Stefan Hopmann über die Lehrergewerkschaft: "Sie wollen keine Gleichheit aller, aber innerhalb des jeweiligen Standes soll die Gleichheit gewahrt bleiben. Das ist 19. Jahrhundert."

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"Derzeit sind die typischen Standardreflexe im Gang": So beurteilt Stefan Thomas Hopmann, Bildungswissenschaftler an der Universität Wien, die Verhandlungen zum Lehrerdienstrecht. Er plädiert dafür, Lehrer nicht nach Formalkompetenz, sondern nach Realkompetenz zu entlohnen. Nicht der Ausbildungsgrad soll zählen, sondern welche Aufgaben die Pädagoginnen und Pädagogen erledigen. "Der Umdenkprozess ist bisher weder bei der Regierung noch bei der Lehrergewerkschaft zur Gänze angekommen." Was das System Schule bei der Neustrukturierung von Krankenhäusern lernen könnte und warum es in Österreich nach wie vor eine Beamtenschule gibt, sagt er im Gespräch mit derStandard.at.

derStandard.at: Seit Monaten verhandeln Regierung und Gewerkschaft über ein neues Lehrerdienstrecht. Zunächst gab es einen einheitlichen Vorschlag der Regierung, vergangene Woche ist die ÖVP mit einem eigenen Konzept nach vorne geprescht. Wie verfolgen Sie die Debatte?

Hopmann: Für mich ist das alles erwartungsgemäß. Ich war nicht überrascht, dass sich die Verhandlungspartner nicht näherkommen. Im Moment ist ein Zustand der Verwirrung entstanden.

derStandard.at: Unter anderem deshalb, weil die ÖVP entgegen bisherigen Ansagen zwischen den einzelnen Lehrertypen unterscheiden will.

Hopmann: Wenn die Trennung erfolgt, weil die Lehrer unterschiedliche Aufgaben haben, dann ist das ja okay. Wenn sie daran liegt, dass sie einen unterschiedlichen Status haben, dann ist sie falsch.

derStandard.at: Woher kommt dieses Denken nach Status?

Hopmann: Historisch ist die österreichische Schule eine Beamtenschule. Zu den Errungenschaften des 19. Jahrhunderts gehörte, zumindest die Eingangsstufe ins Beamtendasein mit einem formalen Abschluss in Verbindung zu bringen. Mit einem bestimmten akademischen Abschluss war man berechtigt, sich um bestimmte Beamtenpositionen zu bewerben. Es ging nicht mehr um die Herkunft oder den sozialen Rang, das war zunächst ein Gewinn. Die Logik ist bis heute in den österreichischen Lehrergewerkschaften, zumindest jener der AHS, tief verankert.

derStandard.at: Das bedeutet, man will keine Privilegien aufgeben?

Hopmann: Genau. Denn dieser Logik zufolge definiert die Länge der Ausbildung, welchen Anspruch man hat und auf welchem Level man dann in den Staatsdienst einsteigt.

Auf der anderen Seite gibt es die neuere Herangehensweise, die sagt, auch öffentliche Einrichtungen sind im Prinzip nichts anderes als Betriebe. Man wird nicht nach der Länge der Ausbildung bezahlt, sondern nach den Aufgaben, die man wahrnimmt. Es treffen zwei Logiken aufeinander: Realkompetenz und Formalkompetenz.

derStandard.at: Würde man die Hervorhebung der Realkompetenz vorantreiben, würde das aber zu großen Umwälzungen führen.

Hopmann: Ja, aber die Lehrergewerkschaft befindet sich schon im Paradigmenwechsel. Denn sie hat bereits damit argumentiert, dass die Lehrer Hilfspersonal brauchen. Dieses Argument kommt nicht mehr aus der Beamtenlogik, sondern als Betriebsargument. Nach dem Motto: Wir sind ein differenzierter Betrieb, es soll Arbeitskräfte geben, die unterschiedlich bezahlt werden.

derStandard.at: Der erste Schritt ist schon getan?

Hopmann: Ganz so einfach ist es nicht. Denn gleichzeitig wehren sich die Gewerkschafter gegen jede Differenzierung innerhalb einer Lehrergruppe. Sie wollen keine Gleichheit aller, aber innerhalb des jeweiligen Standes soll die Gleichheit gewahrt bleiben. Das ist 19. Jahrhundert.

