Was wird verhandelt?

Das Trio Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt soll von 1998 bis 2011 als "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) zahlreiche Verbrechen in Deutschland verübt haben. Zwischen 2000 und 2006 soll es sechs türkische Staatsbürger, zwei türkischstämmige Deutsche und einen Griechen ermordet haben. 2007 wurde in Heilbronn eine deutsche Polizistin erschossen und ihr Kollege schwer verletzt, auch dahinter wird der NSU vermutet. Außerdem soll das Trio zwei Sprengstoffanschläge und 15 Banküberfälle verübt haben. Diese Verbrechen gilt es nun aufzuklären, verantworten dafür muss sich aber nur Zschäpe. Mundlos und Böhnhardt starben im November 2011, Mundlos soll zuerst Böhnhardt und dann sich selbst erschossen haben.

Was wird der Hauptangeklagten Beate Zschäpe vorgeworfen?

Beate Zschäpe ist angeklagt wegen Mittäterschaft an zehn Morden. Auch muss sie sich für versuchten Mord in 28 Fällen verantworten. Bei 25 davon geht es um die beiden Sprengstoffanschläge, die restlichen drei beziehen sich darauf, dass sie nach dem Tod von Mundlos und Böhnhardt die gemeinsame Wohnung in Zwickau in Brand gesetzt haben soll. Dadurch, so die Anklage, habe sie sich wegen versuchten Mordes an einer Nachbarin und zwei Handwerkern strafbar gemacht. Deshalb wird ihr auch besonders schwere Brandstiftung vorgeworfen. Die restlichen Anklagepunkte sind räuberische Erpressung (die Banküberfälle) und Bildung einer terroristischen Vereinigung.

Im Bild: Die mutmaßlichen Mordopfer des NSU. Erste Reihe von links nach rechts: Enver Simsek, Abdurrahim Özüdogru, Süleyman Tasköprü, Habil Kilic und Michèle Kiesewetter. Zweite Reihe von links nach rechts: Mehmet Turgut, Ismail Yasar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubasik und Halit Yozgat. (Foto: AP/BKA)

Wieso wird Zschäpe der Mittäterschaft angeklagt? Sie war doch an den Taten vermutlich nicht direkt beteiligt.

In Paragraf 25, Absatz 2 des deutschen Strafgesetzbuches heißt es: "Begehen mehrere die Straftat gemeinschaftlich, so wird jeder als Täter bestraft (Mittäter)." Mittäter haben einen gemeinsamen Tatplan, und jeder will die Tat als seine eigene sehen. Um als Mittäter zu gelten, muss man auch einen eigenen Tatbeitrag leisten. Mittätern wird dann nicht nur der eigene Beitrag, sondern die ganze Tat zugerechnet.

Ganz wichtig: Der eigene Tatbeitrag muss nicht unbedingt am Tatort erfolgen. Es reicht grundsätzlich, wenn die gemeinsame Tat gefördert wird. In diese Richtung geht auch die Auffassung der Bundesanwaltschaft. Zschäpe hat die Taten zwar vermutlich nicht selbst durchgeführt, aber laut Anklageschrift von den Taten gewusst und sie maßgeblich unterstützt.

Was sind die konkretesten Beweise gegen das NSU-Trio?

Die Tatwaffen der zehn Morde wurden in der ausgebrannten Wohnung des NSU-Trios in Zwickau sichergestellt. Fingerabdrücke oder DNA-Spuren konnten darauf aber nicht mehr entdeckt werden. Auch die Dienstwaffen und Ausrüstungsgegenstände der angegriffenen Polizisten in Heilbronn befanden sich in der Wohnung. Weiters wurde dort eine Trainingshose mit Blutflecken der getöteten Polizistin gefunden. In der Hosentasche befand sich ein Taschentuch mit DNA-Spuren von Uwe Mundlos.

Wer ist noch angeklagt?

Neben Zschäpe werden noch vier Männer auf der Anklagebank sitzen. Ralf Wohlleben und Carsten S. müssen sich wegen Beihilfe zum Mord verantworten. Holger G. und André E. stehen wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung vor Gericht. Sie gelten momentan als die wichtigsten Unterstützer des NSU. 

