Straßburg/Brüssel/Wien - Zwei Tage vor einem Treffen EU/USA auf Ministerebene in Dublin hat die EU-Kommission Mittwoch in der Prism- Affäre um die systematische weltweite Datenüberwachung durch US- Geheimdienste den Druck erhöht: Sie verlange "rasche und konkrete Antworten", ob entgegen bisherigen Versicherungen auch die Rechte von europäischen Bürgern verletzt wurden, schrieb EU-Justizkommissarin Viviane Reding in einem in der EU-Hauptstadt bekannt gemachten Brief an US-Justizminister Eric Holder.

Dieser wird an den Beratungen ebenso teilnehmen wie US- Heimatschutzministerin Janet Napolitano, in deren Verantwortungsbereich die jüngst aufgedeckte Aktion der NSA liegt. Europa wird durch die Minister des irischen und litauischen EU-Vorsitzes und Innenkommissarin Cecilia Malmström vertreten sein. Reding übermittelte den US-Behörden einen Katalog an Fragen: ob das Überwachungsprogramm nur US-Bürgern gegolten habe oder generell auch Europäern; nach welchen Kriterien man sich Zugang zu Userdaten verschaffe; ob die gesammelten Daten gezielt ausgewählt bzw. wie sie verarbeitet werden. Und sie will wissen, ob die Überwachung auf nationale Sicherheit ziele oder viel breiter gefasst sei und welche Klagemöglichkeiten europäische Bürger oder Firmen nun hätten.

Dass die US-Seite sich in die Karten schauen lässt, wird selbst unter EU-Experten in Brüssel bezweifelt. Redings geharnischter Brief dürfte aber der Versuch sein, sich für künftige Verhandlungen der Kommission eine bessere Ausgangsposition zu verschaffen.

Inwieweit die Europäer diese Pose der Entrüstung über die US-Dienste durchhalten, daran kommen zunehmend Zweifel auf. Niederländische Medien wie De Telegraaf berichten, dass auch europäische Geheimdienste "vollen Zugang" auf die Prism-Daten der USA hätten. Ein anonymer Nachrichtendienstler der Niederlande wird mit den Worten zitiert, dass es um Daten von Zivilpersonen wie auch Firmen gehe. Ähnlich soll die Praxis auch in Belgien sein. Eine offizielle Bestätigung dafür gibt es nicht, aber auch keine Dementis. Der EU-Abgeordnete Martin Ehrenhauser forderte die Bundesregierung in Wien dazu auf klarzustellen, ob österreichische Dienste in ein Prism-Netzwerk involviert seien.

Die von der Überwachung betroffenen Internet-Unternehmen Google, Facebook und Microsoft haben indes in offenen Briefen an die US- Regierung um Erlaubnis gebeten, alle Anfragen der Geheimdienste nach Nutzerdaten öffentlich machen zu dürfen. Dann, heißt es weiter, würde sich auch zeigen, dass es keinen uneingeschränkten Zugang zu den Daten gebe - alle anderen Darstellungen seien "schlicht falsch".

Die Unternehmen sind in die Kritik geraten, nachdem bekannt wurde, dass der Geheimdienst NSA in einer internen Präsentation zum sogenannten Prism-Programm davon sprach, "direkten Zugriff" auf die Server von neun Unternehmen zu haben. Die Firmen hatten einen solchen direkten Zugriff auf E-Mails, Fotos, Videos und Dokumente bereits in einer ersten Reaktion bestritten.

Proteste in den USA

Bei der geltenden Rechtslage haben sie allerdings kaum eine Handhabe gegen die Herausgabe von Kundendaten, wenn es spezifische Anfragen der Geheimdienste gibt. Mehr als 80 Internet-Firmen haben unter Führung des Firefox-Entwicklers Mozilla am Dienstag eine Online-Petition an den US- Kongress für ein Ende der Überwachungsmaßnahmen gestartet. Die amerikanische Bürgerrechtsorganisation ACLU hat zudem am Dienstagabend (Ortszeit) in New York eine Klage gegen die Sammlung von Telefon- Verbindungsdaten amerikanischer Staatsbürger eingebracht. Der ehemalige US-Geheimdienstler Edward Snowden kündigte weitere Enthüllungen an. (tom, red, DER STANDARD, 13.6.2013)