Bild nicht mehr verfügbar.

Rund 35 Prozent der Europäer leiden an Heuschnupfen, Tendenz steigend. Weil viele Betroffene später Asthma entwickeln können, empfehlen Experten, schon bei den ersten Symptomen eine Immuntherapie zu beginnen.

Foto: APA/dpa/Peter Endig

Die Vorhersage für die nächsten Tage? "Mäßige Belastung. Subalpine Lagen, Wiesen und Roggenfelder meiden und lieber in den Wald ausweichen." Informationen des Österreichischen Pollenwarndienstes sind für Allergiker essenziell: Lieber bleiben sie zu Hause. 

Jeder Dritte hat Heuschnupfen

Derzeit leiden Menschen mit Gräserpollenallergie besonders: Die Augen jucken, eine Niesattacke jagt die andere, die Nase rinnt. Allergische Rhinokonjunktivitis nennen Mediziner den Heuschnupfen. Gemäß WHO-Statistik leiden daran rund 35 Prozent der Europäer, Tendenz steigend. Am häufigsten reagieren Heuschnupfen-Geplagte auf Gräser- und Birkenpollen, Katzenhaare und Hausstaubmilben. Manche haben zusätzlich Kopfschmerzen, fühlen sich wie benebelt, können sich nicht konzentrieren und sind ständig müde.

Die lästigen Symptome nerven aber nicht nur, mehr als jeder vierte Allergiker bekommt irgendwann in seinem Leben Asthma - eine chronische Entzündung der Atemwege, die die Lebensqualität extrem einschränkt und zu hohen Therapiekosten führt. Den Wechsel von Rhinokonjunktivitis zu Asthma nennen Mediziner salopp Etagenwechsel, weil sich die Allergie vom Nasen-Rachenraum auf die Lungen ausbreitet. "Man kann das aber gut vermeiden", sagt Werner Aberer, Allergologe und Vorstand der Klinik für Dermatologie an der Med-Uni Graz, "und zwar einzig und allein mit einer Immuntherapie - je früher, desto besser."

Keine Bagatelle

Doch leider würden viele Patienten und auch einige Ärzte Heuschnupfen nicht ernst genug nehmen. "Dabei gibt es viele Möglichkeiten der Immuntherapie, die einfacher und bequemer sind als früher." Vor allem: Sie wirken. Aberer zitiert die neuesten Studienergebnisse vom Weltallergiekongress in Mailand.

Der Begriff Etagenwechsel ist eigentlich nicht korrekt. Bei einer Allergie bildet der Körper Abwehrstoffe gegen Proteine, die er vermeintlich als fremd erkennt. Das löst eine Immunreaktion mit Entzündung aus. Die Abwehrstoffe befinden sich im ganzen Körper, die Symptome manifestieren sich aber in Nase, Bronchien, der Haut und auch in anderen Organen. "Beim Etagenwechsel rutscht die Allergie nicht von der Nase in die Lunge, sondern die Symptome an der Lunge mit anfallsartiger Atemnot stehen im Vordergrund", erklärt Aberer. "Der Heuschnupfen bleibt aber meist."

Zweifacher Etagenwechsel

Bei Kindern beginnt die Allergiekarriere häufig mit Neurodermitis, also einem juckenden Hautausschlag oder Allergie gegen Nahrungsmittel. Später kommen Heuschnupfen und Asthma dazu. "Eigentlich müsste man von einem zweifachen Etagenwechsel sprechen", sagt Cemal Cingi, Spezialist für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde an der Europäischen Akademie für Allergologie und Klinische Immunologie (EAACI).

Bei den meisten Patienten mit allergischer Rhinokonjunktivitis könne er feststellen, dass ihre Atemwege überempfindlich reagieren, obwohl sie noch keine Symptome haben und Atemtests normal sind. "Aber die Überempfindlichkeit ist schon ein frühes Zeichen für Asthma." 

Allergene meiden

Es sei nur eine Frage der Zeit, bis sich Asthma entwickelt, sagt Leif Bjermer, Leiter des Allergie-Kompetenzzentrums an der Uniklinik im schwedischen Lund. "Die Rhinokonjunktivitis ist bloß ein Zeichen, dass die Atemwege betroffen sind. Die Entzündung kann sich auch weiter unten manifestieren." Das Risiko für einen Etagenwechsel scheint auch mit der Art der allergieauslösenden Stoffe zusammenzuhängen. "Kleinere Partikel wie die von Hausstaubmilben oder Katzenhaare dringen leichter in die tieferen Atemwege ein und lösen dort eher eine Entzündung aus", erklärt Bjermer.

Das Beste wäre, diese Allergene zu meiden. Bei Tierhaaren ist das eventuell möglich, bei Hausstaubmilben oder Pollen schon schwieriger. Hier helfen Antihistaminika, Kortison oder Leukotrien-Antagonisten. "Sie lindern zwar die bestehende Entzündung", sagt Cezmi Akdis von EAACI und Direktor des Christine-Kühne-Zentrums für Allergieforschung in der Schweiz, "das, was in den Schleimhäuten passiert, können Medikamente nicht verhindern."

Spritze, Tabletten, Tropfen

Konkret meint er die Überproduktion von IgE-Antikörpern und Immunzellen, die diverse Botenstoffe ausschütten und so eine Kaskade von Immunreaktionen und Symptomen auslöst. Hier setzt jedoch genau die Immuntherapie ein. "Sie führt zu einem Anstieg von IgG4-Antikörpern, die offensichtlich diese Kettenreaktion unterbrechen", sagt Akdis, "so lernt der Körper, nicht mehr mit derselben Überempfindlich zu reagieren."

Die Immuntherapie wird in Form von Spritzen (SCIT), Tabletten oder Tropfen (SLIT) verabreicht. Gestartet wird mit einer Einleitungsphase, in der die Patienten das Allergen erst in geringer, dann in immer höherer Dosierung erhält. Das kann je nach Allergen einen Tag oder mehrere Wochen dauern. Dann wird das Allergen als Erhaltungsdosis noch bis zu drei Jahren verabreicht. Alternativ gibt es eine Kurzzeit-Spritzentherapie vor der Pollensaison, die auch für Kinder eine Option ist.

Immunantwort verstärken

Allergologen indes forschen daran, wie die Therapie noch wirksamer gemacht werden kann, etwa indem Substanzen zugesetzt werden, die die gesunde Immunantwort im Körper noch verstärken. Andere Forscher versuchen, von den Hunderten von Eiweißen in den Pollen nur jene zu verabreichen, gegen die eine Allergie besteht, und nicht wie derzeit eine Lösung aus dem gesamten Allergenextrakt zu geben. "Bis wir Ergebnisse haben, nutzen wir eben die heute zugelassenen Immuntherapien, um den Etagenwechsel zu vermeiden", sagt EAACI-Präsident Akdis. (Felicitas Witte, DER STANDARD, 8.7.2013)