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Demonstrationen und Feierlichkeiten für Abdullah Öcalan. Ob der PKK-Chef für alle im Namen der PKK agierenden Gruppen spricht, wird sich erst nach Inkrafttreten einer Friedensvereinbarung herausstellen.

Foto: REUTERS/Murad Sezer

derStandard.at: Kann man den angekündigten Waffenstillstand zwischen der PKK Abdullah Öcalans und der türkischen Regierung tatsächlich schon als historisches Ereignis bezeichnen?

Günay: Historisch ist, dass die türkische Regierung die PKK und vor allem Öcalan offiziell als Gesprächspartner anerkannt hat. Das ist meiner Meinung nach eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg von Verhandlungen. Bisher war es so, dass die Regierung es ausgeschlossen hat mit der PKK in Verhandlungen zu treten. Selbst die kurdische Partei (BDP), die im Parlament vertreten ist, war isoliert, man wollte auch mit ihr nicht über die Kurdenfrage verhandeln. Inoffiziell freilich gab es schon vorher Gespräche auf Ebene des Geheimdienstes und der PKK. Konkret weiß man von den Oslo-Gesprächen. Mit Öcalan direkt in Gespräche zu treten galt aber als ein Tabu.

derStandard.at: Eine zentrale Frage ist, ob Öcalan für die gesamte PKK spricht.

Günay: Die PKK ist keine einheitliche Organisation mehr. Sie ist fragmentiert. Es gibt Flügel innerhalb der PKK, die sicher nicht sehr begeistert von den Entwicklungen sind. Denen geht es oft weniger um das große Ganze als vielmehr um die Kontrolle von Schmuggelrouten bzw. andere wirtschaftliche Interessen. Selbst wenn es zu einem Abkommen und einer politischen Lösung kommt, ist der Weg zu einer definitiven Beruhigung der Situation noch weit. Es bleibt abzuwarten wie weit Öcalan nach so vielen Jahren im Gefängnis tatsächlich noch real Autorität über die verschiedenen Flügel hat.

Außerdem war in den letzten Jahren schon lange nicht mehr ganz klar, wofür die PKK genau steht und ob alle noch für das Gleiche kämpfen. Von der Maximalforderung eines unabhängigen Staates ist die PKK ja schon längst abgerückt.

Allgemein ist das Kurdenproblem sehr komplex. Es gibt neben einer nationalen bzw. identitären Komponente auch soziale Fragen die gelöst werden müssen. Die Kurdenregionen sind die ärmsten Gebiete der Türkei, es gibt praktisch kaum private Investitionen und wenig Arbeit.

derStandard.at: Man hat ja auch schon versucht, den Konflikt ohne Öcalan zu lösen.

Günay: Es gab vor einiger Zeit eine Kurdeninitiative der türkische Regierung, mit der man versucht hat, einen Dialog mit der kurdischen Minderheit zu eröffnen. Die Initiative war aber schlecht vorbereitet und geriet wieder ins Stocken. Auch stieß die plötzliche Kursänderung der Regierung zu dieser Frage auf Irritation und Unverständnis in der Bevölkerung. Man darf nicht vergessen, dass über Jahrzehnte von beiden Seiten massiv Propaganda betrieben wurde. Stichwort "Babymörder" Öcalan etc. Und plötzlich wird die Rückkehr von PKK-Kämpfern aus dem Nordirak triumphal gefeiert. 

derStandard.at: Wie werden die Gespräche diesmal aufgenommen?

Günay: Interessanterweise sind die Gegenstimmen diesmal relativ verhalten. Die nationalistische Opposition macht zwar dagegen mobil, aber ansonsten schafft es die Regierung gut, den Diskurs zu dominieren. Außerdem ist die Bevölkerung durch das jüngste Wiederaufflammen der Kämpfe zwischen PKK und Regierung ermüdet. Die Rufe nach einer endgültigen Lösung des Konfliktes wurden immer lauter. Das Kurdenproblem ist DAS Problem der Türkei und hemmt den Aufstieg des Landes massiv.

derStandard.at: Ist das der einzige Grund, warum die Regierung die Gespräche vorantrieb?

Günay:Der genaue Inhalt der Gespräche ist ja mehr oder minder geheim. Es wird immer wieder spekuliert, dass die Kurdenpartei BDP - als Gegengeschäft für Zugeständnisse für die Kurden in der Verfassung - Erdogans Plan eines Präsidialsystem unterstützen würde. Sie würden ihn quasi zum Präsidenten machen. Die konkrete Gegenleistung für Öcalan soll eine Föderalisierung der Türkei sein, die vor allem den Kurden zu Gute kommen würde.

Die fehlenden Rechte der Kurden sind aber nicht das einzige demokratische Manko in der Türkei. Ich hoffe deshalb sehr, dass nicht eine autoritäre Verfassung mit einem Präsidialsystems herauskommt, in der zwar die Kurden, aber keinerlei andere Minderheiten erwähnt sind. Eine gute Lösung wäre eine Liberalisierung und Demokratisierung mit Auswirkungen auf die gesamte Türkei. (mhe, derStandard.at, 18.3.2013)