"Dead Space 3" ist eines von vielen Vollpreisspielen, die Mikrotransaktionen implementiert haben. Alle großen Herausgeber, von Activision-Blizzard, EA bis Ubisoft experimentieren mit neuen Bezahlmodellen. 

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Ein prognostiziertes Wachstum von über sieben Prozent, ein globaler Gesamtumsatz von jährlich 83 Milliarden Dollar bis ins Jahr 2016 - angesichts solcher Zahlen, wie sie das Beratungsunternehmen Price Waterhouse Cooper für die Videospielbranche erhoben hat, möchte man kaum glauben, dass Krisenstimmung herrscht bei den Big Playern der am rasantesten wachsenden Entertainmentsparte.

Doch der Pfad zwischen Absturz und Triumph ist schmal im Bereich der Triple-A-Games, also jener Hochglanzspieleblockbuster, die mit Riesenbudget für ein globales Massenpublikum geschaffen und vermarktet werden. Auf dem glatten Parkett dieses Milliardengeschäfts gibt es kaum Toleranz für kommerzielle Fehlschläge, wie der Untergang des Riesen THQ vor kurzem unter Beweis stellte. Die Entwicklung eines AAA-Spiels verschlingt Unsummen, hunderte Entwickler arbeiten oft jahrelang an den hoffnungsfrohen Blockbustern der Zukunft. Kein Wunder, dass bei astronomisch hohen Entwicklungs- und Werbekosten die Branche seit Jahren auf Serien und Fortsetzungen setzt, wenig Risiken mit neuen Franchises eingeht und, wie etwa jüngst bei "Dead Space 3" demonstriert, auch existierende Franchises  durch Anbiederungen an den vermeintlichen Durchschnittsgeschmack immer massentauglicher zu machen sucht. Big-Budget-Titel verschlingen im schlimmsten Fall riesige Beträge, die auch Businessriesen wie die großen Drei, Electronic Arts, Activision und Ubisoft, bei Misserfolgen in die Knie gehen lassen.

Triple A in Zahlen

Denn auch ohne große Verkaufsdesaster sind die Gewinnmargen im Vergleich zu den Risiken gering. 37 Millionen Euro Gewinn wies Ubisoft im Fiskaljahr 2012 aus - bei einem Umsatz von 1,06 Milliarden Euro sind das magere drei Prozent. Electronic Arts (EA) erwirtschaftete zeitgleich einen Gewinn von 76 Millionen Dollar - bei einem Nettoumsatz von über vier Milliarden Dollar. Bei Branchengigant Activision sieht das Verhältnis zwar besser aus - ein Rekordumsatz von 4,8 Milliarden Dollar im Geschäftsjahr 2012 bei Gewinn von 1,1 Milliarden Dollar -, doch  Garantien für die Zukunft gibt es nicht: Die in die Jahre kommende Cashcow "World of Warcraft" wird wohl nicht ewig goldene Eier legen, die stagnierende Bestseller-Franchise "Call of Duty" dürfte trotz erneutem Rekordumsatz nicht ewig ohne größeren Umbau profitabel bleiben und auch der kommerzielle Erfolg von "Diablo 3" wurde mit reichlich Kundenverärgerung  erkauft - man kann durchaus von "Farmvillisierung" sprechen.

Kampf den Kunden

Fakt ist, dass sich die Großen der Branche zunehmend abseits des in "Deluxe-Editions" ohnehin nach oben offenen Vollpreises nach neuen Ideen umsehen, um ihre Produkte profitabler zu machen - unter anderem mit Kopierschutzsystemen und DRM. Dass dabei zunehmend der Kunde auf der Strecke bleibt, zeigt nicht nur das erwähnte "Diablo 3", das langfristig wegen aufgesetztem Onlinezwang, Echtgeldauktionshaus und dafür leider "vergessenem" motivierenden Endgame für verbrannte Erde bei den Fans gesorgt hat, sondern auch Electronic Arts' aktuelles Debakel um "SimCity": Aus Angst vor den mantra-artig wiederholten angeblichen neunzig Prozent Piraterie riskiert EA mit nicht funktionierenden DRM-Zwangsbeglückungen nicht nur den guten Ruf seines Spieleklassikers, sondern auch den globalen Kundenzorn.