Es werden zahlreiche weitere NSU-Unterstützer vermutet. Wieso sind die nicht angeklagt?

Die Ermittler vermuten, dass bis zu 129 Personen den NSU unterstützt haben könnten. Einige Unterstützungstaten geschahen vor dem ersten Mord im Jahr 2000, sie sind also verjährt. Bei anderen Personen ist die Beweislage einfach noch zu dünn, es wird aber weiter ermittelt. Weitere Prozesse zu einem späteren Zeitpunkt sind also möglich. Abgesehen davon wird spekuliert, dass sich die Bundesanwaltschaft durch ihr Vorgehen einen taktischen Vorteil verschaffen will und darauf hofft, dass der jetzige Prozess neue Informationen zu noch unbekannten Unterstützern liefert.

Warum findet der Prozess in München statt?

Die Bundesanwaltschaft hatte die Wahl, da die NSU-Morde in verschiedenen deutschen Bundesländern verübt wurden. Fünf davon fanden in Bayern statt, deshalb entschied man sich für den Freistaat. Terrorismus fällt in den Bereich Staatsschutzsachen, und dafür sind in erster Instanz die Oberlandesgerichte (OLG) zuständig. Jedes Bundesland muss ein OLG für diese Prozesse benennen, in Bayern ist es das OLG München.

Im Bild: Das Gerichtsgebäude in München, in dem der NSU-Prozess stattfinden wird. (Foto: Reuters/Dalder)

Warum wurde der Prozess von 17. April auf 6. Mai verschoben?

Das OLG München hatte die 50 für die Presse vorgesehenen Plätze im Gerichtssaal anfangs strikt nach der Reihenfolge der Anmeldungen vergeben. Türkische und griechische Medien gingen dabei leer aus, die türkische Zeitung "Sabah" zog daraufhin vor das Bundesverfassungsgericht und bekam Recht. Die Richter in Karlsruhe ordneten an, dass eine angemessene Anzahl von Sitzplätzen für Medien mit besonderem Bezug zu den Opfern reserviert werden müsse.

Die Presseplätze wurden daraufhin mit besonderer Berücksichtigung türkischer und griechischer Medien verlost. Für Wirbel hat die neuerliche Vergabe aber trotzdem gesorgt, weil viele renommierte Medien leer ausgegangen sind. Und das Gericht einem WDR-Mitarbeiter einen Platz zugesprochen hat, obwohl der seine Akkreditierung zuvor zurückgezogen hatte. Der Platz musste neu verlost werden.

Wieso ist man nicht in einen größeren Gerichtssaal ausgewichen?

Ganz einfach: In München gibt es keinen Gerichtssaal, der für einen Prozess dieser Größenordnung geeignet wäre. Schließlich müssen neben den 50 Medienvertretern noch 77 Nebenkläger und ihre 53 Anwälte, fünf Angeklagte und ihre elf Anwälte, vier Bundesanwälte und neun Richter Platz haben. Zumindest wurde der betreffende Saal extra für den NSU-Prozess auf 230 Sitzplätze erweitert.

Einem Umzug in größere, externe Räumlichkeiten wurde eine Absage erteilt. Einerseits könnte das ein Revisionsgrund sein, andererseits geht es auch um eine Frage der Sicherheit. "Wir sind dafür verantwortlich, dass dieses Verfahren sicher durchgeführt wird", meinte Karl Huber, Präsident des Münchner OLG, kürzlich bei einer Pressekonferenz. Es gebe ein "erhebliches Gefährdungspotenzial" im Hinblick auf Anschläge, und der Sitzungssaal in der Nymphenburger Straße sei laut Huber am besten gegen Angriffe von außen gesichert.

Welche Kommunikationskanäle aus dem Gerichtssaal wird es geben?

Keine. Elektronische Geräte müssen im Gerichtssaal ausgeschalten sein, Online-Live-Berichte und Twittern sind also nicht möglich.

