Zum Beginn des monatlichen Rückblicks auf die Welt der Indie-Games ein Dankeschön: Seit genau einem Jahr findet "Best of Indie Games" nun auf dem GameStandard sein Zuhause und versucht, den üppig wuchernden Dschungel der Independent-Szene etwas übersichtlicher zu machen. An dieser Stelle herzlichen Dank an Zsolt Wilhelm für die Beherbergung und, natürlich, an die regelmäßige Leserschaft dieser Serie, die wieder und wieder in den Kommentaren unter Beweis stellt, dass Begriffsdefinitionen ebenso im Fluss sind wie das Feld sich ständig vergrößert. Danke auch für die weiterführenden Games-Empfehlungen in den Comments - und eine Bitte um Verständnis dafür, dass aus Platzgründen naturgemäß eine ungerechte, weil subjektive Auswahl Monat für Monat zahllose andere empfehlenswerte Titel unter den Tisch fallen lassen muss.

"Free Friday"

Dass dieser hübsche Heuhaufen minütlich wächst, stellte erst vor kurzem das 26. Ludum Dare unter Beweis: Über 2.000 Games-Experimente zum Thema "Minimalismus", allesamt gratis downloadbar - es ist de facto unmöglich, hier einen Überblick zu behalten. Umso wichtiger ist deshalb die Rolle jener fleißigen Kuratoren, die es sich zur Aufgabe machen, zu sichten und vorzustellen. Besonders Seiten wie Terry Cavanaghs bereits hier vorgestelltes Projekt freeindiegam.es sorgen dafür, dass im buchstäblich überquellenden Feld der Freeware-Spiele zumindest ein wenig Sichtung stattfindet - und auch die jüngst aus der Taufe gehobene GameStandard-Serie "Free Friday" soll künftig regelmäßig ein kurzes Schlaglicht auf jene Gratis-Titel werfen, die in "Best of Indie" nicht Platz finden.

Ein Jahr "Best of Indie" im GameStandard also - Prosit, Danke und hier wieder die bemerkenswertesten Independent-Games des vergangenen Monats.

Reus  (Windows, 9,99 Euro)

Gottspiele gibt es seit Peter Molyneux' Klassiker "Populous" wie Sand am Meer, doch nur wenige versprühen den Charme von "Reus": Mit der Hilfe von vier Titanen terraformen wir unseren zu Beginn kahlen Planeten mit Ozeanen, Bergen, Sümpfen und Wäldern so, dass sich die aus dem Genre bekannten wuseligen Ureinwohner darauf wohl fühlen können. Dank recht komplexer Symbiosen und Wechselwirkungen zwischen Biotopen, Titanen und Menschen wird das Spiel der Niederländer Abbey Games schnell zur Übung im knifflig-knuddeligen Mikromanagement - vor allem deshalb, weil unsere Menschlein, so sind sie eben, wenn es ihnen zu gut geht, übermütig zu ihren Nachbarn auf Kriegszug aufbrechen oder sich sogar gegen uns erheben. Unzählige Kombinationsmöglichkeiten und knifflig verschränkte Systeme machen die Jagd nach Achievements zur Hauptmotivation für diese vor allem optisch hinreißend gelungene Ameisenfarm.

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Dust: An Elysian Tail  (XBLA, Windows, 12,59 Euro)

Dean Dodrills Meisterwerk wurde an dieser Stelle beim letztjährigen Release für XBLA sträflich vernachlässigt, drum nun, anlässlich des Releases der PC-Version eine umso eindringlichere Empfehlung: Selten wurden die Tugenden des klassischen 2D-Spiels des "Metroidvania"-Genres mit derart hübschen Animationen und unnachahmlichem, handgezeichneten Style verknüpft. Kaum zu glauben, dass dieses Spiel das Werk eines Einzelnen ist - zu Zeiten der PlayStation 1 wären Spiele wie dieses unter Umständen sogar als Systemseller im Regal gestanden. Erforschen, Kämpfen, Springen, leichte RPG-Elemente und eine überraschend handfeste Story lassen besonders bei derart geschmeidigem Gameplay die etwas mauen Bosskämpfe verschmerzen. "Dust: An Elysian Tail" beweist, dass das 2D-Hack'n'Slash-Genre niemals überholt ist.