Bei kurzfristigem Quartalsdenken ist das für den Publisher dennoch ein gutes Geschäft: Denn auch wenn die Spieler nach monatelangen Preview-Hymnen und dem im Triple-A-Segment üblichen Preorder-Zirkus das Spiel dann zumindest in den ersten Wochen nach dem Launch nicht spielen können, haben sie ja immerhin trotzdem Geld überwiesen. Dass ein industrieweites Rückgaberecht von Software wünschenswert wäre, die nicht den Anforderungen und vor allem den vollmundigen Versprechungen globaler PR-Jubelmeldungen entspricht, könnte ironischerweise eben im Gefolge des "SimCity"-Supergaus endlich ins Zentrum des Interesses der Konsumentenschützer rücken.

Play & pay

Doch nicht nur technisch, auch inhaltlich drehen die großen Publisher an den Stellschrauben, um den Profit zu vergrößern - bei den astronomischen Kosten und geringen Gewinnmargen sucht die Branche händeringend nach Absatzoptimierung. Dass Innovationen und neue Ideen zugunsten erfolgversprechender, immer wieder recycelter Serienbestseller auf der Strecke bleiben, ist ein trauriger Befund der aktuellen AAA-Stagnation. Während zunehmend manche Entwickler wie Crytek ihr Heil in der völlig anderen Richtung suchen und in den radikal anders funktionierenden Modellen der Free2Play-Philosophie ihre Zukunft sehen wollen, finden Elemente dieses bei großen Teilen der Spielerschaft unbeliebten Modells auch den Weg in traditionelle Vollpreisspiele: Mit Microtransactions, also der Möglichkeit, in den Spielen selbst zusätzlich Geld auszugeben, finden sich Elemente des Free2Play auch in Vollpreistiteln wie "Dead Space 3" oder, wie jüngst angekündigt, in der "Call of Duty"-Reihe. Und dass mit "zusätzlichem" Inhalt in Form von extra zu bezahlendem Day1-DLC (Download Content) schon bei Spielstart weiteres Geld zu lukrieren ist, sorgt bei Spielern nicht erst seit "Mass Effect 3" für Unmut.

Abofunktion für kontinuierlich nachgereichte Spielhäppchen

DLC und "Season Passes", also die Abofunktion für kontinuierlich nachgereichte Spielhäppchen, haben auch einen weiteren positiven Nebeneffekt für die Branche, die um ihre Margen kämpft: Durch den digitalen, an das jeweilige Konto gebundenen Nachschub wird auch dem Gebrauchtspielemarkt sukzessive das Wasser abgegraben - auch wenn eine vollständige Ausrottung dieses schwungvollen Second-Hand-Handels, wie jüngste Studien zeigen, auf lange Sicht auf ein handfestes Problem mit den Konsumenten hinauslaufen würde.

Dass das Geschäft mit DLC schleichend in monatlich bezahlbare Abomodelle wie bei MMOs übergeht, wird sich wohl auch beim kürzlich mit großem Bombast angekündigten "Destiny" zeigen: Obwohl Bungie die Entscheidung, im Gegensatz zur "Halo"-Reihe auch auf "Always Online" und MMO-Elemente zu setzen, treuherzig mit dem maximal schwammigen Argument verteidigt hatte, man wolle die Spieler so "zu einer Gemeinschaft machen", findet der Gamesindustrie-Analyst Michael Pachter deutlichere Worte für die neue Hinwendung zu MMO-ähnlichen Bezahl- und Abosystemen: "Ich bin davon überzeugt, dass Activision einen Weg finden wird, mit 'Destiny' so viel Geld aus den Kunden herauszuholen, wie menschlich überhaupt möglich ist." Ob dies durch "Pay by Play"-Modelle, DLC, Mikrotransaktionen oder Abomodelle wie bei Activisions langsam in die Jahre kommendem "World of Warcraft" umgesetzt werde, sei dabei noch ungewiss.

Alternativen gesucht

Riesige Studios, riesige Blockbuster, riesige Werbe-Etats und als Endprodukt Spiele, die aus Angst um den größtmöglichen Kundenappeal wenig Neues wagen dürfen, dafür aber mit allen Tricks ihre Spieler auf immer neue Weise zur Kasse bitten - das klingt nach einer Sackgasse, aus der wohl auch die Technologie der neuen Konsolengeneration keinen Weg weisen wird. Klar, es wird sie wohl weiterhin geben, die hunderte Millionen Dollar teuren Blockbuster, die den Hochglanz-Mainstream bilden, doch das Eis, auf dem sich die Großen bewegen, wird dünnerr - und die Notwendigkeit, ihre Kunden mit unterschiedlichsten Strategien auch nach dem Kauf wieder und wieder zur Kasse zu bitten, wird noch weiter zunehmen.

