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Viele Mediziner empfehlen die Einnahme von Vitamin-D-Präparaten als Nahrungsergänzung.

Foto: Reuters/Erik De Castro

Es soll nicht nur die Knochen stärken, sondern sogar gegen Arteriosklerose, Diabetes, Herzprobleme, Allergien und Tumorerkrankungen helfen: Vitamin D. Früher mussten Kinder in großen Teilen Europas den gefürchteten Lebertran schlucken, um Rachitis vorzubeugen. Und heute?

"70 Prozent der Bevölkerung sind zumindest in den Wintermonaten unterversorgt", sagt Christian Kasperk, Endokrinologe am Uniklinikum Heidelberg. Eine der wichtigsten Ursachen für den Mangel sei der geringe Fischkonsum der Mitteleuropäer. Speziell die fetten Salzwasserfische wie Makrelen und Heringe sind reich an Vitamin D. Fleisch enthält jedoch auch substanzielle Mengen, erklärt Kasperk, und vor allem Leber. Aber die wird von vielen Menschen mittlerweile verschmäht.

Wegen der in unseren Gefilden weit verbreiteten Unterversorgung empfehlen viele Mediziner die Einnahme von Vitamin-D-Präparaten - 1000 Internationale Einheiten (IE) täglich. Dadurch soll im Blut eine Konzentration von 50 Nanomol pro Liter erreicht werden. Für Senioren ist dies besonders wichtig. Sonnenlicht kann dazu beitragen, den Vitamin-D-Spiegel zu verbessern, aber nur als Zusatz zu Nahrung und Supplementierung. Die Sonne allein reicht hierzulande oft nicht aus, um eine ausreichende körpereigene Produktion zu gewährleisten, schon gar nicht während der kalten Jahreszeit. Der Einfallswinkel des Lichts ist dann zu klein, es kommt zu wenig UV-B-Strahlung auf der Erdoberfläche an.

Frage der Dosis

Die große Bedeutung von Vitamin D für die Gesundheit älterer Personen liegt nicht nur in dessen positivem Einfluss auf den Knochenaufbau begründet, das Vitamin spielt auch eine entscheidende Rolle bei der Muskelregeneration, erklärt Kasperk. "Durch die verbesserte neuromuskuläre Leistung wird eine Sturzprophylaxe ermöglicht." Zu viel des Guten schadet allerdings auch, sagt der Endokrinologe. Womöglich würden ausreifende Muskelzellen durch exzessiv hohe Dosen in die Apoptose, den vorprogrammierten Zelltod, getrieben.

Doch wo liegt die Grenze zwischen gesundheitsfördernd und schädlich? Über diese Frage liefern sich Fachleute hitzige Debatten. Im vergangenen Jahr erregte vor allem die sogenannte CopD-Studie die Gemüter. Ein Forscherteam der Universität Kopenhagen hatte die Blutserum-Konzentration von Vitamin D in Proben von insgesamt 247.574 Bewohnern der dänischen Hauptstadt und deren direktem Umland erfasst und sie mit der Mortalität derselben Personen verglichen. Die Ergebnisse waren bemerkenswert. Wer laut Messung unter einem Vitamin-D-Mangel litt, hatte ein deutlich höheres Sterblichkeitsrisiko. Bei Konzentrationen unterhalb von 10 nmol/l war die Mortalität um knapp das 2,5-Fache gegenüber der Todesrate beim Richtwert von 50 nmol/l gestiegen. Am besten schnitten Menschen mit 50 bis 60 nmol Vitamin D pro Liter Serum ab. Für Personen mit höheren Konzentrationen stieg die Sterblichkeit jedoch wieder an und erreichte das 1,5-Fache der Standardrate bei einem Wert von circa 150 nmol/l (vgl.: Journal of Clinical Endocrinology and Metabolism, Bd. 97, S. 2644).

Interpretationsfragen

Man muss die Ergebnisse sehr vorsichtig interpretieren, betont CopD-Coautorin Anne-Marie Heegaard. "Es ist eine Testgruppe, über die wir nichts Genaueres wissen." Die Todesursachen wurden nicht in die Auswertungen einbezogen, ebenso wenig wie vorhandene Krankheiten. Es ging nur um die allgemeine Sterblichkeit. "Vielleicht hatten diese Menschen eine gebrochene Hüfte oder eine Krebserkrankung und nahmen deshalb viel Vitamin D zusätzlich zu sich." In solchen Fällen wären die hohen Vitaminkonzentrationen lediglich ein Indikator für einen schlechten Gesundheitszustand, aber nicht dessen Ursache. Trotzdem hält es Heegaard für angebracht, die möglichen negativen Auswirkungen von starker Vitamin-D-Supplementierung weiter zu untersuchen.

Die dänischen Experten wurden derweil von einigen ihrer Kollegen angegriffen. "Es ist eine Religion", meint Anne-Marie Heegaard mit Blick auf die Vitamin-D-Debatte. Manche Ärzte empfehlen hohe Dosen, wissenschaftliche Beweise fehlten.

Vehemente Kritik ist auch Clifford Rosen vom Maine Medical Center Research Institute in Scarborough/USA gewöhnt. Der Osteologe plädiert in Sachen Vitamin-D-Einnahme für Zurückhaltung. Seiner Meinung nach reichen 600 bis 800 IE täglich aus, und diese Menge könne durchaus auch über natürliche Quellen aufgenommen werden. "Kurzfristig kann hochdosiertes Vitamin D zu hohen Kalzium-Konzentrationen im Blut und zur Bildung von Nierensteinen führen", erklärt der Fachmann. Die Langzeitwirkungen müssen im Rahmen weiterer Studien erforscht werden. (Kurt de Swaaf, DER STANDARD, 18.3.2013)