Ist es ein Tier? Ein Pilz? Eine Gemeinschaft von Mikroorganismen? Und hat es im Wasser gelebt oder an Land? Dickinsonia, ein geheimnisvoller Bewohner des Ediacariums.

Foto: G. Retallack

Canberra - Der Lehrmeinung nach besiedelten die ersten einfachen Pflanzen das Land frühestens im Zeitraum vor etwa 480 bis 450 Millionen Jahren, während des Ordoviziums. Die ersten Tiere - Gliederfüßer wie zum Beispiel Skorpione - seien im darauffolgenden Zeitalter des Silur gefolgt. Nun hat ein Paläontologe aus den USA jedoch eine Hypothese präsentiert, die dieses Modell gehörig relativiert: Ihmzufolge könnte das Leben schon sehr viel früher als gedacht das Land erobert haben - um 100 Millionen Jahre oder mehr.

Neubewertung ...

Gregory Retallack von der University of Oregon untersuchte Fossilien aus dem Ediacarium vor 635 bis 541 Millionen Jahren. Das Ediacarium lag zwischen einer langen Periode, in der die Erde annähernd vollständig von Eis bedeckt gewesen sein dürfte, und dem Kambrium mit seiner bekannten "Explosion" der Artenvielfalt. Immer wieder ist das Ediacarium als eine "paradiesische" Ära verklärt worden, da die Fossilien aus dieser Ära keine Hinweise auf Panzer, Skelette oder Beißwerkzeuge enthalten. Allerdings waren die damals lebenden Wesen, die sogenannten "Vendobionten", entweder Tiere oder andere heterotrophe (also sich von lebendem Material ernährende) Organismen, was sie per se zu Räubern gemacht hätte. Zumindest aus Pflanzensicht.

Bisher wurde stets angenommen, dass die beschauliche Welt der Vendobionten unter Wasser lag - auch im späteren Kambrium fand das Leben ja nur im Wasser statt. Retallack interpretiert die Fossilien von Vendobionten wie Dickinsonia jedoch neu. Er glaubt, dass es sich bei den wenige Millimeter bis über einen Meter langen, ovalen Geschöpfen um Flechten ähnliche Lebensformen gehandelt habe. Und diese wären auf kühlen, trockenen Böden sesshaft gewesen. Das zumindest schließt Retallack aus den Boden-Analysen des Rawnsley Quartzite im Süden Australiens, wo Vendobionten-Fossilien gefunden wurden.

... und mögliche Implikationen

Wenn Retallack recht hat, müsste nicht nur der Landgang des Lebens um bis zu 150 Millionen Jahre vorverlegt werden. Es würde auch bedeuten, dass die Organismen in der ersten Phase vielzelligen Lebens an Land komplexer waren als in den Meeren - ein paradoxer Gedanke. Und es würde die Vendobionten aus unserer Ahnentafel nehmen: Als mit Flechten vergleichbare Organismen wären sie ja Gemeinschaften von Mikroorganismen gewesen und keine Tiere mehr, wie heute mehrheitlich angenommen wird.

Und sogar die alte Vorstellung von der aus dem Nichts kommenden "Kambrischen Explosion" könnte dann wieder aufleben. Die ist mittlerweile stark relativiert worden, weil es schon vor dem Kambrium und seiner unbestreitbar großen Zunahme in der Artenvielfalt eine Fülle komplexen Lebens gab. Aber eben nur, wenn dieses Leben den Tieren zugerechnet werden darf, was Retallack nun anzweifelt.

Skepsis

Wie erwartet hat seine Hypothese daher unter Fachkollegen einige Skepsis ausgelöst. So verweist der Paläontologe Shuhai Xiao von der Virginia Tech in Blacksburg darauf, dass andere Fossilien der Ediacara-Fauna in Schichten gefunden wurden, die eindeutig aus Meeressedimenten entstanden sein müssen. Außerdem wiesen die Fossilien klare Anzeichen dafür auf, dass diese Wesen Wellengang oder Meeresströmungen ausgesetzt gewesen seien. Retallacks Hypothese würde einen "fundamentalen Wandel in unserem Bild der Evolution" bedeuten, doch seien seine Beweise nicht überzeugend. Retallack hält an seiner Meinung jedoch fest. (red, derStandard.at, 21. 12. 2012)