Großer Zankapfel im Vorfeld war der Vorschlag einer Video-Übertragung des Prozesses in einen zweiten Saal, um so das Platzproblem bei den Medienvertretern zu lösen. OLG-Präsident Huber lehnte dies unter Verweis auf § 169 Satz 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes ab. Demnach sind Ton- und Filmaufnahmen "zum Zweck der öffentlichen Vorführung" verboten. Dabei stellt sich eigentlich die Frage, ob eine Übertragung ausschließlich für akkreditierte Journalisten als "öffentliche Vorführung" zu werten ist. Huber stellte sich diese Frage aber nicht. Übrigens: In Norwegen war eine Videoübertragung des Breivik-Prozesses für die internationale Presse kein Problem.

 

Im Bild: Eine twitterfreie Zone. (Foto: Reuters/Dalder)

Wie lange soll der Prozess dauern?

Die Anklageschrift gegen Beate Zschäpe ist 488 Seiten und 1.654 Fußnoten lang, der Umfang der Verfahrensakten soll rund 1.000 Aktenordner betragen. Außerdem sind bislang schon mehr als 600 Zeugen geladen. Um das alles abzuarbeiten, wurden 85 Verhandlungstage bis Jänner 2014 eingeplant. Gerechnet wird aber mit einer deutlich längeren Dauer des Prozesses, einige Rechtsexperten erwarten erst nach zweieinhalb Jahren ein Urteil.

Zu welchen Konsequenzen hat die NSU-Mordserie bisher geführt?

Aufgrund zahlreicher Ermittlungspannen bei der NSU-Mordserie ist der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Heinz Fromm, zurückgetreten. Länderchefs des Verfassungsschutzes aus Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Berlin nahmen ebenfalls ihren Hut. Zudem sollen parlamentarische Untersuchungsausschüsse im Bundestag, Thüringen, Sachsen und Bayern das offensichtliche Versagen der Behörden aufarbeiten.

Um Ermittlungspannen in Zukunft zu verhindern, wurde eine Neonazi-Datei ins Leben gerufen, in der Ermittler aus Bund und Ländern Informationen über Rechtsextremisten bündeln. Auch wurde ein gemeinsames Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus in Köln und Meckenheim eingerichtet. Weitere Maßnahmen zielen darauf ab, im Umgang mit V-Männern und deren Informationen einheitliche Kriterien aufzustellen, die Zusammenarbeit zwischen Bund und Land zu optimieren und die Arbeit des Verfassungsschutzes im Allgemeinen transparenter zu machen. Work in progress.

Auf politischer Ebene wird vom deutschen Bundesrat ein neuer Versuch gestartet, die rechtsextreme NPD zu verbieten. Zahlreiche Personen im Umfeld des NSU-Trios sollen nämlich eine Nähe zu dieser Partei aufweisen.

Was ist im NSU-Prozess von Beate Zschäpe zu erwarten?

Schweigen. Sie hat das seit ihrer Festnahme am 8. November 2011 konsequent gemacht und will das nun auch beim Prozess fortsetzen, wie ihre Anwältin Anja Sturm vor wenigen Wochen sagte. Allerdings ist sie die einzige noch lebende Person, die weiß, was wirklich passiert ist. Und die vielen Fragen der der Opfer-Angehörigen beantworten könnte. Vor allem die Frage nach dem Warum. Hoffnung macht die Aussage, die Zschäpe direkt nach ihrer Festnahme getätigt hat, als sie dem Ermittlungsrichter in Karlsruhe vorgeführt wurde: Sie habe sich "nicht gestellt, um nicht auszusagen".

Im Bild (von links nach rechts): Beate Zschäpes Anwälte Wolfgang Stahl, Anja Sturm und Wolfgang Heer. (Foto: Reuters/Fassbender)

Welche Bedeutung hat der NSU-Prozess?

Der NSU-Prozess gilt schon jetzt als einer der wichtigsten Prozesse der deutschen Nachkriegsgeschichte. Ihm obliegt die Aufgabe, das stark angekratzte Vertrauen in den deutschen Rechtsstaat wiederherzustellen und die zahlreichen Ermittlungspannen vergessen zu machen. Vor allem geht es um Wiedergutmachung bei den Angehörigen der Opfer, schließlich wurden die anfangs als Täter verdächtigt. Das Chaos um die Presseplätze hat die Aufgabe nicht leichter gemacht. (Kim Son Hoang, derStandard.at, 5.5.2013)