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Sonnenstrahlen werden über die Netzhaut des Auges ins Gehirn geleitet und stimulieren dort Nervenzellen. So entsteht gute Laune.

Foto: APA/Barbara Gindl

Endlich ist er da, der lang ersehnte Frühling, in den letzten Tagen saugten viele jeden Sonnenstrahl förmlich ein. Denn: Das Licht lässt die Stimmung steigen, das Aufstehen fällt morgens leichter, und insgesamt fühlt man mehr Elan. Das gilt nicht für alle: Manche fühlen sich - im Gegenteil - alles andere als fit und schlurfen niedergeschlagen durch den Tag. Warum? "Licht ist der wichtigste Taktgeber für unsere innere Uhr im Gehirn. Es verändert die Aktivität vieler Gene und Botenstoffe", sagt Horst-Werner Korf, Direktor am Dr. Senckenbergischen Chronomedizinischen Institut an der Universität Frankfurt.

Sonnenstrahlen treffen über unsere Netzhaut im Auge ins Hirn. Aber nicht über die Stäbchen und Zapfen, mit denen wir unsere Umgebung wahrnehmen, sondern über lichtempfindliche Ganglionzellen. Treffen Lichtreize auf diese Zellen, schütten sie die Botenstoffe Glutamat und PACAP aus. Diese gelangen von der Retina im Auge über Nervenfasern in das Innere des Gehirns zum sogenannten Nucleus suprachiasmaticus (SCN). Das ist ein Gebiet mit etwa 10.000 Nervenzellen und unsere wichtigste "innere Uhr". 

Wechsel der Jahreszeiten

Haben die Botenstoffe aus den Ganglionzellen den SCN erreicht, führt dies dazu, dass die Konzentration von Hormonen und anderen Stoffen im Körper steigt oder fällt. Einer der wichtigsten ist Melatonin aus der Zirbeldrüse. Je länger es nachts dunkel ist, desto mehr wird davon ausgeschüttet. "Melatonin hilft, dass wir schlafen und wieder wach werden", erklärt Steven Brown, Leiter der Chronobiologie- und Schlafforschungsgruppe an der Universität Zürich. "Außerdem hilft es, dass der Körper mit Jetlag klarkommt."

Melatonin führt zudem dazu, dass aus einem bestimmten Bereich der Hirnanhangsdrüse, der Pars tuberalis, Hormone ausgeschüttet werden. Diese beeinflussen wiederum die Bildung anderer Hormone, etwa des Stresshormons Kortisol, und liefern Rückmeldungen an den SCN. Bei Tieren steuert das ihr saisonales Verhalten: Zum Beispiel dass Igel im Winter ihren Energiehaushalt herunterfahren, schlafen und sich nicht fortpflanzen. "Die Pars tuberalis und die Hormone hat man auch beim Menschen nachgewiesen", sagt Korf, "obwohl wir keinen Winterschlaf halten, könnte das erklären, warum manche Menschen den Wechsel der Jahreszeiten spüren."

Schlüsselstellen

Auch der Stoff Serotonin wird durch Licht via Signale aus dem SCN beeinflusst. So lassen sich im Frühling und Sommer im Blut höhere Konzentrationen von Serotonin in den Synapsen des Gehirns nachweisen als im Herbst und Winter. Ein Forschungsprojekt der Med-Uni Wien mit Toronto zeigte, dass zu den dunklen Jahreszeiten mehr Transporter für Serotonin vorhanden sind. Dadurch wird Serotonin schneller in die Zellen aufgenommen und kann nicht so lange wirken. "Das könnte die Beschwerden mancher Menschen in der dunklen Jahreszeit erklären, die durch zu wenig Serotonin zustande kommen", erklärt Studienleiterin Nicole Praschak-Rieder. "Sie fühlen sich schlapp und energielos, essen mehr Süßes und brauchen mehr Schlaf."

Zu wenig Serotonin ist vermutlich auch für die saisonale Depression mitverantwortlich. Sechs von 100 Europäern leiden im Spätherbst und Winter darunter, spüren wenig Freude und Antrieb. 14 von 100 haben eine milde Form dieser Depression. "Bei einigen fängt es im September an, andere fühlen sich bis nach Weihnachten wohl", sagt Siegfried Kasper, Vorstand der Psychiatrischen Klinik an der Med-Uni Wien. Manche fühlten sich dann im März wieder besser, andere tauchen erst Ende April aus ihrem "Winterschlaf" auf. Viele könnten, berichtet Kasper, fast auf die Woche genau vorhersagen, wann sich die ersten Winterprobleme einstellen und wann sie im Frühjahr wieder abklingen werden.

Stimmungsaufheller

Helfen kann eine Lichttherapie. Dabei sitzen die Patienten täglich, am besten morgens, vor einer Lampe mit einer Lichtstärke von 2500 bis 10.000 Lux. "Die Stimmung bessert sich bei vielen oft schon nach wenigen Tagen", sagt Helge Müller, Oberarzt an der Psychiatrischen und Psychotherapeutischen Universitätsklinik Erlangen-Nürnberg. Licht scheint zum einen die Menge der Serotonin-Transporter zu reduzieren, sodass die Menge an Serotonin steigt, zum anderen bremst es die Ausschüttung von Melatonin. Nicht vergessen dürfe man aber, so Müller, dass die Lichttherapie bei manchen auch einen Placeboeffekt habe.

Manchmal empfiehlt der Psychiater die Lichttherapie auch bei Frühjahrsmüdigkeit. "Dabei kommt es vor allem im Gehirn zu Veränderungen des Hormon- und Stoffwechsels", erklärt Müller.

"Abgesehen davon sind die Menschen im Frühling aktiver - auch das macht schlapp und müde." Abklären lassen müsse man das nur, wenn die Beschwerden wochenlang andauern. Seit neuestem wird Lichttherapie auch bei anderen Krankheiten getestet. So bessern sich Schlafstörungen bei gesunden Menschen und solchen mit Demenz oder Parkinson. "Licht ist der wichtigste Faktor, um die innere Uhr zurechtzurücken, wenn sie durcheinandergeraten ist", erklärt Schlafforscher Brown.

Starke Schwankungen

Er hat herausgefunden, dass manche Menschen empfindlicher auf Licht reagieren als andere. "Das Ausmaß, wie sehr Licht die Ausschüttung von Melatonin bremst, variiert von Mensch zu Mensch", sagt er. "Das hängt vermutlich mit unterschiedlichen Signalwegen in den Zellen zusammen." Die meisten Wirkungen hat Licht auf unser Hirn. Eine große Rolle spielt jedoch auch die Wirkung auf die Haut: Dort steigert Licht die Produktion von Vitamin D. Das stärkt nicht nur die Knochen, sondern steigert auch die Immunabwehr. Und einen wichtigen, indirekten Effekt habe die Helligkeit, erklärt Neurobiologe Korf: "Wir unternehmen mehr draußen und sind aktiver - die körperliche Bewegung löst eine Flut von Glückshormonen aus." (Felicitas Witte, DER STANDARD, 22.4.2013)