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Andrea Vanek-Gullner: Mit meiner nächsten Klasse werd ich zu "Tage wie diese" tanzen.

Foto: APA/OCZERET

Ich gestehe: Bei Campino hab ich immer zuerst ans Zuckerl gedacht und erst in zweiter Linie an den Sänger der Toten Hosen. Klar find ich die Musik ganz gut, ein richtiger Hosen-Fan bin ich deshalb noch lange nicht. Wohl aber bin ich ein Andreas-Frege-Fan; so heißt der Mensch, der hinter dem Zuckerl steht.

Weil ich also die Musik ganz gut und den Menschen toll finde, ließ ich mich gerne breitschlagen und besuchte knapp vor Weihnachten das Tote Hosen-Konzert in der Wiener Stadthalle. Eigentlich gar nicht pädagogisch - und irgendwie dann doch. Warum?

1. Weil sich Andreas Frege mit dem Kopf voraus in die Menschenmenge wirft. Voll Vertrauen darauf, dass er aufgefangen wird - und klar fällt er weich in die Arme der begeisterten Fans. Was das mit Pädagogik zu tun hat? Uns LehrerInnen würde mitunter Mut zum Sprung gepaart mit einer gehörigen Portion Vertrauen in die Kinder wohl ganz gut tun, denke ich. Nicht, dass Sie mich missverstehen: Ich fordere Sie keineswegs auf, in die Arme Ihrer Schülerinnen zu springen. Aber den Mut zu haben, mal nicht "schwarz zu malen", nicht immer sofort zu denken, was da alles passieren könnte, sondern einfach mal unseren SchülerInnen zu vertrauen ... da müssen wir hin.

2. Weil Herr Frege die beachtet, die nicht auffallen. Jene auf den "billigen" Sitzplätzen, die ganz Normalen ohne schwingende Fahnen, ohne Grölen. Sie werden von Campino besonders bedacht. "Ihr da oben, wie geht's euch denn?", fragt er, der Herr Frege. Und Lichter in allen Farben erhellen jene, die bisher im Dunkeln saßen. Für uns LehrerInnen gilt: So sehr wir unseren Blick auf Menschen mit besonderen Bedürfnissen richten müssen, so sehr dürfen wir "das Normale" nicht aus dem Blick verlieren.

3. Weil Campino sowohl die Bühne, als auch die Beziehung zu den Menschen liebt. Irgendwann zwischendurch bittet er seine Fans, sich auf den Boden zu setzen.
Und dann kommt er zu den Menschen, ist mitten drunter, sucht Kontakt, wird einer von ihnen. Ohne Angst, dass ihm die Groupies zu nahe kommen. Was das mit uns LehrerInnen zu tun hat? Wir machen dann unsere Sache gut, wenn wir sowohl auf der Bühne stehen, den Kids klar sagen, was zu tun ist - als auch unsere "Gesichter" zeigen, die Menschen also, der hinter der Frau Lehrerin und dem Herrn Lehrer stehen. In Beziehung treten. Es ist die Balance aus beidem, auf die es ankommt.

4. Weil Herr Frege zwischendurch ein Triangel hervor holt, jemand anderen singen lässt und dadurch alle überrascht. Campino macht sich ein klein wenig über sich selbst lustig, meint, er hat wochenlang für den Triangel-Auftritt geübt. Und alle lachen. Er ist sich nicht zu gut, der Herr Frege. Und verpasst dann auch nicht den richtigen Moment, um auf das dreieckige Ding zu schlagen. Was ich mir daraus in meinen Lehreralltag mitnehme? Dass kleine überraschende Aktionen gepaart mit einer gehörigen Portion Humor das Salz in der Unterrichts-Suppe sind. Durch Unerwartetes die Aufmerksamkeit unserer Kids fangen - das gehört zur hohen Kunst des Unterrichtens.

Während die Menge tobt, sehe ich einen Erwachsenen mit einer Gruppe junger Menschen, 14-15-jährige Jungs und Mädchen. Ich hoffe, der begeisterte Mann ist ihr Lehrer, denn dann habe ich noch mehr Grund, hoffnungsvoll in die Zukunft zu blicken. Egal, ob wir unsere Hunde mit in die Schule nehmen, mit unseren SchülerInnen tanzen oder gemeinsam ein Konzert besuchen: Die geteilte Begeisterung ist das, worum es geht. Und dass die SchülerInnen die Chance haben, den Menschen hinter der Lehrperson zu spüren.

Fazit: Es tut uns doch allen gut, nicht nur das Kind, sondern auch den Teenager in uns anzu(f)regen. Ich fand es dann doch irgendwie sehr cool, dass Campino so nah an mir vorbei lief, dass ich seinen tätowierten Oberarm berühren konnte. Hat gut getan, mal für einen Moment wieder 13 zu sein - kann ich nur weiter empfehlen. Hilft irgendwie, die Sorgen und Freuden der jungen Generation besser zu verstehen.

Und mit meiner nächsten Klasse werd ich zu "Tage wie diese" tanzen. (Andrea Vanek-Gullner, derStandard.at, 21.1.2013)