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Maria Jose Cristerna bezeichnet sich selbst als "Jaguar-Kriegerin" und versieht ihren Körper mit Implantaten, Narben und Tattoos. Über ihre optische Erscheinung transportiert die mexikanische Juristin eine Botschaft gegen häusliche Gewalt.

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Mit zahlreichen chirurgischen Eingriffen, wie Nasenkorrekturen, Grübchen am Kinn und Hautbleichung, wurde aus Michael Jackson zum Zerrbild seiner selbst.

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Über die Motivation kann endlos psychologisiert werden: Vielleicht wollte der US-Popstar ein Gegenbild zu seinem Vater (rechts) entwerfen.

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Das Einsetzen der Lippenteller der Frauen aus dem äthiopischen Mursi-Stamm geht auf Kosten der Vorderzähne.

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"Für eine Puppe ganz nett - für einen Menschen irgendwie schrecklich, da viel zu unnatürlich. 'Alien' trifft es wirklich", heißt es in einem Forum über die knapp 22-jährigen Russin Valeria Lukyanova, die sich dank zahlreicher Schönheits-OPs immer mehr in ihr Ideal verwandelt – in eine Barbie-Puppe (Bilder auf ihrer Facebook-Seite). Um den Barbie-"Traummaßen" von etwa 99-46-84 zu entsprechen, ließ sie sich Brustimplantate in der Größe F einsetzen und zwei Rippen brechen; von den Eingriffen im Gesicht ganz zu schweigen: riesige Augen und ein winziger Mund, der angeblich niemals lacht.

Die "Barbie-Frau" hat aber auch zahlreiche Fans. "Schaut euch doch das Gesicht an. Das ist meiner Meinung nach die pure Perfektion! Das ist optisch gesehen ein Prototyp des optimalen weiblichen Wesens", lautet eine Stimme im Forum.

Wo endet die perfekte Schönheit, wo beginnt Monstrosität? Vielleicht mit dem Erschrecken beim Anblick von Menschen wie Valeria Lukyanova oder Maria Jose Cristerna, auch als "Vampir-Frau bekannt", sich selbst aber als "Jaguar-Kriegerin" bezeichnet (dieStandard.at berichtete). Oder den Brüdern Igor und Grichka Bogdanoff, die sich radikalen Kinn- und Lippen-Operationen unterzogen haben; oder Jocelyn Wildenstein: Die Ex-Frau des Millionärs Alec Wildenstein ist nach zahlreichen chirurgischen Eingriffen ihrem Ziel wie eine Raubkatze auszusehen, recht nahe gekommen. Nicht zu vergessen die 2009 verstorbene Pop-Ikone Michael Jackson: Mit seinem Streben nach einem perfekten (weißen) Äußeren sorgte der Musiker mit jeder weiteren Operation für mediales Aufsehen.

Anpassung oder Aufmerksamkeit

Zwei konträre Intentionen für "Schönheits"-Operationen nennt Michaela Langer, Klinische Psychologin, Gesundheitspsychologin und stellvertretende Leiterin des Wiener Programms für Frauengesundheit: "Anpassung ist das häufigste Motiv. Man will in der Masse nicht auffallen, keine negative Aufmerksamkeit erregen. Das andere Motiv ist, sich bewusst von der Masse abzuheben."

Langer grenzt die Frau, die sich als Jaguarkriegerin bezeichnet, von den anderen Beispielen ab. "Maria Jose Cristerna hat eine Botschaft. Sie setzt sich gegen häusliche Gewalt an Frauen ein und transportiert diese Botschaft über ihren Körper." Dafür habe sie sich komplett von einem gängigen Schönheitsideal entfernt. Bei der "Barbie-Frau", der "Katzenfrau", Michael Jackson oder den Bogdanoff-Brüdern kann die Psychologin dagegen keine Botschaft erkennen, außer im Sinne einer Annäherung an ein Idealbild. So soll etwa die Motivation für die angeblich vier Millionen Euro teuren chirurgischen Eingriffe, die Jocelyn Wildenstein vornehmen hat lassen, die vergebliche Rückeroberung ihres Mannes gewesen sein, der sich Ende der 1990er Jahre jüngeren Frauen zuwandte und ein Faible für Wildkatzen hatte.

Der unerreichbare Weg zum Ideal

"Das gängige Schönheitsideal ist kindlich und schlank", weiß Maria Deutinger,  Primaria der Abteilung für Ästhetische und Rekonstruktive Chirurgie an der Rudolfstiftung in Wien und bezieht Stellung zu den weiblichen "Traummaßen": "90/60/90 können Kinder haben, aber keine erwachsenen Frauen."

Die russische "Barbie-Frau" versucht diesem Schönheitsideal zu entsprechen. Dabei werde nicht berücksichtigt, dass es sich bei diesem Ziel um ein virtuelles Ideal handelt; um eine Puppe, die unsere Kultur hervor gebracht hat, meint Langer: "Wenn ich den Prototypen der Schönheit in unserer Kultur, das Model, hernehme, dann hat es die Körpergröße eines Mannes, die Taille eines Kindes und das Gewicht einer Unterernährten."

Zahlreiche Operationen sind nötig, um sich einem solchen Idealbild anzunähern, und doch kann es niemals erreicht werden; zum einen, weil die Unzufriedenheit meistens bleibt, zum anderen aufgrund des menschlichen Alterungsprozesses. Zudem löst das künstliche Ergebnis oft Irritation in der Umgebung aus. Ab wann wird das Äußere eines Menschen als monströs wahrgenommen? "Ich denke, es gibt keine Grenzen zwischen Schönheitsideal und Monstrosität, nur individuelle Grenzen", sagt Maria Deutinger. "Der Betroffene fühlt nicht, dass er Grenzen überschritten hat, oder aber er will sie ganz bewusst überschreiten."

