Reinhard Seiß:
Wer baut Wien?
4. Auflage
Verlag Anton Pustet, Wien 2013
216 Seiten, 24 Euro
ISBN 978-3-7025-0538-7

Cover: Verlag

Unglaubliche Geschichten sind es, die der promovierte Raumplaner und Stadtentwicklungsexperte Reinhard Seiß in seiner jahrzehntelangen professionellen Beobachtung der Wiener Stadtplanung zusammengetragen hatte, um sie schließlich 2007 in dem Buch "Wer baut Wien?" zu veröffentlichen. Die erste Auflage war innerhalb von sechs Wochen vergriffen, noch im selben Jahr musste der Verlag Anton Pustet eine zweite und eine dritte Auflage drucken lassen.

Mit einigem zeitlichen Abstand erschien nun die vierte Auflage des spannenden Werks, und es muss im Großen und Ganzen weiterhin als sehr aktuell bezeichnet werden – leider. Da hat sich beispielsweise beim schon 2007 konstatierten Shopping-Center-Bauboom nichts Gravierendes geändert, ebenso wenig in der grundsätzlich (zu) auto-freundlichen Wiener Verkehrspolitik. Von der investorengetriebenen Entwicklung ganzer Stadtteile, bei der die dahinterstehenden Absichten immer auch ein wenig dubios erscheinen, ganz zu schweigen.

Die akribisch recherchierten Fakten über fragwürdige Vorgänge in der Wiener Stadtplanung, die bis Ende der 1980er-Jahre zurückreichen, lesen sich phasenweise immer noch wie Exposés für Polit-Thriller mit Wienerischem Lokalkolorit. Etwas schade ist nur, dass Seiß die Neuauflage nur mithilfe eines neuen, zehn Seiten umfassenden Vorworts aktualisiert hat. In die 18 "alten" Kapitel wurde nicht eingegriffen - auch nicht in Details, wo das durchaus angemessen gewesen wäre. So heißt es im Kapitel zur Verkehrspolitik etwa, dass sich "die Parkraumbewirtschaftung im Wesentlichen auf die Bezirke 1 bis 9 und 20 beschränkt, sodass der Großteil der Wiener Autofahrer nach wie vor kostenlos öffentlichen Raum für das Abstellen des Pkw in Anspruch nehmen kann". Seit 1. Oktober 2012 bzw. seit Jahresbeginn 2013 ist das bekanntlich anders, ein großer Teil des Wiener Westens ist nun Parkpickerl-Zone.

Seiß selbst gibt aber auch eine Antwort darauf, warum das Buch (noch) nicht umfassend überarbeitet wurde, obwohl im Vorwort Stoff für mindestens ein halbes Dutzend neuer Kapitel anklingt: "Weitgehend unverändert geblieben sind die grundsätzlichen demokratischen Defizite in Wiens Stadtentwicklung, die ein beredtes Zeugnis von der allgemeinen politischen und gesellschaftlichen Verfasstheit der Donaumetropole geben. So ist Stadtplanung nach wie vor ein recht intransparenter Prozess, in den Bürger und Medien viel zu wenig und viel zu spät Einblick erhalten."

Dieser präzisen Analyse ist weiterhin nichts hinzuzufügen, und so ist und bleibt "Wer baut Wien?" ein unverzichtbares Kompendium all dessen, was die Politik dieser Stadt in den letzten Jahrzehnten zugelassen hat: "Freunderlwirtschaft", Bevorzugung von privaten gegenüber öffentlichen Interessen, Flächeneffizienz ohne viel Rücksicht auf Bebauungspläne, Grundstücksspekulation, intransparente Vergabeprozesse etc. Immer wieder lesenswert. (Martin Putschögl, derStandard.at, 5.2.2013)