Zum Glück gibt es handfeste Hinweise darauf, dass mit der Krise des traditionellen Publishermodells, mit seinen gigantischen Produktionsmaschinen und statischen Finanzierungsmodellen, nicht auch eine Krise des Mediums selbst einhergehen muss. Selten zuvor gab es eine derartig große Anzahl an alternativen Finanzierungsmodellen abseits des Althergebrachten, niemals eine derart vitale Gameswelt abseits des AAA-Mainstreams - und zwischen den Beinen der strauchelnden Dinosaurier  tummeln sich längst wendige Winzlinge, die vielleicht auch den Großen neue Wege aufzeigen könnten.

Small is beautiful

Durch Modelle wie Crowdfunding via Kickstarter, das gewissermaßen schon vor Produktionsbeginn die Profitabilität der Spiele unter Beweis stellt, lassen sich auch große Projekte finanzieren, wie etwa jüngste Experimente aus der Filmbranche beweisen. Auch durch Alphafunding, bei dem Spieler wie im Indie-Hit "Minecraft" die laufende Entwicklung mitfinanzieren, oder sogar das Experimentieren mit "Pay what you want"-Modellen finanzieren sich lebendige, durchaus lukrative Games-Subkulturen, die im Kleinen neue Wege gehen und vielleicht sogar zum neuen Paradigma der Gamesentwicklung reifen könnten - und die Großen täten vielleicht gut daran, ihre Aufmerksamkeit auf die Erfolgsrezepte dieser neuen, kleinteiligen Entwicklerkultur zu lenken.

Denn auch hier lässt sich Geld machen. Dass "Minecraft" hier ein schwer vergleichbarer Ausnahmetitel ist, ist nach zehn Millionen Verkäufen unbestritten, doch auch andere kleine Teams machen ganz ohne Millionenbudgets, PR-Etat oder DRM nicht nur fantastische Spiele, sondern auch ein gutes Geschäft:  Das vierköpfige Entwicklerteam des Retro-RPGs "Legend of Grimrock" verkaufte innerhalb eines Jahres 600.000 Exemplare ihres Spiels, der Indie-Horror-Titel "Amnesia" hat sich mit über 1,4 Millionen verkauften Exemplaren beeindruckend geschlagen und Rekordzahlen bei "Pay what you want"-Modellen wie "Humble Bundle" demonstrieren, dass sogar völlig ohne Kundengängelung Geld zu verdienen ist.

Von Indie lernen?

Um die Grafikpracht, die mit AAA hauptsächlich assoziiert wird, muss man sich dabei übrigens nicht unbedingt Sorgen machen: Der ewige Fetisch des Fotorealismus dürfte bald auch für kleine Teams in Reichweite sein. Vielleicht liegt ja, wie auch EA langsam zu überdenken beginnt, in kleineren Projektteams, kürzeren, aber dafür radikal günstigeren Spielen für eine erwachsener werdende Spielerschaft, für die "100 Stunden Spielspaß" kein Kaufanreiz, sondern eine gefährliche Drohung sind, und einer breiteren, in kleinerem Umfang ebenso lukrativen Diversifizierung des Spieleangebots eine mögliche profitable und vor allem vitale Games-Zukunft?

Freunde des Hochglanz-AAA-Spielens hingegen werden sich wohl in Zukunft daran gewöhnen müssen, auch nach Entrichten des Vollpreises auf die eine oder andere Art zur Kasse gebeten zu werden - die besten Methoden für diese Zusatzmonetisierung werden derzeit von den traditionellen Publishern hektisch erprobt. “Free2Play”-Modelle, zunehmende Einschränkungen durch DRM, Mikrotransaktionen, DLC, Abozwang - mit diesen und anderen für Spieler fragwürdigen Strategien will sich die Branche an ihre traditionelle Größe klammern. Wer hingegen ganz klassisch mit einem Mal Bezahlen auskommen will, findet abseits der Branchenriesen schon jetzt genügend Alternativen zur AAAbzocke. Vielleicht liegt ja genau in der Abkehr von dieser Größe eine mögliche Antwort auf viele Fragen zur Zukunft des Mediums. (Rainer Sigl, derStandard.at, 18.3.2013)