Es braucht offenbar die revoltierende Grundhaltung der "Kleinen", um festzustellen, dass eine Taschenlampe in den Händen des Spielers mehr Emotionen hervorrufen kann als ein Maschinengewehr.

Foto: Sony

Wenn ich mir ansehe, welche Spiele heute in die Kategorie "Horror" fallen, setzt bei mir unweigerlich der Umkehr-Reflex ein. Nicht, weil die einzelnen Werke so schlecht sind, sondern weil die Themenverfehlung zur Industriegepflogenheit geworden ist. Betrachtet man aktuelle Genrewerke wie "Dead Space 3", "Alan Wake", "Resident Evil 6" oder "Aliens: Colonial Marines", dann scheint die Industrie unter Horror tatsächlich Shooter mit Splatter-Elementen zu verstehen.

Anstatt vor Angst in den Couchpolster winseln zu müssen, lädt man in den düsteren Tiefen des Weltalls oder den Zombie-verseuchten Städten einfach durch und metzelt alles nieder, was einem vor die Flinte kommt. Ist das nicht traurig? Hunderte Stunden wurden damit zugebracht, unvorstellbar grausliche "Nekromorphs" oder außerirdische Monster zu zeichnen, zu modellieren, zu animieren, zu programmieren - zum Leben zu erwecken, um dem Spieler schlussendlich nicht den Schrecken seines Lebens zu bereiten, sondern nur ein weiteres Mal Kanonenfutter zu unterbreiten. Wieso, um Teufels willen, gibt es kaum gute Horrorspiele?

Das Kino weist den Weg

Dabei gibt es unzählige gute Vorlagen aus anderen Unterhaltungssparten. Schlägt man heute in einer Videothek unter dem Stichwort Horror nach, findet man eine schier unfassbare Menge einschlägiger Werke, die einem sprichwörtlich das Blut in den Adern gefrieren lassen. Von Klassikern wie "The Shining" über Teenie-Nonsens wie "I know what you did last summer" bis hin zu unbequemen Independent-Produktionen wie "Paranormal Activity" ist das Horror-Genre darum bemüht, die Seher in Angst zu versetzen oder sie zumindest gehörig zu schrecken.

Die stärksten Fürchteinflößer bedienen sich dabei eines einfachen Tricks: Man versetzt das Publikum in Alltagssituation oder zumindest in eine nachvollziehbare Situation, um sie dann mit dem Beil hinter der Tür zu überraschen. Stimmt das Verhältnis aus ruhigen und stressigen Momenten, kommt der Puls nie ganz zur Ruhe und der Spannungspegel hält sich auch in stillen Phasen im schwer erträglichen Bereich. Der Zuseher wird zwischen Sesselkannte und Rückenlehne hin und her geworfen. Der Terror der Leinwand ist omnipräsent, bis das Gehirn nicht mehr so recht weiß, ob es den Körper in den Schockzustand schalten oder mit Glückshormonen überfüllen soll. Guter Horror schafft es, genüsslich und fürchterlich zugleich zu sein.

Eintönige Schlachtfeste

Und so sehr Filmproduzenten diese Kunst in den vergangenen 100 Jahren zu meistern gelernt haben, so wenig haben sich Spielhersteller bislang davon abgeschaut. Mal ehrlich: Wann haben Sie sich das letzte Mal in einem Spiel so richtig gefürchtet? So sehr, dass Sie nachher lieber noch eine Komödie ansehen wollten, bevor Sie schlafen gehen. Als Kind bei "Phantasmagoria" vielleicht oder in den ersten Stunden beim ersten "Resident Evil"?

Die Mehrheit dessen, was uns Spielern heute als Horror verkauft wird, ist leider nicht mehr als uninspirierte und uninspirierende Splatter und Metzel-Shooter. "Resident Evil 6" hat keine Ähnlichkeiten mehr mit den erschauernden Spitzen des langsam getakteten Originals. "Dead Space 3" hat den tödlichen Nervenkitzel der Serie gegen eine nekromorphe Ballerorgie getauscht. "Blut, Gedärme und abgetrennte Körperteile", heißt das Motto. Von cineastischen Höhepunkten ist das Horrorspielgenre so weit entfernt wie schon lange nicht mehr. Aber weshalb ist das so? 

Das Geld spricht

Die ernüchternde Antwort darauf lieferte vergangene Woche Branchenveteran Cliff Bleszinski in einem Blog-Eintrag. Dem ehemaligen Creative Director von Epic Games und Schöpfer der "Gears of War"-Serie zufolge ist es wirtschaftlichen Motiven zu verdanken, dass Horrorspiele 2013 auch nur Shooter im Dunkeln sind. "Für gewöhnlich ist es so: Je furchteinflößender ein Spiel ist, desto weniger Macht verleiht es einem Spieler", so Bleszinski. Dies bedinge meistens eine etwas trägere Steuerung und eine langsamere Taktung als bei einem Action-Werk. "Betrachten wir die typische Zielgruppe für ein Konsolenspiel, sprechen wir oft vom großspurigen jungen Mann, der sich nicht fürchten möchte, sondern einfach nur Dinge zerstören."

