Die Nachrichtenansicht der "Hangouts" ist sehr gut gelungen.

Grafik: Google

Auch sonst gibt es an Android- und iOS-App wenig auszusetzen. Umgewöhnen heißt es hingegen für frühere Google-Talk-NutzerInnen bei der Sortierung der Kontakte.

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Der Web-Client ist vergleichsweise spärlich ausgefallen, verrichtet seine Arbeit aber zuverlässig. Im Bild zu sehen: Ein Teil der 850 verfügbaren Emojis.

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Ein echtes Highlights der "Hangouts" ist der Video-Chat mit bis zu 10 Personen.

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Messenger-Lösungen haben gerade in den letzten Monaten einen nicht zu unterschätzenden Boom erfahren: Ob WhatsApp, Facebook Messenger oder iMessage, immer häufiger werden sie als zentrale Kommunikationsinfrastruktur genutzt, die nicht nur E-Mails und SMS sondern auch zum Teil klassischen sozialen Netzwerken Konkurrenz machen. Das Ergebnis: Aktuell werden weltweit bereits mehr Nachrichten per Messenger als SMS verschickt.

Der Drang

Kein Wunder also, dass alle großen "Player" im Softwarebereich danach trachten, eigene Messenger-Lösungen zu etablieren. Und da darf natürlich Google nicht fehlen, immerhin hat das Unternehmen mit Google Talk hier historisch ein starkes Standbein. Im Vergleich zu modernen Messenger-Lösungen erfüllt dieses allerdings nicht mehr ganz die Anforderungen der Zeit, vor allem was den Umgang mit multimedialen Inhalten und Gruppen-Kommunikation betrifft. Also hat Google immer wieder neue Lösungen in diesem Bereich etabliert, die Situation damit aber eigentlich nur schlimmer gemacht, ist doch so ein recht unübersichtlicher Wildwuchs an separaten Lösungen entstanden. Neben Google Talk gab es zuletzt den Google+ Messenger, die Nachrichten bei Google Voice sowie die Google+ Video-Hangouts - von Klassikern wie SMS mal ganz abgesehen.

Versprechen

Dies soll nun ein Ende haben: Mit den im Rahmen der I/O 2013 vorgestellten "Hangouts" will Google eine einheitliche Messenger-Lösungen etablieren, und dies noch dazu plattformübergreifend. So gibt es die "Hangouts" vom Start weg nicht nur als App für Android und iOS sondern auch als Bestandteil von Gmail und Google+ - also quasi für den Desktop. Dass das Versprechen der Vereinheitlichung derzeit trotzdem eher theoretischer Natur ist, wird sich später noch zeigen, zunächst einmal ein Blick auf die Kernfunktionalität.

Optik: Plus

Die Konversationsansicht ist optisch ansprechend umgesetzt, Bilder und neue Meldungen werden dabei nicht all zu aufdringlich animiert ins Bild geschoben. Ist ein Mitdiskutant gerade am Tippen, wird dies - wie von anderen solchen Lösungen bekannt - ebenfalls visualisiert. Eine nette Spezialität der Hangouts ist allerdings, dass über einen Mini-Avatar angezeigt wird, wie weit die andere Person bereits gelesen hat. Ist ein Diskussionsteilnehmer gerade nicht aktiv beteiligt, erscheint dessen Mini-Grafik weniger farbintensiv.

Android-Vorteile

Das Design der Android-App weiß besonders gut zu gefallen. So kann hier mit einem Swipe schnell zwischen aktueller Diskussion und Überblicksansicht gewechselt werden. Ebenfalls nett ist, dass mit solch einer Wischbewegung flink einzelne Konversationen archiviert werden können. Die Web-Version fällt dagegen etwas ab, wirkt eher wie eine nur leicht angepasst Version des bekannten Google-Talk-Clients - was sie wohl auch ist.

Smile!

Sowohl mobilen als auch Web-Versionen ist eine beeindruckende Zahl von "Emojis" gemein, nicht weniger als 850 der Mini-Grafiken sollen etwas Pepp in die Text-Diskussionen bringen. Die meist genutzten werden dabei in einer eigenen Kategorie zusammengefasst, um den Zugriff nicht all zu unübersichtlich werden zu lassen.

Logging

Von Haus aus werden sämtliche Diskussionen mitgeloggt, können also auch später noch nachgelesen werden. Wer dies nicht will, kann allerdings gezielt bei einzelnen Konversation das Mitspeichern des Verlaufs deaktivieren. Zusätzlich gibt es nachträglich die Möglichkeit eine Konversation vollständig zu löschen, anstatt sie wie von Haus aus nur zu archivieren.

