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Liebe, Leere, Leidenschaft: Olga Kurylenko und Ben Affleck als Paar in " To the Wonder".

Foto: ap/Mary Cybulski

Wien - Die Erde wankt. Die Osteuropäerin Marina (Olga Kurylenko) und der Amerikaner Neil (Ben Affleck) haben sich verliebt. Vor dem berühmten Kloster Mont-St.-Michel in der Normandie warten sie auf die Flut. Der Boden wird von den Wellen überschwemmt, stetig holt sich das Meer ein Stück mehr vom Land zurück. Die Schritte der beiden Verliebten erzeugen auf dem schlammigen Grund Erschütterungen, er wabert regelrecht, sodass man meinen könnte, die ganze Welt würde von den Gefühlen der beiden erbeben.

Die Szene stammt aus dem ersten Drittel von Terrence Malicks To the Wonder, einem Film über die Kraft der Liebe - und Kraft ist hier ausnahmsweise einmal ganz wörtlich, physisch gemeint: Es geht um jene Leidenschaften, die uns Menschen befallen, irritieren, aus der Bahn werfen und die sich doch wieder entziehen. Auf eine geradlinige Handlung lässt sich Terrence Malicks jüngster Film schon deshalb kaum einschränken. Nur zwei Jahre nach dem Cannes-Triumph mit The Tree of Life - ein für den scheuen US-Regisseur unerhört kurzer Zeitraum - legt er seine vielleicht freieste, musikalischste Arbeit vor.

Es handelt sich um ein Kino, das sich ganz dem Ausdruck, der Wahrnehmung als sinnlichem Empfinden verpflichtet: Die Dynamik einer Paarbeziehung inszeniert Malick als einen Reigen aus Hinwendungen und Abweisungen, der unberechenbar und unstet bleibt. Dialoge sind minimal, selbst das für den Regisseur so charakteristische Flüstern aus dem Off wird reduziert eingesetzt.

Das Grundgerüst, wie schon bei The Tree of Life biografisch inspiriert, bleibt elementar. Doch Malick geht es um keine Geschichte, die auf ein Ziel hinausläuft; To the Wonder vollzieht nicht die banale Erkenntnis nach, dass sich der Rausch des Verliebtseins im Alltag irgendwann einfach verflüchtigt. Vielmehr geht es, wie schon in früheren Filmen, um die Suche des Menschen nach Transzendenz, um eine Sehnsucht nach Auflösung der eigenen Subjektivität - in diesem Fall mit der Gabe der Liebe.

Überall Grenzen

Malick erschafft dafür einen Raum, in dem die Figuren ständig an Grenzen stoßen; Grenzen, die das eigene Ich oder - wie dem Film auch vorgeworfen wurde - ein traditionelles Geschlechterverhältnis vorgeben. Doch allzu einfach machen sollte man es sich nicht: Das kulturelle Umfeld - Marina folgt Neil mit ihrer Tochter in dessen Heimat, nach Bartlesville, Oklahoma - bleibt bei aller Betonung der Gefühlswelt ganz konkret: In der neuen Umgebung blickt die Europäerin als Außenstehende auf eine fremde Umgebung, zum "Reichtum und der Freundlichkeit" der Menschen dort findet sie keinen rechten Bezug.

Das Haus, das die beiden beziehen, wirkt immer provisorisch - ein uneinladender Ort mit fast künstlich grünem Rasen und Zaun. Auch sonst ist die Topografie des Films durchaus ambivalent angelegt: Der Priester Quintana (Javier Bardem), eine analoge Figur zu Marina, zweifelt an seiner Liebe zu Gott, er durchschreitet die Armenviertel der Gegend oder besucht das Gefängnis, ohne dass ihm die Gewissheit zuteil wird, dabei seiner Berufung gerecht zu werden.

Neil wiederum, wie Malicks Vater ein Geologe, kann man in fragmentarischen Szenen dabei beobachten, wie er Bewohnern klarmachen muss, dass ihr Land mit Blei verseucht ist und sie dieses daher verlassen müssen. In einem Zwischenkapitel des Films - Marina ist inzwischen wieder nach Europa zurückgekehrt - begegnet er in Jane (Rachel McAdams) seiner Jugendliebe, und die alte Leidenschaft flammt kurz wieder auf. Doch auch diese Einheit bleibt illusorisch. In einer der schönsten Szenen des Films blickt das Paar auf eine Herde von Bisons im Gras - und beide verharren stumm.

Tänzelnde Bewegung

Olga Kurylenko hat anlässlich des US-Starts von To the Wonder ein wenig von der Vorgangsweise beim Dreh erzählt. Die Schauspieler hätten kaum szenische Anweisungen erhalten, doch Malick hätte sie dazu angehalten, immerzu in Bewegung zu bleiben. Das verleiht ihrer Darstellung eine tänzerisch-performative Seite, die Emmanuel Lubezkis zuerst sehr bewegliche, dann allmählich ruhigere Kamera in den Mittelpunkt rückt. Das Suchende, Zweifelnde und Drängende ihrer Figur bestimmt so die Struktur des Films, während der oft angeschnittene, starre Körper Ben Afflecks wie ein Fels in der Brandung steht.

Malicks Kino erlaubt sich nicht zuletzt mit dieser fließenden Mise-en- scène große Freiheiten. Es heftet sich an Gefühle oder Affekte, die bei anderen schon immer in Formen gepresst sind. Die Liebe bleibt in diesem Film ein Mysterium, das vor den Menschen da ist, diese in Bewegung hält und doch so leicht verschwindet wie eine Spur im Sand, die das Meer umspült. (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD, 29./30.5.2013)