Im Fall von "Dead Space 3" war es dem Experten zufolge daher eine logische Entscheidung, die Serie weg vom klassischen Horrorsetting hin zum Action-Spiel zu bewegen. Aus Sicht eines Unternehmens zähle schlussendlich der Absatz und nicht, ob man der ursprünglichen Idee gerecht wird.

Virtuelle Angst, ein schweres Unterfangen 

Um stärkere Emotionen wie Angst in einem Spieler hervorzurufen, müsse ein gehöriger Aufwand betrieben werden. "Horror ist schwer und Spannung noch schwerer umzusetzen. Es benötigt das Geschick eines echten Regisseurs. Ein Stück zu viel in die eine Richtung, und es wird komisch, ein Hauch zu wenig, und es ist gar nicht gruselig. Einen gruseligen Moment schaffen zu wollen ist, wie zu versuchen, sich selbst zu kitzeln. Du denkst, es ist gruselig, aber du kannst dir nie sicher sein, bis du es an jemandem ausprobiert hast, der es noch nie zuvor gesehen hat", erklärt Bleszinski.

Horror sei zudem nicht der richtige Stoff für einen Vollpreistitel. Ein Horrorspiel sei das "ultimative Ausleih-Werk, das man für zwei Tage spielt und dann zurückbringt", und "Dead Space 3"-Herausgeber Electronic Arts wisse das auch.

Schaurige Hoffnungsträger

Dass das Horrorgenre nicht zum Scheitern verdammt ist, räumt Bleszinski aber auch ein und verweist dabei auf diverse Indiproduktionen und den digitalen Vertrieb, der kleinere Projekte möglich macht. Und tatsächlich braucht es anscheinend die revoltierende Grundhaltung der "Kleinen", um festzustellen, dass eine Taschenlampe in den Händen des Spielers mehr Emotionen hervorrufen kann als ein Maschinengewehr.

Eindrucksvoll unter Beweis stellt dies die Produktion "Slender: The Arrival", die kommerzielle Neuauflage des Indieprojekts "Slender: Aight Pages". Der unten eingebettete, elfminütige Spielmitschnitt der Vorversion hat mich mehr unter Strom gesetzt als die Kampagnen von "Doom 3", "Dead Space 3", "Alan Wake" und "Resident Evil 6" zusammen. Erfreulich ist in dem Zusammenhang auch die Ankündigung des Gruselspiels "Daylight", dessen Kulisse dank Unreal Engine 4 besonders furchteinflößend umgesetzt werden könnte. Und ich gebe mit "Routine" auch die Hoffnung nicht auf, dass es im Weltall spielend spuken kann. Am Horizont das einzige unkonventionelle Gruselspektakel aus liquiderem Hause ist Sonys Teenie-Schreck "Unitl Dawn", wobei es seit der E3 im vergangenen Juni ziemlich still um das Projekt geworden ist.

Mut zu überzeugen

Wie sich diese Werke auf dem Markt behaupten werden, bleibt abzuwarten. Es ist auch nicht gesagt, dass mit der Taschenlampe in der Hand der Weg zur Erleuchtung gefunden wird. Jedoch finde ich den Ansatz des weitgehend wehrlosen Protagonisten eines "Slender" deutlich reizvoller, weil er mich in eine - wie vorher angesprochen - nachvollziehbare Situation versetzt anstatt in die Rolle des amoklaufenden Soziopathen. Keine Frage, auch der Einsatz einer Waffe kann in der virtuellen Not faszinieren, doch muss bei mir nach 20 Jahren videospielen mehr zum Klicken gebracht werden als der Abzug einer Pistole. 

Bleszinskis Wissen über den Videospielmarkt in allen Ehren, ist mir die Einstellung, dass ein Horror-Blockbuster nicht umsetzbar ist, jedenfalls dennoch etwas zu bequem. Es ist eine Binsenweisheit, dass sich ein Produkt so lange nicht verkauft, bis das Produkt gut ist. Hätten sich die Damen und Herren von Quantic Dream an zweidimensionalen Zahlen gestoßen, würden wir heute noch auf die dreidimensionalen Videospieltränen in "Heavy Rain" warten. Vielmehr ist es bezeichnend für die kommerzialisierte Ideenlosigkeit vieler großer Herausgeber, dass die wenigen Hoffnungsträger fast ausschließlich aus der Indie-Ecke kommen. Umso mehr Erfolg sei den mutigen Aufstrebern gewünscht. Ich warte auf euch. In der Finsternis. Mit Taschenlampe. (Zsolt Wilhlem, derStandard.at, 16.2.2013)      

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