Ich habe mir anfangs gedacht, dass ein Monat in Mexico City ziemlich viel Zeit ist. Nun, es ist gar nicht so viel Zeit, wenn man Mole Negro machen möchte. Es reicht mitunter gar nicht aus, zumindest, wenn man die Sauce so ernst nimmt wie die Köche des Pujol in Mexico City. Die basteln bisher seit 60 Tagen an ihrer Mole Negro. Und damit ist noch lang nicht Schluss.

Mole ist so etwas wie das mexikanische Nationalgericht. Im Westen gern als "Schokoladensauce für Geflügel" missverstanden, bezeichnet der Begriff eine ganze Reihe teilweise sehr verschiedener Saucen, die grob gemeinsam haben, dass sie zu einem Gutteil auf Chilis basieren (was nicht heißt, dass sie unbedingt furchtbar scharf sein müssen) und aus erschreckend vielen Zutaten bestehen. Sie haben etwas geschafft, was nicht vielen Saucen auf dieser Welt vergönnt ist: Sie sind kein Beiwerk, Geschmacksunterstreicher oder Fleischbefeuchter, sondern der Star des Essens. Der Mexikaner isst Mole mit Huhn, nicht Huhn mit Mole.

Vom Betreuungsaufwand mehr ein Haustier als ein Gericht

Die Mole Negro wiederum ist eine Unterart der Sauce, die aus Oaxaca stammt und als ganz besonders aufwendig gilt. Sie ist so etwas wie die Sauce gewordene Langsamkeit, das flüssige Äquivalent eines guten Sauerteigs. Vom Betreuungsaufwand her erinnert Mole Negro mehr an ein Haustier als ein Gericht: Mehrmals täglich wird sie hervorgeholt, gepflegt und gefüttert. Sie glänzt in einem wunderschönen, dunklen Schokobraun, ihre Konsistenz erinnert eher an Creme denn an Sauce. Ihr Mundgefühl ist beeindruckend befriedigend, ihr erdiger Geschmack erstaunlich komplex, er oszilliert zwischen scharf, süß und bitter, geröstet. Und mit jedem Moment, den man sie länger im Mund behält, verändert er sich ein wenig.

Foto: Tobias Müller

Wie ein gutes Barbecue ist Mole machen traditionell ein sehr gemeinschaftliches Erlebnis – vom Rösten der Zutaten, über das Mahlen, das Essen bis hin zum abschließenden Aufteilen der Reste. Traditionell wird Mole vor großen Festen, Hochzeiten, Taufen, Muttertag, hausgemacht. Was übrig bleibt, bekommen die Gäste als Geschenk mit nach Hause.

Muttermole

Das Pujol will diesen Brauch ausbauen: Vor 60 Tagen hat Luis, der Entwicklungskoch des Restaurants, seine sogenannte Muttermole angesetzt. Sie wird seither täglich drei Mal aufgekocht und reduziert, wenn nur mehr wenig von ihr übrig ist, wird sie mit neuem Pulver angereichert und mit Wasser aufgefüllt. So soll sich über die kommenden Jahre die ultimative Mole Negro entwickeln.

Foto: Tobias Müller

Seit ich den großen Topf mit der dunklen, dicke Blasen werfenden Flüssigkeit vor zwei Wochen erstmals gesehen habe, bin ich meinen Betreuer-Köchen in den Ohren gelegen, dass ich unbedingt Mole mitmachen möchte. Jetzt darf man es in Mexico nicht eilig haben, und wenn jemand "Kein Problem" sagt, dann wird es meistens schwierig. Sicher, sicher, haben meine Betreuungsköche stets gesagt, morgen wird Luis Mole machen. Die Antwort haben sie fast zwei Wochen lang täglich wiederholt. Bis vergangenen Mittwoch. Da hat Luis tatsächlich Mole gemacht. Oder fast, das Mahlen wurde dann auf Donnerstag verschoben.

Luis' Mole Negro – für Leute mit viel Zeit und einer Mühle

Die Zutaten reichen für fünf Liter Mole, genug für eine sehr anständige Gartenparty. Die Basis lässt sich sehr gut einfrieren, die Menge ist aber zugegeben für eine handelsübliche Küchenmaschine etwas üppig. Man braucht:

420 Gramm getrocknete Chili Chilhuacle (je 140 Gramm gelb, rot und schwarz)
140 Gramm getrocknete Pasilla Chilis
50 Gramm getrocknete Chipotle Chili (Geräucherte Chalapenos)
3 Kilo sehr reife Tomaten
1 Kilo weiße Zwiebel, geviertelt
1 Kilo Bananen
50 Gramm Knoblauch
10 Gewürznelken
10 Pfefferkörner
10 Neugewürz (Piment)-Körner
80 Gramm Zimt, im Ganzen
10 Gramm frischer Ingwer, mit Schale
5 Gramm Anis
250 Gramm Sesam
125 Gramm Walnüsse
125 Gramm Mandeln
125 Gramm Cashew-Nüsse
125 Gramm Rosinen
10 Dörrpflaumen
2 Muskatnüsse

(Anmerkung: Was dem Inuit der Schnee ist dem Mexikaner die Chili: er kennt sehr viele verschiedene Arten. Chili Chilhuacle ist eine auch in Mexiko sehr rare und äußerst teure Sorte, die Luis benutzt, weil sie besonders komplex schmecken, das Pujol ein Nobelrestaurant ist und die Frau des Chefs sie anbaut. In Österreich ist sie eher nicht zu bekommen. Greifen Sie daher auf das zurück, was erhältlich ist und plaudern am besten davor mit dem Chilifachhändler Ihres Vertrauens. Wichtig ist nur, dass die Chilis nicht zu scharf sind – das hier ist kein Thai-Curry.)

