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Im Rahmen der Masektomie erfolgt eine Sofortrekonstruktion der Brust.

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Christian Singer ist Leiter der Ambulanz für erblichen Brust- und Eierstockkrebs am Wiener AKH.

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Die US-Schauspielerin Angelina Jolie hat sich vorbeugend beide Brüste amputieren lassen (derStandard.at berichtete). Sie ist Trägerin des BRCA1-Gens. Etwa 85 von 100 Frauen mit einer Genveränderung erkranken im Laufe ihres Lebens an Brustkrebs, 65 von 100 Frauen an Eierstockkrebs. In Österreich lassen sich 20 Prozent der Frauen mit dem Brustkrebsgen BRCA1 oder BRCA2 die Brüste prophylaktisch mastektomieren, sagt Christian Singer, Leiter der Ambulanz für erblichen Brust- und Eierstockkrebs am Wiener AKH.

derStandard.at: Angelina Jolie hat sich beide Brüste amputieren lassen. Wie viele Frauen sind in Österreich von so einer Genmutation betroffen?

Singer: Wir wissen, dass etwa eine von 700 Frauen in Österreich eine Veränderung in einem der beiden Brustkrebsgene BRCA1 oder BRCA2 aufweist und dass diese Genveränderung mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit zu Brust- oder Eierstockkrebs führt. Wir schätzen, dass 85 von 100 Frauen mit einer Genveränderung im Laufe ihres Lebens an Brustkrebs erkranken und 65 von 100 Frauen an Eierstockkrebs. Und das passiert sehr früh. Typischerweise erkranken diese Frauen unter 35. Frauen zwischen 28 und 30 Jahren, die an Brustkrebs erkranken, sind keine Seltenheit.

derStandard.at: Wie kann diese Genmutation nachgewiesen werden?

Singer: In Österreich mittels Mutationsanalyse. Dieser Test ist für sozialversicherte Frauen, die bestimmte Kriterien erfüllen, kostenlos. Früher wurde er aus Forschungsgeldern finanziert, seit fünf Jahren übernehmen Bund, Krankenanstaltenverbund und Hauptverband der Sozialversicherungen die Kosten. Bezahlt wird, wenn eine Familienkonstellation besteht, die es als sehr wahrscheinlich erscheinen lässt, dass eine Genveränderung vorliegt.

derStandard.at: Ist ein positives Testergebnis die Voraussetzung für Frauen, sich die Brüste entfernen zu lassen?

Singer: Wir bieten Frauen, bei denen eine Genveränderung gefunden wurde, vorbeugende Brustentfernungen an. Wenn keine Mutation gefunden wird, tun wir das nicht. Es gibt immer wieder Frauen, die große Panik haben, an Brustkrebs zu erkranken, aber diesen bieten wir die Mastektomie trotzdem nicht a priori an. Wenn eine Genveränderung vorliegt, dann ist die prophylaktische Mastektomie eine vernünftige Maßnahme und wird auch mehr und mehr in Anspruch genommen.

derStandard.at: Wie viele Frauen lassen sich in Österreich prophylaktisch mastektomieren?

Singer: In Österreich lassen sich etwa 20 Prozent der Frauen, die eine Genveränderung haben, die Brüste amputieren. Das ist noch sehr wenig, aber natürlich eine Entscheidung, die die Frau selbst zu treffen hat. Wir können nur nichtdirektiv beraten, also keine Empfehlung abgeben. Es gibt ein Gefälle zwischen nord- und südeuropäischen Staaten. In Schweden lassen 70 bis 80 Prozent der betroffenen Frauen eine prophylaktische Brustentfernung durchführen, in den USA sind es etwa 50 Prozent, in Italien wird das kaum in Anspruch genommen. In Österreich liegen wir also etwa im Mittelfeld.

derStandard.at: Werden da gleichzeitig prophylaktisch auch die Eierstöcke entfernt?

Singer: Das hängt wieder davon ab, was die Patientin wünscht. Wir wissen, dass die alleinige Entfernung der Eierstöcke das Eierstockkrebsrisiko dramatisch reduziert und gleichzeitig auch das Brustkrebsrisiko halbiert. Werden bei Mutationsträgerinnen Brüste und Eierstöcke kombiniert entfernt, besteht die größte Sicherheit.

derStandard.at: Wann erhärtet sich der Verdacht einer genetischen Veranlagung zu Brustkrebs?

Singer: Bei einer familiären Disposition kann man sich an eines der fünfzig Beratungszentren in ganz Österreich wenden. Im Fall, dass ein bestimmter Kriterienkatalog erfüllt ist und die Patientin das wünscht, wird ein genetischer Test angeboten. Dabei handelt es sich um eine sehr aufwendige, komplizierte und teure Mutationsanalyse. Die Analyse ist kostenlos, wenn folgende Kriterien zutreffen: ein Fall von Brustkrebs in der Familie unter 35 Jahren oder zwei Fälle von Brustkrebs in der Familie unter 50 Jahren oder drei Fälle von Brustkrebs unter 60 Jahren oder Brustkrebs unter 50 Jahren und Eierstockkrebs oder zwei Eierstockkrebsfälle in der Familie. Hier ist die Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer Genveränderung ausreichend groß und die Rechtfertigung für den Test gegeben.

derStandard.at: Kann der Mutationstest auch zu falsch positiven Ergebnissen führen?

Singer: Da der Test wiederholt wird, kann nahezu ausgeschlossen werden, dass es zu einem falsch positiven Ergebnis kommt. Falsch positive Ergebnisse liegen hier im Promillebereich. Was wir mehr fürchten, ist, dass wir eine Mutation übersehen. Aber bei den modernen Technologien, die uns heute zur Verfügung stehen, ist das eigentlich kein Thema mehr.

derStandard.at: Ist der präventive Nutzen einer prophylaktischen Mastektomie belegt?

Singer: Die prophylaktischen Operationen werden schon viele Jahre in vielen Ländern durchgeführt. Das Brustkrebsrisiko kann damit um 80 bis 90 Prozent reduziert werden. Eine Reihe mathematischer Modelle zeigen: Werden die Eierstöcke relativ früh prophylaktisch entfernt, etwa mit 40 Jahren, und die Brüste ebenfalls relativ früh, mit 25 bis 30 Jahren, liegt die Überlebenswahrscheinlichkeit für betroffene Frauen fast bei der von Frauen ohne Genveränderung.

derStandard.at: Nach der Mastektomie wird die Brust rekonstruiert. Ist diese Lösung für die Frauen befriedigend?

Singer: Wir bieten seit einigen Jahren eine Sofortrekonstruktion an, das heißt, die Frau wacht nach der Operation wieder mit Brüsten auf. Das ist kosmetisch akzeptabel. Inzwischen sind wir so weit, dass wir diese Sofortrekonstruktion über einen sechs bis sieben Zentimeter langen Schnitt unterhalb der Brust machen; das ist die Stelle, wo auch plastische Chirurgen Brustvergrößerungen durchführen.

derStandard.at: Wie oft kommt das genetisch bedingte Mammakarzinom bei Männern vor?

Singer: Der Gendefekt ist häufig die Ursache dafür, dass Männer an einem Mammakarzinom erkranken. Aufgrund der Seltenheit des männlichen Mammakarzinoms gibt es aber nur wenige Aussagen dazu. Brustkrebs ist beim Mann etwa hundertmal seltener als bei der Frau. Fast alle betroffenen Männer werden genetisch getestet und sind häufig positiv. (Regina Walter/Eva Tinsobin, derStandard.at, 14.5.2013)