Ein unsichtbares Korsett

Es muss jedoch nicht immer ein chirurgischer Eingriff sein. Auch mit weniger radikalen Mitteln wie Kleidung, Schminke, Tattoos oder Piercings können die gewünschten Veränderungen erreicht werden. Deutinger beobachtet aber, dass immer öfter zum Skalpell gegriffen wird. "Das liegt zum einen an der Machbarkeit, zum anderen am menschlichen Bedürfnis, an Extreme heranzugehen", weiß die plastische Chirurgin.

Sie verweist auf Menschen, die, wie Christerna, eine Botschaft vermitteln wollen, und auf andere, die sich selbst verletzen und Narben zufügen, was häufig auf ein psychisches Krankheitsbild schließen lasse. Doch hinter einem radikalen chirurgischen Eingriff kann auch das Schönheitsideal einer anderen Kultur stehen, zum Beispiel die geschnürten Füße der Frauen in China, weibliche Genitalverstümmelung  oder die "Lippenteller" für die afrikanischen Frauen die Zähne ausgeschlagen werden.

Mit Entsetzen und Empörung nimmt man weibliche Genitalverstümmelungen in anderen Kulturen wahr. Es ist, so Langer, jedoch eine Tatsache, dass in unserer Gesellschaft die weibliche Genitalchirurgie im Dienste der Schönheit - Stichwort Designer Vagina - auf dem Vormarsch ist. Über die langfristigen Auswirkungen auf das sexuelle Erleben gebe es keinerlei Studien, weiß die Psychologin. Allein die Entgleisungen und nicht das Alltägliche würden uns erschrecken. "Wir nehmen das Krankmachende und Absurde an unserem eigenen – westlichen - Ideal nicht mehr wahr, und das ist das eigentlich Erschreckende", erkennt die Psychologin einen blinden Fleck. "Ein Model schaut auf den ersten Blick harmlos aus. Aber wenn wir genau hinschauen, erkennen wir: Es ist ein unsichtbares Korsett, das wir heute tragen."

Grenzbereiche

Um jemanden mittels Skalpell in ein "Monster" zu verwandeln, bedarf es immer zweier Parteien: einem Auftraggeber und einem durchführenden Chirurgen. Der Mensch, der so eine Veränderung wolle, sei zuerst ein Kunde und kein Patient, sagt Michaela Langer: "Erst ab dem Eingriff wird er ein Patient oder eine Patientin." Jeder Arzt müsse sich die Frage stellen: Wo liegen meine Grenzen? Braucht der Betroffene das unbedingt? Ist er damit zufrieden?

"Es geht immer um Angebot und Nachfrage", sagt Maria Deutinger, "aber solche Eingriffe führt nicht jeder plastische Chirurg durch." Sie selbst sei noch nie mit einem solchen Wunsch konfrontiert gewesen. Sobald sie ein Problem hinter dem gewünschten Eingriff vermutet, zieht sie die Expertise eines Psychologen hinzu. Der Wunsch nach Veränderung, könne so massiv sein, dass die Patienten so lange suchen, bis sie jemanden gefunden haben, der ihn realisiert. "Vielleicht gibt es auch Chirurgen, die sich als eine Art von Bildhauer sehen", überlegt Deutinger und sieht die radikalen Operationen auf jeden Fall in einem Grenzbereich angesiedelt. "Es ist nicht auszuschließen, dass sich der Chirurg mit seinen Ansichten selbst in einem Grenzbereich befindet", so die Expertin.

Identität auf mehreren Säulen

Radikale Schönheitsoperationen gehen oftmals mit massiven gesundheitlichen Einschränkungen einher. Wie verträgt sich das mit der Tätigkeit des Arztes, die auf Heilung und Genesung ausgerichtet ist? Deutinger: "Der hippokratische Eid geht davon aus, dass man Patienten nicht schadet. In Fällen wie diesen gehen Patienten nicht davon aus, dass ihnen so eine Operation schadet, sondern davon, dass sie sie unbedingt brauchen." Nach dem Eingriff seien sie häufig so zufrieden, dass gesundheitliche Folgen nicht als störend wahrgenommen werden. Für diesen Zustand der Zufriedenheit nehmen sie also einiges in Kauf.

"Sobald gesundheitliche Einschränkungen auftreten, ist es schwieriger ein positives Körperbild zu haben", gibt dagegen Michaela Langer zu bedenken. Auf je mehr Säulen sich die eigene Identität begründe, umso weniger notwendig identitätsstiftend sei das eigene Äußere. In unserer Gesellschaft begründe sich das Selbstbild allerdings oft auf nur einer Säule: dem optischen Erscheinungsbild. Es sei statistisch normal, dass eine Frau mit ihrem Körper unzufrieden ist, weiß die Psychologin. Damit einher geht permanente Unzufriedenheit, mangelndes Selbstwertgefühl bis hin zu psychischen Erkrankungen und einer endlosen Reihe kleiner oder größerer chirurgischer Eingriffe.

Was ist monströs? Was ist schön? "Die Frage lässt sich nie hinreichend beantworten, sondern ist immer im kulturellen und sozialen Kontext zu sehen", sagt Langer. "Wir können nur fragen: Was gefährdet unsere Gesundheit?" (Eva Tinsobin, derStandard.at, 20.3.2013)