Nun reden wir also über Sexismus. Nicht einfach so, weil es eigentlich klug wäre. Es brauchte einen Funken in Form anzüglicher Aussagen eines deutschen Spitzenpolitikers, der das diskursive Feuer entfachte. Und dieses Feuer zeigte, dass die Glut darunter schon seit sehr langer Zeit lodert.

Die Belästigung von Frauen durch Männer ist ein normaler Teil der österreichischen Gesellschaft geworden. Das geht so weit, dass bei Wohnbau- und Stadtplanung "gendersensible" Kriterien berücksichtigt werden. Ein gelungener Euphemismus für die architektonische Vermeidung dunkler Ecken und menschenleerer Gassen, in denen sich Frauen unsicher fühlen müssen.

Dunkle Ecken sind ja an sich nichts Schlimmes. Es ist vielmehr die offenbar unveränderbare Tatsache, dass Männer sie nutzen könnten, um Frauen gegenüber aufdringlich zu werden, die uns von der Errichtung neuer dunkler Ecken Abstand nehmen lässt.

Nun also der Aufschrei

Viele Frauen richten ihren Alltag nach der potenziellen Bedrohung durch Männer aus und ergreifen täglich Maßnahmen, um sich vor Übergriffen zu schützen. Es herrscht jedoch immer noch unzureichendes Bewusstsein und Interesse darüber, wie tiefgreifend die potenzielle Belästigung durch Männer das Leben von Freundinnen, Kolleginnen oder Familienmitgliedern beeinflusst.

Nun also der Aufschrei. Frauen schildern auf Social-Media-Kanälen Erfahrungen mit sexistischen Übergriffen und Äußerungen im Alltag. Immer wieder wird in Reaktionen auch auf die Verantwortung von Frauen und die Wichtigkeit ihrer Wehrhaftigkeit hingewiesen.

In der Praxis sieht es jedoch oft nicht so einfach aus. Ein Beispiel: Im Oktober 2012 wurde einer Frau in der Grazer Innenstadt von einem Fremden an den Po gegriffen. Er näherte sich mit den Worten "Oh, ein knackiger Popo. Darf ich ihn angreifen?" Die Frau verneinte, der Unbekannte machte es trotzdem. Nachdem sie ihm eine Ohrfeige verpasst hat, schlug er ihr gegen den Kopf. Sie erstattete Anzeige. Die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren mit der Begründung ein, dass keine geschlechtliche Handlung stattgefunden habe, da der Po kein Geschlechtsorgan sei.

Ein klares Zeichen

Die Entscheidung über ihren eigenen Körper wurde ignoriert, der Mann missachtete die ihm gesetzten Grenzen und behielt dabei recht, obwohl es laut Auskunft der Polizei schon mehrfach Beschwerden gegen ihn wegen Belästigung gab. Mit diesem Urteil wurde ein klares Zeichen gesendet: Manche Formen von sexueller Belästigung werden offiziell nicht als solche wahrgenommen.

Was fehlt, ist, Alltagssexismus als Form von Gewalt gegen Frauen in einen größeren Zusammenhang zu stellen. Es ist an der Zeit, die Ursachen von Gewalt gegen Frauen zu diskutieren, statt über die Abmilderung möglicher Ausprägungen zu sprechen (z. B. Ausbau von Überwachung, Verschärfung des Strafausmaßes, Meiden von leeren U-Bahn-Wagons). Anstatt die Diskussion reaktiv zu führen, braucht es eine Debatte über die sexistischen Normen in einer männlich dominierten Kultur.

Die Auseinandersetzung mit diesem Thema ist jedoch schwierig, da daraus häufig ein Abwehrverhalten, eine Betrachtung unter einer dichotomen und kompetitiven Linse "Frau gegen Mann" oder ein stellvertretendes Schuldbewusstsein vonseiten vieler Männer entsteht. Ziel der Debatte wäre es jedoch, ein Verantwortungsbewusstsein hervorzurufen.

Leugnen und Abstreiten

Der Aufschrei zeigt: Sich des Ausmaßes des Problems einmal bewusst zu werden ist ein tiefgreifender und störender Prozess, dem sich nicht jeder stellen möchte. Leugnen und Abstreiten stellt für viele den harmloseren Weg dar. Oft ist es auch schlicht einfacher, anderen sexistischen Männern stillschweigend zuzusehen, als sich dagegen auszusprechen.

Es ist geradezu zynisch, dass Männer, die sich offen gegen Sexismus bekennen, oft als Weicheier oder humorlos bezeichnet werden, wenn diese eigentlich mehr Selbstvertrauen und Selbstsicherheit aufweisen als jene, die nichts sagen, Dieses Image muss sich umkehren. Wir müssen darüber sprechen, wie Männlichkeit heute kulturell definiert und repräsentiert wird. Wenn es nach wie vor als Ausdruck einer akzeptablen Verhaltensweise gilt, der Aushilfskellnerin im Teenageralter im Vorbeigehen den Po zu tätscheln (wohlgemerkt kein Geschlechtsorgan), dann gibt es noch viel zu tun. (Laura Wiesböck, DER STANDARD, 6.2.2013)