Bild nicht mehr verfügbar.

Darstellung der Aorta mit abgehenden Gefäßen.

Foto: APA

Die meisten von uns sind sich der Gefahr nicht bewusst. Große Arterien verfügen normalerweise über besonders stabile Wände. Manchmal aber entwickeln diese bedrohliche Schwachstellen. Die Wände dehnen sich, es entstehen Aussackungen. Und irgendwann können diese platzen - ohne Vorwarnung.

"Aneurysmen sind regelhaft asymptomatisch", erklärt Afshin Assadian, Facharzt am Wiener Wilhelminenspital und Sprecher des Österreichischen Gefäßforums. Die Betroffenen bemerken normalerweise gar nichts, bis das geschädigte Gefäß rupturiert und es zu einer lebensgefährlichen inneren Blutung kommt. Wer Glück hat, kommt noch beizeiten ins Krankenhaus und kann durch eine Notfalloperation gerettet werden. Die Sterblichkeit ist gleichwohl erschreckend hoch. Bei manchen Aneurysma Formen erreicht sie fast 100 Prozent.

Zivilisationskrankheit

Die krankhafte Erweiterung der Gefäße ist eine degenerative Alterserscheinung, wie Assadian betont. Senioren über 65 sind die Hauptrisikogruppe. Meistens ticken die blutigen Zeitbomben im Abdominalbereich. "Das Bauchaorten-Aneurysma ist bei weitem am häufigsten", sagt der Experte. Dieser Typus bildet sich vor allem kurz oberhalb der Gabelung des Gefäßes in die Leistenarterien. Interessanterweise sind Männer viel öfter betroffen als Frauen. Das Verhältnis beträgt etwa 1:9. Anatomischen Untersuchungen zufolge sind 2,6 Prozent der männlichen Mitteleuropäer Aneurysmaträger.

Die Ursachen für die geschlechtsspezifische Häufigkeit sind noch nicht genau bekannt. Der Lebensstil dürfte eine Rolle spielen. Rauchen schadet den Gefäßwänden ebenso wie Bluthochdruck und ein erhöhter Cholesterinspiegel. Aneurysmen könnte deshalb wie jeder anderen Gefäßerkrankung vorgebeugt werden, meint Afshin Assadian.

Ein Vorteil ist, dass viele Aneurysmen rechtzeitig erkennbar sind. Ein systematisches Screening wäre sinnvoll, wird hierzulande aber nicht von den Krankenkassen unterstützt, im Gegensatz zu Großbritannien und den USA. Mittels Ultraschall lassen sich vor allem die erweiterten Bauchaorten leicht aufspüren.

Für eine präzise Vermessung setzen Ärzte jedoch bevorzugt auf die Computertomografie. Das Wachstum eines Aneurysmas ist direkt abhängig von seiner bereits erreichten Größe, und auch das Risiko einer Ruptur nimmt dabei rasch zu. Es ist eine Frage der Physik: je größer der Durchmesser, desto größer auch die Belastung der Gefäßwand, ähnlich wie bei einem Luftballon. Die Spannung steigt exponentiell an. Fünf Zentimeter Durchmesser gelten bei Bauchaorten-Aneurysmen allgemein als kritische Grenze. Ab dieser Größe sollte ein operativer Eingriff in Erwägung gezogen werden.

Fortschritte in OP-Technik

Ursprünglich wurden derartige Behandlungen im offenen Verfahren durchgeführt. Solche Operationen per Bauchschnitt sind aufwändig und dauern mitunter viele Stunden. Für den Patienten stellen sie oft erhebliche Belastungen dar. Um diese zu vermeiden, ist man seit den Neunzigern zunehmend dazu übergegangen, Bauchaorten-Aneurysmen endoluminal zu behandeln - durch das Einpflanzen von röhrenförmigen Prothesen, sogenannter Stents, auch Endografts genannt, welche über die Leistenarterien eingeführt und mit Drähten an die richtige Position im aufgeblähten Gefäß geschoben werden. Dort falten sich die Stents auf und verankern sich in der Aorta. Der Blutstrom fließt auf diese Weise vollständig durch die Prothese und übt keinen Druck mehr auf die gedehnte Gefäßwand aus.

Komplikationen sind bei der Endograft-Methode seltener als bei offenen Operationen, erklärt Dittmar Böckler, Gefäßchirurg an der Universitätsklinik Heidelberg. "Die Grunderkrankung eines Aneurysmas ist fast immer eine Arteriosklerose, und das sind die Menschen mit einem erhöhten Herzinfarktrisiko." Die bisher eingesetzten Stents haben jedoch auch Nachteile: Mit der Zeit neigen sie zum Verrutschen, oder es entstehen neue Blutflüsse außerhalb der Prothese. Dann muss nachgebessert werden. Um diese Probleme zu lösen, haben Fachleute " Nellix", eine neue Variante des Endografts, entwickelt. Sie besteht aus zwei künstlichen, nebeneinanderliegenden Gefäßröhrchen und einem speziellen Kunststoffbeutel. Letzterer wird nach dem Einpflanzen mit einem Polymer gefüllt. "Das Aneurysma wird ausgeschäumt", sagt Böckler. Die Prothesen liegen anschließend fest im Polymer eingebettet, es gibt keinen Raum mehr für Nebenblutungen.

Nach ersten Tests in Neuseeland und Litauen wird der praktische Einsatz von Nellix zurzeit in 20 verschiedenen Spitälern in Europa und den USA erprobt. Dittmar Böckler und sein Heidelberger Team haben die neue Methode im vergangenen Februar erstmalig in Deutschland angewendet - mit Erfolg. Nun wartet man auf die Langzeitergebnisse. (Kurt de Swaaf, DER STANDARD, 29.4.2013)