"Erleuchtung fürs Volk: Die konservativ-religiöse Regierungspartei AKP setzt dem Verkauf von Alkohol strenge Regeln. Premier Tayyip Erdogan empfiehlt Ayran statt Bier."

Foto: Markus Bernath

Morgens, kurz vor sieben soll es gewesen sein nach einer langen Nacht Hand rauf, Hand runter, wer ist dagegen, im Parlament in Ankara, als die Abstimmung über den vermutlich schärfsten Alkoholbann seit Murad IV (1623-1640) selig über die Bühne ging. Glanzvoll und mächtig fiel der regierenden Sieg der konservativ-religiösen Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung nicht aus. Nur 193 von 326 Abgeordneten der AKP wollten die Morgenstunde der nüchternen Reinheit erleben. Vier Parlamentarier der nationalistisch-muslimischen MHP stimmten gar dagegen, im Verein mit den notorischen Trunkenbolden und anderen Säkularen der national-sozialdemokratischen CHP.

Jetzt muss alles noch in die "resmi gazeti", ins öffentliche Verlautbarungsblatt, dann ist es fix: keine Alkoholwerbung mehr, kein Verkauf zwischen 22 und sechs Uhr, keine Läden mehr mit Bier, Raki, Wein im Umkreis von hundert Metern von Schulen und Moscheen (auch ausgediente Kirchen mögen genügen). "Wir wollen keine Generation, die Tag und Nacht trinkt und die vergeudet ist", hatte Tayyip Erdogan vergangenen Freitag nach der Abstimmung der Nation erklärt, "alert" soll sie sein, die Generation, und "mit Wissen ausgestattet". "Religiöse Generation" sagte er dieses Mal nicht. Erdogan empfiehlt Ayran, ein erfrischendes Michgetränk.

Ein Großteil der türkischen Zeitungen und Fernsehsender hat die Argumentation der Regierung nachgebetet: Die Türkei übernimmt nur Regelungen, die anderswo in Europa oder in den USA auch gelten. Das ist richtig, allerdings sind die Relationen in Spanien, Estland oder Schweden etwas anders, die dort zu strengen Gesetzen beim Alkoholverkauf geführt haben. 11,40 Liter Alkohol pro Kopf wurden laut jüngster OECD-Statistik in Estland geschluckt, eineinhalb Liter waren es in der Türkei (Österreich führt nach Luxemburg mit 12,2 Liter). Betrunkene sind auf türkischen Straßen selten zu sehen, Erdogans Tag und Nacht trinkende Generation muss man erst einmal suchen.

Der neue Alkoholbann könnte das Ende der populären Musikfestivals im Sommer bedeuten, die bisher von zwei Biermarken gesponsert wurden – Efes und Tuborg. Auf längere Sicht wird er auch Läden aus den Straßen vertreiben, die keine neue Lizenz mehr zum Alkoholverkauf erhalten werden, weil eine Moschee oder eine Schule in der Nähe ist. Ein Trinkverbot in Parks werde noch folgen, so wurde ein Berater Erdogans zitiert. In den Städten und Dörfern in Anatolien ist Alhohol de facto ohnehin aus dem öffentlichen Leben weitgehend verbannt. Und in Kadiköy, dem großen Stadtviertel auf der asiatischen Seite Istanbuls, gilt seit zwei Monaten schon ein nächtliches Verkaufsverbot in den Läden – Kadiköy wird von der oppositionellen CHP regiert.

Bier- und Raki-Trinker wird der Akoholbann deshalb nicht sonderlich beeindrucken. All-inclusive-Urlauber in den Hotelburgen am Mittelmeer kriegen davon ohnehin nichts mit. Zumindest der Finanzminister der Regierung, Mehmet Şimşek, glaubt selbst nicht an irgendeine abschreckende Wirkung: "Wenn die jüngsten Verordnungen einen Einfluss auf den Alkoholverbrauch hätten, würden die Steuereinnahmen einbrechen. Wir haben gegenwärtig keine derartigen Prognosen. Wir erwarten derzeit keinerlei Abnahme des Verbrauchs." Die Einnahmen aus der Sondersteuer auf Alkohol bezifferte Şimşek mit 4,6 Milliarden Lira (umgerechnet 1,87 Mrd. Euro), mit Umsatz- und Mehrwertsteuer komme der türkische Staat auf acht Milliarden Lira (3,24 Mrd. Euro).

Erdogans Alkoholbann scheint weit mehr Kosmetik für seine konservative Wählerschaft zu sein. Und wie schrieb doch Kerim Çetin, Ex-Chef der AKP in Güzelbahce, einem Landkreis der dem Alkohol nicht abgeneigten Küstenprovinz Izmir, dieser Tage auf seiner Facebookseite: "Tut mir leid, ja, ich bin bei der AKP, aber Fisch und Ayran passen nicht zusammen, auch nicht bis 22 Uhr". (Danach müssten sie es dem Gesetz nach; Türken spülen den Einheitsgrillfisch in den Restaurants und zu Hause mit Raki herunter.) "Nach einem ermüdenden Tag trinken wir am Abend an einem Ort und haben Fisch und Raki“, so fuhr Çetin fort, "es kümmert mich nicht, ob es 22 Uhr ist oder nicht. Im Gepäck (im Auto) ist Nachschub, den ich um 21.59 gekauft habe."