Am 24. 6. 2013 ist auf derStandard.at ein Gastkommentar erschienen, der sich unter dem Titel "Mit Geisterforschung zum Doktortitel: Esoterik an der Wiener Universität" mit dem Institut für Kultur- und Sozialanthropologie auseinandersetzt.

Gezeichnet von Krista Federspiel, will er anhand von Passagen aus Abschlussarbeiten von Studierenden "esoterische Ideen" an der "sozialwissenschaftlichen Universität Wien" dokumentieren und regt im übrigen abschließend das Einfangen von Flaschengeistern an, die sie am Institut am Werk sieht. Eine "sozialwissenschaftliche Universität" gibt es in Wien nicht; das Institut ist allerdings Teil der sozialwissenschaftlichen Fakultät – und nicht der kulturwissenschaftlichen, wie Frau Federspiel meint. Gäbe es diese, so hätte sie wiederum als Fakultät keinen Rektor, sondern einen Dekan oder eine Dekanin.

Soviel zur Sorgfalt der Recherche; ähnlich sorgfältig geht die Autorin mit den zitierten Abschlussarbeiten um (übrigens ist, anders als der Titel suggeriert, nur von einer einzigen Doktorarbeit die Rede, aber von sieben Diplomarbeiten).

Frau Federspiel ist Gründungsmitglied der „Gesellschaft für kritisches Denken“ (GKD). Die "Skeptiker", wie sie sich auf ihrer Website (http://www.skeptiker.at) nennen, widmen sich mit Hingabe dem Kampf gegen "Pseudowissenschaft und Scharlatanerie", gegen "Aberglaube[n], Esoterik und Unwissenschaftlichkeit".

Die GKD führt einen Kreuzzug gegen diese Feinde und für "eine Festigung des skeptisch-naturwissenschaftlichen Weltbildes". Sie hat nun, wie es scheint, gewisse Perspektiven der Wiener Kultur- und Sozialanthropologie (KSA) als neuen Gegner ins Visier genommen. Konkret richtet sich die Kritik gegen Teile der Forschungs- und Betreuungsschwerpunkte von Manfred Kremser, ao. Universitätsprofessor am Institut für KSA und im März 2013 verstorben. Es ist befremdlich, dass sie erst jetzt öffentlich artikuliert wird, zu einem Zeitpunkt, wo der Hauptbetroffene nicht mehr reagieren kann. Und es fällt auf, dass sich Frau Federspiel nur auf studentische Arbeiten bezieht, nicht aber auf die eigenen Schriften Kremsers.

Kultur- und Sozialanthropologie als Eurozentrismuskritik

Jedem seine Skepsis, jedem seine Kritik. Die unsere – jene der KSA, bekannter unter dem etwas überholten Begriff Ethnologie – richtet sich weniger gegen Feinde, sondern ist ganz entscheidend auch Selbstkritik. Eine der Grundannahmen des Faches lautet: Ein Verständnis uns fremder sozialer und kultureller Zusammenhänge ist in einer durch Diversität gekennzeichneten Welt nur dann möglich, wenn wir unseren eigenen eurozentrischen Annahmen und Gewissheiten, die durch die eigenen sozialen und kulturellen Verhältnisse geprägt sind, skeptisch gegenüberstehen und ihren Einfluss auf unsere Erkenntnisfähigkeit kritisch hinterfragen.

Aus dieser Perspektive sind der Ultra-Rationalismus und der selbstgerechte Positivismus der GKD ebenso verdächtig wie die "Esoterik", die zumindest manchen Spielarten unseres Faches unterstellt wird, führen diese zutiefst eurozentrischen Haltungen doch direkt in die Abwertung und Ausgrenzung jener Weltbilder, Epistemologien und Praktiken, die wir verstehen wollen, unabhängig von der Frage ihrer "Wahrheit".

Die Untersuchung von Wissensgefügen, Weltbildern und rituellen Praktiken ist ein zentrales Forschungsfeld der KSA. Wir beschäftigen uns mit diesen Phänomenen, ohne sie vorschnell zu beurteilen. So zeigt der renommierte französische Ethnologe Philippe Descola (College de France), dass das naturwissenschaftliche Weltbild nur eine von mehreren Möglichkeiten darstellt, Welterfahrung zu strukturieren. Die naturwissenschaftliche Weltsicht hat sich global durchgesetzt, ihre Macht der Weltbeherrschung steht außer Zweifel. Für ihre Geltungsmacht gilt dies jedoch nicht, denn sie ist nicht zwangsläufig der richtige Wegweiser zum Verständnis anderer Weltbilder.

Im Gegenteil, aus unserer Haltung der Eurozentrismus-Kritik wird deutlich, dass der Anspruch auf die überlegene Geltungsmacht eines Weltbildes, das nur das als real anerkennt, was bereits naturwissenschaftlich erklärbar ist, eine Form epistemologischer Gewaltausübung zum Schaden anderer Weltbilder und Menschen darstellt.

Ultra-Rationalismus als Glaubenssystem

Erkennbar wird auch, dass das engstirnige Wissenschaftsverständnis der selbsternannten "Skeptiker" deutliche Züge von geschlossenen Glaubenssystemen mit absolutem Wahrheitsanspruch trägt: "Skeptiker sein heißt nicht, nichts glauben zu wollen" liest man auf der GKD-Website. Ganz im Gegenteil, man will glauben, nämlich an die vollständige Erklärbarkeit der Welt aus einem bestimmten Weltbild heraus. (Erinnern wir uns doch daran, dass "Aberglaube" nach dem Grimm’schen Wörterbuch ursprünglich das bezeichnet, "was über den wahren glauben hinaus, daran neben vorbei geht".)

