseits aller Genrezuweisungen zwischen Avantgarde, Musique concrète und definitiv keinem Pop veröffentlicht, hießen Take That Mitte der 1960er-Jahre Walker Brothers.

Diese legten nicht nur mit harmonieseligem Mädchen-weg-Bub-weint-Pop vor allem in der Wahlheimat Großbritannien eine beachtliche Weltkarriere hin. Sie gaben den kreischenden Teenies eine erste Ahnung davon, dass später im Erwachsenen- und Eheleben nicht nur Liebe ohne Leiden regiert: The Sun Ain't Gonna Shine Anymore nannte sich das, Sadest Night In The World oder Turn Out The Moon.

Die falschen Walkerbrüder waren ein einziges in Orchestermoll gegossenes Absterben junger Twens mit alten Seelen und noch älteren Stimmen. Bevor der Sex, die Drogen und die Dauertourneen zu viel wurden, machte sich Robbie Williams als Scott Walker selbstständig.

Mit samtenem Bariton dezimierte er sein Publikum als abgeklärter Solosänger mit den Soloalben 1 bis 4 unter anderem mit Deutungen depressiver Jacques-Brel-Kompositionen. Speziell das von Scott Walker im Alleingang komponierte Album Nummer 4 von 1969 gilt heute unter anderem dank eines Lieds über das Terrorregime Stalins namens The Old Man's Back Again als Klassiker.

Damals zwang die Plattenfirma Walker, der eine eigene Fernsehshow bei der BBC hatte, wieder mehr Richtung Kommerz zu gehen. Walker machte Schlagermucke, wurde depressiv und hackte sich jahrelang mit Alkohol weg.

Als 1978 ein Comeback der Walker Brothers rekordverdächtig floppte, verschwand er für einige Jahre von der Bildfläche. Sperrige Kompositionen wie The Electrician, ein Gänsehaut machender, zwischen Sinatra und Kreissäge angesiedelter Song über Folterpraktiken in Südamerika, sorgte für Verstörung. Scott Walker aber fand damit erstmals vorsichtig zu seinem Altersstil.

Über den Ruinen des Pop

1983 holte Climate of Hunter den Titel des schlechtestverkauften Albums in der Geschichte der Plattenfirma Virgin. Die frei fließende Rockmusik und einen gebrochen über den Ruinen des Pop der frühen Tage schwebenden kalten Bariton wollte niemand hören.

Robbie Williams hätte sich an dieser Stelle nach diversen Flops wie etwa der "kreativen" Rudebox seiner alten Qualitäten besonnen. Er wäre dem Publikum nachgelaufen, indem er zur Sicherheit seine Vergangenheit wiederholt und für die Rente auf Welttournee geht. Hoppla, das macht Robbie Williams ja gerade!

Scott Walker aber ist dank einer verstimmten Trompete und Nervenzusammenbrüchen das letzte Mal vor 34 Jahren auf einer Bühne gestanden. Er beschäftigt sich stattdessen neben Biografien über Massenmörder, seltsamen Körperfunktionen, der Erforschung der Einsamkeit und den kältesten Orten im Universum lieber mit den elektroakustischen Experimenten Karl-Heinz Stockhausens oder der Musique concrète Pierre Schaeffers - oder er studiert klassisches Arrangement.

Erst 1995 wieder veröffentlichte er mit Tilt das laut David Bowie beste Album aller Zeiten. Diesem folgte eine Soundtrack- und Tanztheaterarbeit sowie 1999 ein (unveröffentlichter) Song für einen James-Bond-Film. 2006 folgte das Album Drift.

Sieben Jahre später wird diese Trilogie über die Jahrzehnte jetzt von Bish Bosch abgeschlossen. Darauf hören wir mehr an Hörspiele als an Songs erinnernde Brocken wie das zentrale 21-minütige Stück SDSS1416+13B (Zercon, A Flagpole Sitter), das die Schicksale des kühlsten bekannten " Braunen Zwergs" draußen im All mit einem am Hofe Attilas auf einem Fahnenmast erfrierenden kleinwüchsigen Hofnarren verschränkt. Dazu werden rhythmisch Macheten gewetzt. Es wird in Bockshörner geblasen - und Walker jagt die Strafjazz-Gitarren in den Höllenschlund.

The Day The "Conducator" Died beschäftigt sich mit Nicolae Ceausescu und klingt fast wie eine Ballade. In Corps de Blah beweist er, dass man mit Körperwinden ausgezeichnet komponieren kann. Optimistisch gesprochen, lacht uns Scott Walker aus, wenn wir diesen radikalen Wahnsinn eines bald 70-Jährigen hören. Pessimistisch betrachtet, ist das schon auch ernst gemeint. Das beste unhörbare Album des Jahres. (Christian Schachinger, DER STANDARD, 28.11.2012)