Selbstständigkeit im Alltag ist für Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen das höchste Ziel und die größte Hürde zugleich. Ergotherapeuten sehen es als ihre Aufgabe, die Umwelt nach den Anforderungsbedingungen von Patienten so zu adaptieren, dass sie mit so wenig Hilfe wie möglich leben können. "Dabei ist uns jedes nur erdenkliche Hilfsmittel recht", sagt Marion Hackl, Präsidentin des Bundesverbandes Ergotherapie Austria. Für sie und ihre Kolleginnen ist Kreativität oberstes Prinzip: Vom speziell adaptierten Messer, das Rheuma-Patienten das Schneiden erleichtert, bis hin zu Fernsteuerungen für Patienten im Rollstuhl, um ein Fenster öffnen zu können, ist die ergotherapeutische Bandbreite enorm. "Wir reden nicht, wir machen", sagt Hackl, und was genau, ist höchst flexibel.

Schon bei den Frühchen ist Ergotherapie wichtig, etwa um Hautkontakt zwischen Mutter und Kind zu ermöglichen, obwohl das Baby an einer Beatmungsmaschine angeschlossen ist. Auch das bewusste Setzen von Gleichgewichts- und Tastreizen fördert die Entwicklung von Frühgeborenen, sagt Hackl.

Einsatz in der Suchttherapie

Störungen in der Feinmotorik beschäftigen Ergotherapeuten, die mit Kindern arbeiten. "Eine nicht adäquate Stifthaltung kann sie bis ins Teenageralter beeinträchtigen", sagt Hackl, die mit ADHS-Patienten aber auch Spielverhalten trainiert, weil es wichtig für die soziale Integration ist, erzählt sie. Aktuell seien Ergotherapeuten aber auch in der Suchttherapie im Einsatz, "wir helfen Drogenkranken darin, wieder Struktur in ihren Alltag zu bringen", erzählt sie. Oft ginge es nicht nur darum, Patienten zu trainieren, sondern auch darum, Angehörige zu schulen und Verständnis für eine Erkrankung zu schaffen.

Klassisches Einsatzgebiet von Ergotherapie ist aber auch die Betreuung von Patienten nach Unfällen und Verletzungen. Immer geht es um drei zentrale Fragen: Was kann der Patient selbst? Wie können Angehörige unterstützen? Wie lässt sich das Umfeld anpassen, um Patientenbedürfnisse zu erfüllen?

Ausbildungsplätze aufstocken

Nach Schlaganfällen adaptieren Ergotherapeuten Wohnungen, trainieren die Feinmotorik ihrer Patienten, etwa um den Umgang mit Geld wieder möglich zu machen. "Für uns zählt, was Patienten wollen, nicht was ihr Umfeld erwartet", so Hackl, die in der ergotherapeutischen Betreuung von Demenzkranken ein stark wachsendes Einsatzgebiet für ihre Berufsgruppe ortet. Allein: Kontinuierliche Betreuung ist derzeit nicht vorgesehen, in Niederösterreich, der Steiermark, Vorarlberg und Kärnten haben freiberufliche Ergotherapeutinnen gar keine Kassenverträge. "Ergotherapie auf Krankenschein ist das Ziel", so Hackl, die sich besonders für Menschen mit Behinderungen einsetzt. "Bei der Therapiefinanzierung schieben sich Kassen und Länder seit Jahren den Ball zu, ohne eine Lösung zu finden", so Hackl.

Sie liest den Bedarf an Ergotherapie an den Wartezeiten ab, zwischen sechs und zehn Monaten wie derzeit, das sei zu lange. Hackl wünscht sich, dass die Zahl der Ausbildungsplätze an den Fachhochschulen entsprechend aufgestockt wird. Überaus sinnvoll fände sie, wenn es eine zentrale, österreichweite Registrierung der freiberuflich tätigen Ergotherapeuten gäbe. Es wäre eine Möglichkeit für Patienten, qualifizierte und fachkundige Unterstützung zu finden - zum Erhalt des Selbstständigseins. (Karin Pollack, DER STANDARD, 25.2.2013)