Der Umdenkprozess ist bisher weder bei der Regierung noch bei der Lehrergewerkschaft zur Gänze angekommen. Beide Verhandlungspartner haben das Lehrerdienstrecht bisher als eine Art Dienststellenplan definiert.

derStandard.at: Was hätte es für Folgen, wenn man vom Dienststellenplan abrückt? Was würde sich in der Praxis ändern?

Hopmann: Das System würde organisatorisch aufgebrochen werden, Arbeitsteilung würde zugelassen. Österreich ist laut internationalen Studien bei weitem das Schlusslicht, wenn es darum geht, Nichtlehreraufgaben an Nichtlehrer zu übergeben. Man müsste akzeptieren, dass Schule ein arbeitsteiliger Vorgang ist, dass die Leute eben nicht alle das Gleiche tun.

Was da in österreichische Schulen reingeht und wie das teilweise stümperhaft ist: IT-Systeme werden von Physiklehrern auf die Beine gestellt. Dabei gibt es HTL-Absolventen, die das direkt nach der Schule besser machen könnten. Wieso für Pausenaufsicht und Klassenarbeitsaufsicht teuer bezahlte Lehrkräfte engagieren? Das kann jeder vernünftige Erwachsene, der ein Minimum an sozialen Umgangsformen beherrscht. In Norwegen sind ein Drittel aller in Schulen Beschäftigten keine Lehrer, das geht von Betreuern über Ergotherapeuten bis hin zu Psychologen.

derStandard.at: Gibt es Erfahrungsberichte aus anderen Einrichtungen, an denen die Umstellung schon erfolgt ist?

Hopmann: Dieser Prozess hat in anderen Institutionen schon längst stattgefunden. Meine Mutter war Krankenhausärztin. Als sie anfing, bestanden Krankenhäuser aus Ärzten, Krankenschwestern und Reinigungspersonal, maximal noch einem Hauswart. Wenn Sie heute ins Krankenhaus gehen, sind Ärzte und Krankenschwestern in der Minderheit. Ärzte können sich darauf konzentrieren, wofür sie ausgebildet sind: auf die Behandlung der Patienten. Dieser Differenzierungsprozess, der in den meisten Institutionen schon stattgefunden hat, hat für die österreichische Schule noch gar nicht richtig angefangen.

derStandard.at: Die Formalkompetenz wird noch hochgehalten.

Hopmann: Das ist Österreich. Im nichtöffentlichen Bereich gibt es keine Firma, die so funktionieren könnte. Sie bezahlt die Leute natürlich nach Realkompetenz und nicht nach Formalkompetenz. Was nützt es einem Autofabrikanten, wenn Sie Diplomingenieur sind und trotzdem nicht wissen, wie ein Auto fährt?

derStandard.at: Angenommen, die Realkompetenz setzt sich durch. Der Weg ist dann nicht mehr weit, dass man sagt, Lehrer werden nach der Leistung der Schüler bezahlt, oder?

Hopmann: Wenn es zu keiner anderen Differenzierung kommt, wird diese kommen. Das wird passieren, fürchte ich. In den Ländern, wo es schon verbreitet ist, etwa in den USA, führt das zu absurden Nebeneffekten. Die Verweildauer im Lehrerberuf sinkt drastisch. Das Schulsystem verliert vor allem die besseren Lehrer, weil die keine Lust haben, sich dem permanent auszusetzen. Vor allem führt es dazu, dass Lehrkräfte riskante Gruppen vermeiden. Die leiden dann am meisten darunter, nicht von den besten Lehrern unterrichtet zu werden.

derStandard.at: Wie lange wird es dauern, bis es ein neues Dienstrecht gibt?

Hopmann: Ich halte das für schnell lösbar. Ich habe aber keine Ahnung, wie lange es dauern wird. Ich würde den Verhandlungspartnern wünschen, dass sie den gordischen Knoten lösen können. Derzeit sind die typischen Standardreflexe im Gang. Wir sind im Vorwahlkampf: Wer immer einen Vorschlag macht, riskiert, dass die andere Seite ihn ablehnt, weil er von der anderen Seite kommt. (Rosa Winkler-Hermaden, derStandard.at, 12.6.2013)