Foto: Tobias Müller

Rösten Sie alle Zutaten, idealerweise auf einem riesigen mexikanischen Tonteller, einem sogenannten Comal, über offenem Feuer. Eine Pfanne und ein Herd oder Grill tuns aber auch. Beginnen Sie mit dem Gemüse: Es darf ruhig eine halbe Stunde rösten – Die Tomaten sollen aufplatzen und karamellisieren, die Zwiebel an einigen Stellen anbrennen und die Bananen schön weich werden und süß und leicht alkoholisch schmecken.

Foto: Tobias Müller

Fahren Sie mit den Nüssen, dem Dörrobst und den Gewürzen fort. Rösten Sie sie nur kurz, gerade so lange, dass sie einen angenehmen Geruch verbreiten und geben Sie den Knoblauch ganz am Schluss dazu. Vorsicht: Die Sesamkörner könnten Ihnen ein wenig um die Ohren fliegen.

Foto: Tobias Müller

Die Chilis, der wichtigste Bestandteil, müssen so richtig geröstet, um nicht zu sagen, verbrannt werden: Sie sollen noch nicht zu Asche verfallen, aber definitiv dunkelstbraun bis schwarz und krebserregend aussehen. Ein heißes Backrohr (etwa 220 Grad) mit guter Belüftung ist hierfür am besten geeignet. Vorsicht: Die Chilis verströmen, kurz bevor sie fertig sind, einen beißenden Geruch, der noch den hartgesottensten mexikanischen Koch hustend in die Flucht geschlagen hat.

Foto: Tobias Müller

Packen Sie die Chilis in einen Topf und die restlichen Zutaten in einen anderen und fahren Sie nun idealerweise in eine Mühle. In Mexiko City ist eine solche vergleichsweise leicht zu finden: Menschen kommen hierher, um sich ihr Tortilla-Mehl mahlen zu lassen, ihre alten Kekse, einige Gewürze und Trockenfrüchte zu Adobo zu verarbeiten, dem mexikanischen Dry Rub für Barbecue, oder eben um eine richtig gute Mole-Basis zu bekommen.

Foto: Tobias Müller

Sicher, seit es Molepulver auch hier fertig auf jedem Markt zu kaufen gibt, sind die Selbstmahler seltener geworden. In die Mühle, die Luis frequentiert, kommen aber täglich immer noch etwa 60 Leute für Mole vorbei. Und rund um den Muttertag sind es leicht 120. In Österreich könnte es schwieriger werden, eine echte Mühle zu finden. Wer zu Konsistenz-Kompromissen bereit ist, greift zur Gewürzmühle oder Küchenmaschine.

Foto: Tobias Müller

Mahlen Sie erst die Chilis zu einem schwarzen Pulver, mischen Sie es unter die restlichen Zutaten und verarbeiten Sie das alles zu einem Brei.

Foto: Tobias Müller
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Das Ergebnis sollte eine sehr dunkle, leicht scharfe Paste sein, deren Konsistenz ein wenig an weiche Götterspeise erinnert (sie wabbelt lustig, wenn man sie mit dem Löffel stößt).

Foto: Tobias Müller

Diese Paste wird schließlich kurz in Öl gebraten, bis die ganze Küche herrlich riecht.

Foto: Tobias Müller

Anschließend tropfen Sie sie ab, mischen Sie mit Wasser, bis sie die gewünschte Konsistenz erreicht hat (etwa 1:1) und kochen das ganze kurz auf. Von nun an kochen Sie sie täglich drei Mal für etwa eine Stunde auf und fügen neue Gewürzpaste und Wasser nach Bedarf hinzu.

Foto: Tobias Müller

Wann immer Ihnen danach ist, servieren Sie sie nach Belieben. Kurz bevor Sie ihre Mole auftischen (nicht früher) mischen Sie auf 5 Liter 300 Gramm Zucker und ein Kilo echten Kakao dazu. Traditionell wird Mole Negro über Geflügel gekippt. Das Pujol tut aber meiner Meinung nach das einzig Vernünftige: Es serviert die Mole ohne störendes Beiwerk, bloß so, für sich, auf einer weichen Tortilla und mit etwas frisch geröstetem Sesam bestreut, für den Biss. Mehr ist ihr nicht hinzuzufügen.

Foto: Tobias Müller

(Tobias Müller, derStandard.at, 20.05.2013)