Aber halt: Anton Zeilinger, wohl auch für die "Skeptiker" der unangefochtene Superstar der österreichischen Quantenphysik, bekennt im Interview mit der Wiener Zeitung vom 7. 12. 2012: "Ich glaube, dass es ein Leben außerhalb der materiellen Welt gibt. Es gibt eine geistige Welt außerhalb der materiellen Existenz."

Ja darf er denn das? Wir vermuten, er darf, weil er diese Überzeugung nicht mit seiner naturwissenschaftlichen Arbeit vermischt. Doch für uns als Kultur- und SozialanthropologInnen ist eine solche Trennung nicht praktikabel, weil wir uns nicht mit Teilchen beschäftigen, die sich experimentell isolieren lassen. Wir haben es mit Menschen zu tun, die mit unserem eigenen Menschsein interagieren, mit der Diversität ihrer Denkweisen, Weltbilder und Handlungen, die unser eigenes Weltbild herausfordern und die aus der engen Glaubensperspektive des selbstherrlichen Ultra-Rationalismus großteils unverständlich bleiben müssen.

Ethnographie als Innensicht

Die zentrale Methode der KSA ist die ethnographische Feldforschung, das Gewinnen wissenschaftlicher Daten im Kontext von Kommunikation, Beobachtung, Teilnahme und verkörperter Erfahrung durch langfristige Aufenthalte bei den beforschten Menschen. Gewisse Fragestellungen (etwa im Zusammenhang mit spirituellen Konzepten, rituellen Praktiken und, ja, auch mit Geistern) erfordern einen besonders hohen Grad an Partizipation und Integration im Feld.

Die Feld-ForscherInnen gewinnen ihre Erkenntnisse im Spannungsfeld von Erfahrung, Mitwirkung und analytischer Dokumentation. Ziel solcher Forschung ist, die entsprechenden kulturellen Praktiken zu beschreiben und sie zugleich aus theoretischer Perspektive zu analysieren. Dass diese diffizile Balance bei Diplom- und Masterarbeiten nicht immer optimal gelingt – übrigens auch bei jenen, die sich mit naturwissenschaftlich-technisch orientierten Themen befassen –, ist nicht weiter erstaunlich. Unsere Forschungen zielen aber keinesfalls darauf ab, die Weltbilder und Praktiken, die wir verstehen und erklären wollen, nach Kriterien von "wahr" oder "falsch" zu bewerten.

„Kritik“ als Exorzismus?

Wir nehmen davon Abstand, die plakativ aus dem Zusammenhang gerissenen Ausschnitte aus einzelnen Abschlussarbeiten im Detail zu kommentieren (übrigens: am Institut für KSA wurden seit 2006 über 1200 Abschlussarbeiten zu den unterschiedlichsten Themen verfasst). Wir sind nicht für Bücherverbrennungen zu haben und wollen auch deren AutorInnen nicht auf dem Scheiterhaufen sehen.

Die unsachliche und untergriffige Diktion, derer sich Frau Federspiel bedient, spricht für sich selbst und muss ebenso wenig kommentiert werden. Wir finden es befremdlich, dass mancherorts ein neuer Positivismusstreit für geboten erachtet wird; wir halten das Thema seit dem bekannten Positivismusstreit der 1960er für erledigt, in dem übrigens (wen wundert’s) beide Seiten die kritische Haltung für sich in Anspruch nahmen.

Und nochmals: wir halten es nicht nur für taktlos, sondern für mehr als fragwürdig, wenn diese Attacke auf Manfred Kremser jetzt geritten wird, wo er sich nicht mehr dazu äußern kann. Eine kritische Auseinandersetzung sieht für uns anders aus. Oder geht es etwa nur um Propaganda?

Wer sich von unserer Wertschätzung Kremsers überzeugen will, kann den Nachruf  des Instituts nachlesen, aus dem Frau Federspiel nur zwei völlig aus dem Zusammenhang gerissene Formulierungen herausgreift. Wir alle – die am Institut für KSA Forschenden, Lehrenden und Betreuenden – teilen ein gemeinsames Grundverständnis darüber, was im Rahmen unseres Faches Wissenschaftlichkeit ausmacht. Dieses Verständnis orientiert sich an einer internationalen und interdisziplinären Scientific Community, mit der wir im Austausch stehen.

Wir alle sind uns bewusst, dass diese Wissenschaftlichkeit ihre Grenzen hat. Sollen wir uns von Personen, die an den Perspektiven, Methoden, Prämissen und Zielen unseres Faches anscheinend keinerlei Interesse haben und die sich durch unreflektierten Eurozentrismus und epistemologische Naivität auszeichnen, sagen lassen, wo genau wir diese Grenzen zu ziehen haben?

Die KSA ist ein breites und diverses Feld, in dem für unterschiedliche Perspektiven und auch für unkonventionelle Themen Platz sein muss. Wir haben unsere Geister im Griff und brauchen keine ExorzistInnen. Vielmehr wollen wir auf jenen Satz verweisen, den wir täglich im Eingangsbereich unseres Gebäudes lesen: "Die Wissenschaft und ihre Lehre sind frei." (Bernhard Hadolt, Wolfgang Kraus, Elke Mader, Gertraud Seiser, Gastkommentar, derStandard.at, 25.6.2013)