Foto: Thomas Trenkler
Foto: Thomas Trenkler

Nein, Josef Weinheber war kein Mitläufer: Der Lyriker, 1892 in Ottakring geboren, trat bereits 1931 der NSDAP bei – zunächst bis zu deren Verbot 1933. Nach dem Anschluss Österreichs ans Deutsche Reich 1938 beteiligte er sich mit einem Beitrag am "Bekenntnisbuch österreichischer Schriftsteller", er verherrlichte den "von Gott gesandten Führer" und rühmte dessen Machwerk "Mein Kampf".

1941 erhielt Weinheber aus der Hand von Propagandaminister Joseph Goebbels den Grillparzer-Preis, er wurde, wie auf "Wikipedia" nachzulesen ist, „zum berühmtesten Lyriker Nazi-Deutschlands". Und Ende August 1944, als die Niederlage des Dritten Reichs bereits absehbar war, nahm Adolf Hitler ihn in die Gottbegnadeten-Liste mit den wichtigsten Schriftstellern des NS-Reiches auf, was den Verse-Schmied vor einem Arbeitseinsatz im Kriegsdienst bewahrte. Am 8. April 1945, wenige Tage vor dem Eintreffen der heranrückenden Russen, verübte Weinheber Selbstmord. In der sowjetischen Besatzungszone wurden dessen Oden "Blut und Stahl" (Berlin, 1941) auf die "Liste der auszusondernden Literatur gesetzt".

Dennoch sah die Stadt Wien bisher keinen Grund, sich von ihrem "Heimatdichter" zu distanzieren, der dem Namen "Weinheber" alle Ehre gemacht haben soll: Sein Andenken wird hoch gehalten – nicht nur auf Bezirksebene, eben in Ottakring, sondern auch am Schillerplatz, gleich neben der Akademie der bildenden Künste. Das dortige Weinheber-Denkmal wurde am 21. Juni 1975 enthüllt. Eine Besonderheit stellt die Büste dar: Der NS-regimenahe Bildhauer Josef Bock schuf sie 1940, als Weinheber den Zenit seiner Bedeutung erlangt hatte.

Das Denkmal war in den folgenden Jahren immer wieder Ziel von Interventionen: Auf den Sockel aus Sandstein wurden antifaschistische Parolen geschmiert, wiederholt wurde die Büste demontiert und entwendet. 1991 entschloss sich die von den Sozialdemokraten regierte Stadt zu einer Umgestaltung: Die Büste wurde auf einen polierten, leicht zu reinigenden Granitsockel transferiert, und dieser erhielt ein in das Erdreich eingelassenes, rund ein Kubikmeter großes Fundament aus Beton. Die Stadt zementierte mit dieser Maßnahme ihr Bekenntnis zu Weinheber förmlich ein.

Die Plattform Geschichtspolitik der Akademie, eine Gruppe von Studierenden und jungen Lehrenden, setzte sich in den letzten Jahren intensiv mit dem Weinheber-Denkmal auseinander. Ihre Vorschläge, dieses umzugestalten oder zumindest zu kontextualisieren, wurden von der Stadt Wien rundweg abgelehnt.

Drei Mitglieder der Plattform – Chris Gangl, Eduard Freudmann und Tatjana Kai-Browne – entschlossen sich nun zur Tat: Am Freitagnachmittag legten sie, unterstützt von Kolleginnen und Kollegen, das Betonfundament frei. Es ist tatsächlich so, wie in den Plänen verzeichnet: grotesk massiv.

Die Grabungsarbeiten im Halbschatten bei angenehmen Temperaturen gingen ohne Störfälle über die Bühne. Passanten gegenüber erklärte die Gruppe, dass es sich bei der Aktion „Weinheber ausgehoben" um ein „Forschungsprojekt" handle. Denn man erforschte ja tatsächlich das Fundament. Gleichzeitig war die Aktion ein Kunstprojekt: Man „modellierte", so Ruth Sonderegger von der Akademie, das Erdreich rund um das Denkmal. Und man legte den Krater, den man nach knapp drei Stunden Arbeit ausgehoben hatte, fein säuberlich mit Rollrasen aus.

Durch den Eingriff entstand eine neue Skulptur. Sie macht sichtbar, mit welcher Vehemenz die Stadt Wien ihr phallisches Weinheber-Denkmal schützt. Zusammen mit dem Fundament erinnert dieses nun an ein Stehaufmännchen: Nicht einmal ein schweres Erdbeben könnte es zum Umfallen bringen. Mit ihrer gewitzten Intervention hinterfragten die drei Wagemutigen von der Akademie auch den Slogan "Beton. Es kommt nur drauf an, was man draus macht."

Anzumerken ist noch, dass es sich bei dieser Grabung nicht um eine Aktion der Akademie handelte. Sie passierte aber mit Unterstützung von Eva Blimlinger: Die Rektorin spendete den Rollrasen. Und sie gesellte sich am Freitag auch zu dem Grüppchen, das der scheinbar idyllischen Oberfläche misstraute – und in die Tiefe forschte. (Thomas Trenkler, derStandard.at, 29.6.2013)