Wien - Das Konzept personalisierter Krebsmedizin - der zielgerichteten und individuellen medikamentösen Therapie für einen individuellen Tumor jedes Patienten - ist nicht ganz neu. Vor rund 40 Jahren bildete die Entdeckung, dass etwa 50 Prozent aller Mammakarzinome Östrogenrezeptoren im Zellinneren haben, die Basis. Doch moderne molekularbiologischen Methoden sollen dem Konzept jetzt endgültig zum Durchbruch verhelfen.

Der amerikanische Mediziner Charles B. Huggings, hat für die Entdeckung des Einflusses von Hormonen auf Krebstumore 1966 den Medizinnobelpreis bekommen. !941 zeigte der gebürtige Kanadier erstmals, dass sich Krebszellen nicht unabhängig im Körper ausbreiten, sondern in Wachstum und Überleben von Hormonen und anderen chemischen Signalen beeinflusst werden. "Damit ebnete er den Weg für moderne Chemotherapien gegen Prostata- und Brustkrebs", sagte Christoph Zielinski, Koordinator des Comprehensive Cancer Center von MedUni Wien und AKH.

Unter anderem wies Huggins nach, dass das weibliche Geschlechtshormon Östrogen männliche Prostatatumoren kontrollieren kann. Später fand er heraus, dass sich 30 bis 40 Prozent aller fortgeschrittenen Brusttumore zurückbildeten, wenn die hormonproduzierenden Eierstöcke und Nebennieren entfernt wurden. Darauf basiert die weltweit millionenfach verwendete Diagnostik auf Östrogen-Rezeptor-positive oder -negative Mammakarzinome und die Entscheidung für oder gegen eine antihormonelle Therapie.

Größeres Zeitfenster

Die neue und auf der modernen Molekularbiologie beruhende personalisierte Krebsmedizin lässt sich aus einer Pilotstudie des US-Wissenschafters Daniel D. Von Hoff (Journal of Clinical Oncology/November 2010) ableiten: Die Wissenschaftler untersuchten 86 Patienten mit metastasierten Tumorerkrankungen und nicht mehr wirksamer Therapie auf individuelle Charakteristika der bösartigen Zellen und stimmten dann die Therapie zielgenau darauf ab. Das Ergebnis: Bei 27 Prozent der Patienten kam es aufgrund der molekularen Profil-Untersuchung und der daraus resultierenden Therapie zu einem größeren Zeitfenster bis zum Fortschreiten der Erkrankung.

In Frankreich befindet sich diese modernste Art der Krebstherapie-Abstimmung schon im Test. In einem Programm des Instituts Gustave Roussy wird bei Frauen mit metastasierendem Brustkrebs aus Gewebeproben abgelesen, auf welches der zielgerichteten Medikamente am ehesten ein Ansprechen zu erwarten ist.

"Unsere Studie deutet darauf hin, dass man die personalisierte Medizin in der Krebstherapie einführen sollte", sagte beim Europäischen Krebskongress in Wien im Oktober vergangenen Jahres Monica Arnedos, vom Insitute Gustave Roussy.

"Exact"-Projekt in Wien

Das "Exact"-Projekt der Medizinischen Universität in Wien soll die personalisierte Behandlung von Krebspatienten am Wiener AKH möglich machen. Dazu wird ein eigenes Programm vom Erstkontakt mit dem Patienten bis zum Start der Therapie entwickelt.

Vorerst werden Patienten mit Krebserkrankungen identifiziert, die auf Standardtherapien keine erfolgversprechenden Reaktionen mehr zeigen. Nach Aufklärung und Einholung der Einwilligung, werden Gewebeproben zur genaueren Untersuchung entnommen.

Im Labor wird das Tumorgewebe in Krebszellen und umgebende Zellen aufgetrennt und nach Herstellung einer Zellsuspension erfolgt eine Typisierung aufgrund der genetischen Eigenschaften. Die Untersuchung auf bestimmte Merkmale (Targets), soll die Anwendung spezifischer Wirksubstanzen nahelegen. Aus den gesammelten Informationen wird ein Behandlungsplan (Algorithmus) für jeden einzelnen Patienten abgeleitet.

Wiederholte Biopsien sollen zukünftig außerdem auch die Entwicklungsstadien der Tumore aufzeigen und eine Adaptierung der Therapie erleichtern.

Ein Tumor, neun Karzinome

Dass ein Tumor in einem bestimmten Organ entsteht, ist offenbar nur Zufall. "Krebs ist nicht eine, sondern das sind viele Erkrankungen - und wir haben sie bisher alle und international mit vergleichsweise stumpfen Waffen bekämpft," sagt der Wiener Onkologe Gerald Prager. Den Beweis dafür bietet beispielsweise die molekularbiologische Untersuchung von Prostatakarzinomen: Werden neun Proben auf Charakteristika untersucht, dann finden sich neun verschiedene Karzinome.

So kann ein Prostatakarzinom Kennzeichen von Magenkarzinomzellen aufweisen. Gibt es ein wirksames Medikament, das für Magenkarzinome zugelassen ist, könnte die Notwendigkeit entstehen, es außerhalb des genehmigten Verwendungszweckes zu nutzen. (APA/red, 22.4.2013)