Den Berg und das Tal spüren: Ana Roš hat aus dem Restaurant Hiša Franko in Kobarid (Karfreit) eine der aufregendsten Adressen des Alpenraums gemacht.

Foto: Gerhard Wasserbauer
Foto: Gerhard Wasserbauer

Ana Roš hat an der diplomatischen Akademie in Triest studiert, spricht fließend Italienisch, Französisch, Englisch. Wenn alles nach Plan gelaufen wäre, würde sie längst in einer internationalen Organisation, in einer der Metropolen der Welt, arbeiten. Stattdessen steht Ana seit acht Jahren in der Küche einer alten Gastwirtschaft in einem versteckten Alpental, unweit der italienischen Grenze und eine knappe Stunde vom österreichischen Arnoldstein entfernt.

Zeitgemäße Idee vom Essen

Ihr Mann ist der große Sommelier Valter Kramar, der den Hof geerbt hat, den Weinkeller mit vielen grandiosen "natural wines" pflegt, lokale Käse zu erschütternder Köstlichkeit affiniert, den Gemüsegarten über hat und sich um die berühmten Marmorata-Forellen aus der Soča kümmert, die in einem eisigen Kalter vor dem Haus auf ihr Schicksal warten.

Bis hierher könnte die Geschichte auch in manch anderer Wirtschaft im slowenisch-italienischen Grenzgebiet spielen, wo Essen und Trinken von jeher besondere Wichtigkeit und Verankerung im Selbstverständnis genießen. Ana Roš aber ist etwas gelungen, was stets - in solch einer Gegend aber ganz besonders - zum Schwierigsten gehört: Ihre Küche ist ganz grundsätzlich im Lokalen und seinen Traditionen verankert, zugleich aber hat Roš mit Klugheit, Leidenschaft und viel Zartheit und Poesie eine sehr originäre und zeitgemäße Idee vom Essen entwickelt.

"Cook it raw"-Truppe

Manchen großen Köchen ist das längst aufgefallen, Massimo Bottura von der Osteria Francescana in Modena (drei Sterne, Nummer vier der Welt) etwa ist immer wieder Gast, Ana Roš selbst ist Teil der exklusiven "Cook it raw"-Truppe um René Redzepi.

Dass neben den Marmorata-Forellen (die roh mit Fenchelpollen, Joghurt und Apfel sowie einem Auszug vom Räucheraal zu Tisch kommen) auch allerhand Scampi und Muscheln auf die Teller finden, erklärt Roš mit einem Blick auf den Gipfel vor der Tür: "Das ist die letzte Erhebung vor der Adria - da oben sieht man von Venedig bis Savudrija". Zuvor aber gibt es allerhand Kleinigkeiten, um den Appetit zu wecken - gereiften Skuta-Topfen aus dem Nachbardorf etwa, der ein Jahr in Schnaps reift und mit eingelegten Tomaten aus dem vergangenen Sommer serviert wird: zart, einfach, von unvergesslichem Wohlgeschmack.

Der wilde Höhepunkt

Scampi aus dem Kvarner kommen auch roh zu Tisch, mit einem Klecks kaum süßer Marmelade aus Bitterorangen und einem explosiv jodigen Dashi aus Algen und Huhn sowie geeister Entenleber. Sie bringt das einzig fette Element in die Komposition ein und hält die disparaten Aromen auf verblüffende Art beieinander. Ein Höhepunkt aber sind die Wildgerichte: Tartare vom Reh etwa, das mit eingelegter Zwiebel, einem Topinambur-Chip und einer Creme aus Vogerlsalat serviert wird - Wald und Feld, quasi.

Oder ein tief würziges Ragout vom Bären, den es in den Wäldern noch in großer Zahl gibt, mit ganz frischen, dicken Eier-Tagliolini und, als Überraschung, einer versteckten Nocke schmelzigen Lammleberparfaits darin: "Um diese Zeit erwachen die Bären aus dem Winterschlaf", erklärt Ana, "aber sie finden noch nichts zu essen außer hie und da ein Lamm auf der Weide. So zeichnet das Gericht ein Bild der unsichtbaren Natur da draußen". (Severin Corti, Rondo, DER STANDARD, 15.3.2013)