Die Dichte an kulturellen Angeboten hält sich in dieser Gegend in engen Grenzen. Nur das Theater Metropol lotst bisweilen Bezirksfremde in das Grätzel zwischen Jörgerstraße und Ottakringer Straße im Wiener Bezirk Hernals. Im 19. Jahrhundert war das noch anders.

Damals war Hernals ein eigenständiger Vorort von Wien, in dem wegen der geringeren Steuern außerhalb des Linienwalls - des heutigen Gürtels - Wirtshäuser und Veranstaltungslokale aus dem Boden schossen. Eines dieser Häuser war der Heurige des Weinbauern Johann Gschwandner.

Foto: Familienarchiv Ulrike Stadler/Gschwandner

1838 eröffnete Gschwandner das Lokal zwischen der heutigen Hernalser Hauptstraße und Geblergasse. Weil es sich höchster Beliebtheit erfreute, ließen er und seine Söhne nach und nach an- und zubauen, bis der Heurige im Fin de siècle zum "Grand Etablissement" herangewachsen war. Bälle und Varietéaufführungen, kinematographische Vorführungen und Schrammelkonzerte, Kleinkunst, ja sogar Damenboxkämpfe gab es zu sehen.

Foto: Familienarchiv Ulrike Stadler/Gschwandner

In einem Wienerlied aus dieser Zeit heißt es, dass man vom Gschwandner reden werde, solange sein Alsegger Rieden gedeiht und ausgeschenkt wird. Der Alsegger Wein wird noch heute getrunken. Das Gschwandner aber geriet nach seiner Schließung im Jahr 1959 und der Bewirtung von geschätzten 25 Millionen Gästen fast in Vergessenheit.

Foto: August Stada/Gschwandner

Zwar wurde der Kuppelsaal unter Denkmalschutz gestellt. Dass sich darin aber über Jahrzehnte ein Lager für Filmrequisten befand, wussten nur wenige. Unter den Wissenden war wohl ein Mitarbeiter der Produktionsfirma von "Kommissar Rex", die in den 1990er Jahren hier einige Szenen für die Fernsehserie drehen ließ.

Foto: Carl Anders Nilsson

Also wurde 2011 die Agentur art phalanx mit einer Anrainerbefragung und einem Nutzungskonzept für die 1.500 Quadratmeter große Liegenschaft beauftragt. Das Projekt steht nun auf drei Säulen: Neben Eigenveranstaltungen sollen punktuelle Nutzer die Räume für Festivals, Konzerte oder Symposien mieten können. Zudem sollen regelmäßige Nutzer wie NGOs, lokale Kulturinitiativen, Tanz- oder Chorgruppen darin feste Standorte finden.

Übergreifend ist ein Gastronomiebetrieb vorgesehen, der die Heurigenkultur des alten Hauses wieder aufleben lassen soll. "Im Strauß-Lanner-Saal (Bild) entsteht ein Wirtshaus mit niederschwelliger Wiener Küche und Einflüssen von Mexiko bis zum Schwarzen Meer", sagt Jauk. Daneben wird es offene Räume ohne Konsumzwang, dafür mit Bibliothek und kostenlosem Internetzugang geben.

Foto: derStandard.at/Michael Matzenberger

Einen Vorgeschmack auf das neue Gschwandner gab es bereits: Die soeben zu Ende gegangene Zwischennutzung 2012/13 wurde als "Generalprobe" für den Regelbetrieb beworben. ImPulsTanz 2012, Vienna Design Week, Wäschermädelball (Bild), Armutskonferenz und Soho Ottakring waren zu Gast im Gschwandner und vor dem Weltuntergang am 21. Dezember 2012 wurde hier Die Letzte Weltausstellung abgefeiert.

Foto: derStandard.at/Lechner

Mit anspruchsvoller Unterhaltung soll es auch ab 2014 weitergehen. Bei der Zielgruppe will man sich aber möglichst nicht einschränken: Von "Kronen Zeitung bis FM4" reicht das Publikum im Idealfall, sagt Geschäftsführer Jauk. Saisonale Märkte soll das Gschwandner dann beherbergen, und auch Ausstellungen, Kochkurse oder Jazzkonzerte. Zudem wünscht man sich Kooperationen mit etablierten Veranstaltern wie dem Jazzfest Wien oder den Wiener Festwochen - auf diese Weise will man Kultur von den "ausgetrampelten Pfaden" im höfischen Zentrum in die Vorstadt bekommen.

Foto: derStandard.at/Michael Matzenberger

Den Spagat, diesen breiten Querschnitt auch stilistisch aufzufangen, muss das Wiener Büro BWM Architekten meistern. Noch wird gemeinsam mit den Eigentümervertretern an den Details gearbeitet. Erste Visualisierungen zeigen aber schon, in welche Richtung es gehen soll: Ein restaurierter Fischgrätparkett und schwere, magentafarbene Vorhänge im großen Saal; Glasfassaden und Sichtbeton im Zubau; Säulen, auf denen die abbröckelnden Lackschichten bewusst nicht geschliffen und überpinselt werden.

Foto: Carl Anders Nilsson, Rendering: BWM Architekten und Partner

Eine besondere Herausforderung sind die Fenster im denkmalgeschützten großen Saal. Sie sind hellhörig und können nicht einfach gegen modernes Mehrscheibenglas getauscht werden, um die Nerven der Nachbarn hier im dicht verbauten 17. Hieb nicht überzustrapazieren. "Laute Parties müssen wir aber ohnehin nicht machen", sagt Jauk, "dafür ist die Ottakringer Brauerei drüben sicher besser geeignet."

 

Rendering: BWM Architekten und Partner

Die Zubau- und Renovierungsmaßnahmen sollen aber mehr als nur die alte Bausubstanz im Gschwandner wiederbeleben. Die ganze Gegend um Alser Straße und Geblergasse bis hinauf zum Alser Spitz soll von den Investitionen profitieren und eine Standortoption "für junge Kreative und alternative Unternehmer wie Hildegard Wurst oder Joseph Brot" werden, so Jauk.

Rendering: BWM Architekten und Partner

Mittelfristig will man auch die Gemeinde Wien in Form eines Public–Private-Partnership-Modells ins Boot holen, diese Gespräche laufen aber noch. Unabhängig davon soll im "Etablissement" - ein Begriff, den die Betreiber trotz anzüglicher Konnotation bewusst verwenden - dann erlebbar werden, was jetzt noch Vision ist: Mit der "Wiederentdeckung eines der lebendigsten Vergnügungsstätten der Wiener Vorstadt" soll aus dem legendären Heurigen im Grünen ein modernes Veranstaltungs- und Kulturzentrum werden, das sich gleichwohl auf seine Wurzeln im alten Wien beruft. Und es soll auch ein geerdeter Kontrapunkt zu den noblen Ballsälen in den Innenstadtpalais sein. (Michael Matzenberger, derStandard.at, 3.7.2013)


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