Benachrichtigungen

Von Haus aus wird über jeden neuen Beitrag per Benachrichtigung informiert, dies kann bei der App allerdings ebenfalls einzeln deaktiviert werden. Außerdem können die NutzerInnen eine zeitlich begrenzte Benachrichtigungspause festlegen, beispielsweise um in den kommenden drei Stunden keine Hinweise auf neue Beiträge mehr zu erhalten.

Ordnungsprinzip: Circle

Eine wichtige Rolle nehmen die von Google+ bekannten "Kreise" ein, werden so doch die eigenen Kontakte organisiert. Wer will kann dann flott Gruppendiskussionen mit ganzen "Circles" initiieren, andererseits dienen diese Gruppen aber auch dazu festzulegen, wer überhaupt mit einem Kontakt aufnehmen kann. Wer will kann diese Einstellung allerdings auch unbegrenzt lassen, muss doch ohnehin jeder neuen Konversation explizit zugestimmt werden.

Video

Vielleicht DAS herausragende Merkmal der Hangouts ist jenes, von dem die Software auch den Namen geerbt hat. Nämlich die Möglichkeit aus jeder Diskussion einen Video-Chat mit maximal 10 TeilnehmerInnen zu machen. Dies funktioniert in der Tat hervorragend, vor allem unter Android und iOS ist die Integration vorbildlich, wo ein eingehender Video-Chat ähnlich wie ein Anruf präsentiert wird.

Fotos

Und dann gibt es noch einen kleinen Bonus: Die in einer Konversation geposteten Bilder werden alle in einem eigenen - nicht öffentlichem - Album auf Google+ versammelt. Also natürlich nur, wenn die "History" bei dem betreffenden Gespräch aktiviert ist, versteht sich. Wünschenswert wäre allerdings, dies optional zu machen, immerhin kommen so bei Google+ Photos schon mal eine große Anzahl neuer Alben hinzu.

Überhastet

Während es bei der Kernfunktionalität also durchaus viel Positives zu berichten gibt, kann dies über die Art wie Google die Hangouts implementiert und veröffentlicht hat, nicht gerade gesagt werden. Die Hangouts werden nämlich als direkter Nachfolger von Google Talk geliefert, ersetzen dieses etwa auf Android-Geräten - und daraus ergeben sich eine Reihe von Problemen.

Hintergrund

Denn während Google Talk das - von Google in den letzten Jahren maßgeblich mitgetragene - freie Protokoll XMPP (Jabber) verwendet, nutzen die Hangouts ein eigenes, zumindest vorerst nicht offenes Protokoll. Google verweist auf Nachfrage wahlweise auf nicht näher ausgeführte technische Gründe oder das mangelnde Interesse anderer Hersteller an XMPP als Motivation.

Abrupter Abbruch

Wie auch immer: Dieser Wechsel hat für bestehende NutzerInnen neben der netzpolitischen Komponente jedenfalls sehr konkrete negative Auswirkungen: So können die Hangouts durch den Wechsel nicht mehr mit externen Jabber-Kontakten (also jenseits von Google) kommunizieren, wie es zuvor bei Talk der Fall war. Das wäre an sich noch kein all zu großes Drama, lässt Google doch auf den Servern weiter XMPP laufen, wer also einen Dritt-Client wie Pidgin oder Miranda verwendet, kann wie gehabt mit all seinen Kontakten kommunizieren.

Die Tücke...

Das Problem beginnt allerdings mit der Verknüpfung des Online-Status zwischen Hangouts und Jabber-Server. Externen Jabber-NutzerInnen wird nun nämlich jeder Hangouts-Account als dauerhaft online angezeigt. Nachrichten an diesen gehen nun aber - ohne Fehlermeldung - ins Leere, da ja Hangouts wie erwähnt nur mehr Nachrichten von anderen Google-NutzerInnen annehmen. Einziger Ausweg wäre hier zusätzlich noch dauernd einen Dritt-Client an anderer Stelle laufen zu haben, um keinerlei Nachrichten von externen Jabber-Kontakten zu verpassen.

...liegt im Detail

Etwas besser sieht es bei Nachrichten von jenen, die einen Google-Talk-Account mit Dritt-Client verwenden, aus, immerhin werden diese in den Hangouts korrekt dargestellt. Allerdings werden diese Hangouts-NutzerInnen nun dauerhaft als "verfügbar" angezeigt, womit ein falscher Eindruck vermittelt wird. Wer Jabber am Google-Server wie bisher weiter verwenden will, muss also realistischerweise auf die Hangouts zur Gänze verzichten - oder wandert doch lieber gleich zu einem anderen Jabber-Server ab.

