Barcelona - Migräne ist bei Kindern und Jugendlichen die häufigste akute und wiederkehrende Variante von Kopfschmerz. Manchmal wird übersehen, dass die jungen Patienten mitunter gleichzeitig auch an anderen neurologischen Krankheiten leiden, berichteten Wissenschaftler der Universitäten Belgrad und Bologna beim Kongress der Europäischen Neurologengesellschaft in Barcelona.

Das Team um Ana Potic, von der Universität in Belgrad, untersuchte 40 Kinder, die unter Migräne und gleichzeitig auch an einer oder mehreren anderen neurologischen Störungen litten. Bei den insgesamt 22 Mädchen und 18 Jungen wurden Befunde einer Zeitspanne von zehn Jahren analysiert. Die Kinder waren bei der Erstuntersuchung durchschnittlich elf Jahre alt. Bei 20 Kindern wurde eine primäre fokale oder generalisierte Form der Epilepsie festgestellt, an zweithäufigster Stelle kamen periodische Lähmungen mit ungewollt verlängerter Muskelkontraktion (Myotonie, Anm.Red.). Bei fünf Kindern wurd ein ischämischer Schlaganfall diagnostiziert, Bewegungsstörungen wie die paroxysmale Dystonie und periodische Ataxien fanden sich bei jeweils drei Kindern. Bei zwei der jungen Patienten wurde als Begleiterkrankung eine Multiple Sklerose festgestellt, bei einem Kind eine mitochondriale Störung.

Mögliche Migräne-Ursachen

"Die Ergebnisse bestätigen bisherige, größere Studien und deuten darüber hinaus auch auf mögliche Faktoren, die die Entstehung und Entwicklung der Migräne und ihrer Begleiterkrankungen beeinflussen könnten", sagt Potic. Im Fall von Migräne und Epilepsie scheinen etwa Veränderungen des Ionentransportes in den neuronalen Zellmembranen plausibel, die die Nervenzellen in ihrer Erregbarkeit stören. Für Migräne und Schlaganfall deuten die spärlichen bisherigen Hinweise auf jene Vorgänge als Auslöser, die den Blutfluss im Gehirn verändern. Wird Migräne hingegen von mitochondrialer Enzephalopathie begleitet, dürfte dies mit Veränderungen der Erregbarkeit von Nervenzellen zu tun haben, die beispielsweise mit Fehlfunktionen im Zellstoffwechsel und neuronalen Gewebeschäden zusammenhängt.

Für die Multiple Sklerose weisen manche Studien darauf hin, dass fehlendes Myelin durch Multiple Sklerose verursachte Läsionen in der Hirnrinde jene Prozesse in Gang setzen, die für den Beginn einer Migräneattacke verantwortlich sind, berichtete Potic. Andere Studien wiederum sehen den Migräne-Auslöser in den strukturalen Läsionen, die Multiple Sklerose in bestimmten Regionen des Mittelhirns – konkret dem Nucleus ruber, der Substantia nigra und der Substantia grisea periaquaeductalis - auslösen kann. Die bisherige Forschung hat hier ebenso wenig belastbare Hinweise geliefert wie für die Vorgänge bei den anderen neurologischen Migräne-Begleiterkrankungen.

"In der noch offene Frage, wie Migräne-Attacken ausgelöst werden, unterstützen die aktuellen Studienergebnisse die These der sogenannten kortikalen Streudepolarisierung (Spreading Depression)", so Potic. Bei diesem Phänomen, das sich mittels funktioneller Magnetresonanztomographie beobachten lässt, breitet sich eine punktuell beginnende elektrische Hyperaktivität der Zellen der Großhirnrinde aus, wobei die Blutgefäße durch Zusammenziehen eine Blockade bilden und das Trigemino-vaskuläre System aktivieren. Die im Hirnstamm erzeugten Neurotransmitter Noradrenalin und Serotonin sorgen dafür, dass der Prozess fortdauert und der Trigeminus-Nerv überempfindlich bleibt, was in weiterer Folge als Kopfschmerz wahrgenommen wird.

Genaue Diagnose wichtig

Um Begleit- und Folgeerkrankungen von Migräne bei Kindern möglichst aus dem Weg zu gehen, sei jedenfalls eine genaue und korrekte Diagnose der oft sehr komplexen Formen dieses Leidens wichtig, betont Potic: "Unterscheiden muss man zwischen den einzelnen Migräne-Typen und anderen neurologischen Störungen, die einander in ihrem klinischen Erscheinungsbild oft sehr ähneln." Bestätigt sich die Migräne und kann diese zudem eindeutig von begleitend auftretenden Störungen abgegrenzt werden, sei auch in der Behandlung Vorsicht angesagt: "Die goldene Regel lautet, kein Migräne-Medikament zu wählen, das sich schlecht auf eine Begleiterkrankung auswirken könnte – und umgekehrt. Zudem muss man bei multiplen Wirkstoffen, die sowohl die Migräne als auch die Begleiterkrankung beeinflussen, auch auf mögliche Wechselwirkungen achten", so die Kinderneurologin. Mittel der Wahl seien stets jene Medikamente, die beide Leiden gleichzeitig behandeln. (red, derStandard.at, 10.6.2013)