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Sanctum 2  (Windows, Xbox360, PS3, ca. 12 Euro)

Das "Tower Defense"-Genre wuchert verlässlich weiter in alle Richtungen, und auch diesen Monat hat ein Vertreter der populären Spielmechanik in diese Aufstellung gefunden: "Sanctum 2" verbindet das namensgebende altbekannte Verteidigungs-Gameplay mit einem rasanten First-Person-Shooter, in dem mittels futuristischer Bewaffnung den heranstürmenden Gegnern getrotzt wird. Obwohl "Sanctum 2" auch allein gespielt werden kann, zeigt es seine Qualitäten am deutlichsten im Coop-Mode mit bis zu vier menschlichen Mitspielern - dann kommen auch die unterschiedlichen Charakterklassen richtig zur Geltung. Freunde des ersten Teils sollten trotzdem per Demo probespielen: Einige Designentscheidungen, etwa die zum Teil reduzierte Komplexität und der stärkere Multiplayerfokus, könnten Fans des Vorgängers weniger gefallen.

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Element4l (Windows, Mac, 7,99 Euro)

So ist das mit manchen Spielen: Die Aufgaben, die sie uns stellen, bringen uns manchmal an den Rand der Überforderung - und darüber hinaus. Drum die schlechte Nachricht für alle, die sich vom beeindruckenden Artdesign des Indie-Geschicklichkeitsspiels "Element4l" betören lassen: Was hübsch aussieht und wirklich innovatives Gameplay bietet, ist so bretterhart, dass nur Spieler, die "Super Hexxagon" und "Super Meat Boy" zur Entspannung spielen, das Ende jemals zu Gesicht bekommen werden. Die originelle Steuerung durch Verwandlung in eines der vier Elemente, der stimmungsvolle Soundtrack und nicht zuletzt das erwähnte, an die Scherenschnittwelt von "Limbo" erinnernde atmosphärische Artdesign belohnen hartnäckige Spieler trotz des kniffligen Schwierigkeitsgrades mit umso schöneren Erolgserlebnissen - wenn man die Nerven aus Drahtseilen hat, sie sich zu erkämpfen. Aber eh schon wissen: Zu schwer ist das neue Schwarz.

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Papers, Please (Windows, Mac, gratis)

Zum Abschluss ein, hm, ganz spezielles Spiel: "Papers Please" macht seine Spieler zur Abwechslung nicht zu waffenstarrenden Superhelden, sondern zu - Bürokraten. In der Rolle eines Grenzbeamten zum fiktiven osteuropäischen Staat Arstotzka ist man dafür verantwortlich, die einreisewilligen Personen auf Herz und Nieren zu überprüfen, ihre Papiere einzusehen und sie - per Stempel - entweder einreisen zu lassen oder auch nicht. Was wie der Spielspaß-Albtraum jedes Bürokratieopfers klingt, entwickelt aber dank Zeitlimits, wechselnder Tages-Aufträge und sich unmerklich ergebender Eskalation einen bemerkenswerten Sog und stellt uns vor moralische Entscheidungen: Lassen wir uns bestechen, weil wir die Arztrechnung für unser Kind bezahlen müssen? Machen wir dem entdeckten Menschenschmuggel ein Ende oder leisten wir Dienst nach Vorschrift? Das Games-Experiment ist derzeit als spielbare Alphaversion gratis beziehbar, wer sich gern als einer der Einreisewilligen im Spiel verewigen lassen will, kann sich übrigens hier melden.

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Übrigens: Wer einige der besten Indie-Spiele des vergangenen Jahres noch nicht sein Eigen nennt, hat nun mit dem achten Humble Indie Bundle DIE Gelegenheit, seine Sammlung um ein paar wirklich großartige Titel zu erweitern: Zum sympathischen "Pay what you want"-Tarif gibt es das Splatter-Epos "Hotline Miami", das poetische "Dear Esther", "Proteus", "Little Inferno", "Awesomenauts", "Thomas Was Alone"  und "Capsized" - und die Soundtracks werden als hochqualitative MP3-Downloads als Draufgabe gegeben (allein für die fantastische Musik zu "Dear Esther" lohnt sich der Kauf). Wer einige - oder gar alle - der hochkarätigen Indie-Games bereits besitzt, hat ja vielleicht nun die Gelegenheit, im Freundeskreis etwas Indie-Liebe zu verbreiten.

Auch der Juni wird interessant: Neben dem heiß erwarteten Spionage-Thriller "Gunpoint" steht Markus "Notch" Perssons Beta zu "Scrolls" in den Startlöchern. Zum Abschluss noch eine Indie-relevante Lektüreempfehlung: Ed McMillen, mit "Super Meat Boy" und "Binding of Isaac" so etwas wie einer der Posterboys der Indie-Bewegung, verrät auf Gamasutra der Leserschaft seine "Do's and Don'ts of Indie Design" Subjektiv wichtigster Punkt dieses Manifests - und zugleich eine durchaus programmatische Ansage zum ersten Geburtstag der GameStandard-Serie "Best of Indie": Have fun! In diesem Sinne. (Rainer Sigl, derStandard.at, 29.5.2013)

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