Mal wieder nach draußen gehen

Bei all dem bleibt der Eindruck zurück, dass Googles "Dogfooding"-Prozess (bei dem neue Lösungen wie Hangouts schon Wochen vorab intern von einem Teil der eigenen Angestellten getestet werden, Anm.) an einem grundlegenden Problem leidet. Und das nennt sich "Google-Blase". Wer nie nach außen kommuniziert, für den hat so ein Problem natürlich keinen Stellenwert beziehungsweise bemerkt es gar nicht. Bleibt abzuwarten, ob Google hier noch eine Lösung findet. In der jetzigen Form könnte man den alten XMPP-Service eigentlich auch gleich einstellen - wozu das Unternehmen allerdings keinerlei Pläne hegt, wie es im Rahmen einer Fragerunde auf der Google I/O hieß.

Regressiv

Ganz allgemein sei die Bemerkung gestattet, dass die aktuelle Situation im Messaging-Bereich wie ein Flashback in die Zeit der späten Neunziger-Jahre wirkt, als es zahlreiche miteinander inkompatibel Lösungen gab. Zuletzt hatte sich hier Jabber/XMPP als - wenn auch zugegeben unterschiedlich konsequent implementierter - Standard durchgesetzt. Dieses Kapitel der Zusammenarbeit scheint nun wieder vorbei zu sein.

SMS, fehlt

Leider ist das Google-Talk-Update-Dilemma aber nicht der einzige Punkt der den Hangouts-Launch undurchdacht oder zumindest überhastet erscheinen lässt. So ist zwar die Integration von SMS-Nachrichten - wie es andere Messenger-Lösungen auch anbieten - angekündigt, fehlt derzeit aber noch. Das hindert die Android-App nicht daran, sich schon mal die nötigen Berechtigungen zu holen, und auch die Verifizierung der zum Smartphone gehörigen Telefonnummer per SMS einzufordern.

Voice, fehlt

Und auch wenn dies für europäische NutzerInnen zumindest derzeit nur von theoretischem Interesse ist: Auch die Google-Voice-Integration hat Google zwar versprochen, aber noch nicht vorgenommen. In diesem Fall mit der Nebenwirkung, dass Voice-NutzerInnen nach dem Umstieg auf Hangouts aus Gmail heraus plötzlich keine Anrufe mehr initiieren können. Auch so etwas darf einfach nicht passieren.

Zweigleisigkeit

Dazu kommt dann noch, dass die Hangouts von der Funktionalität her zwar ein direkter Nachfolger des Google+ Messengers sind - und diesen auch künftig ersetzen soll - dies aber derzeit noch nicht tut. So kommt es zur absurden Situation, dass die Android-Google+-App derzeit sowohl die Hangouts als auch den Messenger anbietet. An der automatischen Überführung der Nachrichten vom Messenger in die Hangouts arbeite man noch, heißt es von Google zu den Gründen für diese vorübergehende Zweigleisigkeit befragt. Das hätte man allerdings auch bereits vor einem offiziellen Launch tun können - und müssen.

Fazit

In Summe präsentiert sich "Hangouts" als eine im Kern durchaus kompetente Messenger-Lösung, die vor allem mit der tollen Integration von Video-Chats punkten kann, die aber auch extrem unfertig wirkt. Wieso sich Google - nach eigenen Angaben - zwei Jahre Zeit nimmt, um die Hangouts zu entwickeln, um dann solch ein Stückwerk zu veröffentlichen, bleibt ein Rätsel. Immerhin sollte Google mittlerweile wissen, dass sich der Ruf eines Services recht schnell nachhaltig beschädigen lässt.

Beta?

Hatte Google früher den Ruf eingeheimst geradezu exzessive mit dem "Beta"-Label für neue Produkte umzugehen, würde man sich dies angesichts der Hangouts wieder zurückwünschen. Wobei diese Etikettierung im vorliegenden Fall natürlich nur begrenzt hilfreich gewesen wäre, ersetzt "Hangouts" mit "Google Talk" doch einen seit vielen Jahren stabilen Service vollständig.

Aufgegeben wird nicht

Trotz all dieser Startschwierigkeiten sollte man natürlich nicht glauben, dass Google das Unterfangen "Hangouts" schnell wieder aufgeben wird. Immerhin betont Google immer wieder, dass es beim gesamten Google+-Unterfangen darum geht, eine Infrastruktur zu schaffen, mit der die NutzerInnen reale Beziehungen im Netz weiterführen können - und dabei spielen Messenger derzeit ganz allgemein eine wichtige Rolle. (Andreas Proschofsky, derStandard.at, 26.05.13)

tl;dr: Google Hangouts präsentiert sich als ebenso technisch kompetente wie unfertige Messenger-Lösung, die unter einem überhasteten Start leidet.