Wie viel Spielzeit erwarten Sie sich von einem Vollpreistitel für 60 Euro? (Bild: "The Last of Us")

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Wie lang soll ein Videospiel sein? Auf diese scheinbar einfache Frage gibt es wohl so viele Antworten wie Spieler. Während der Casual-Freund am iPad auf längeren Busfahrten schon mal zwei, drei 99-Cent-Titel ausprobiert und dann nie mehr ansieht, und während Games-Experimente wie "Journey" oder "Dear Esther" in der Dauer eines Kinofilms durchzuspielen sind, beziffern die Freunde epischer MMOs, Multiplayer-Krieger, aber auch "Farmville"-Opfer ihre Spielstunden schon mal vierstellig.

Natürlich lässt sich die Frage auch wegen der Unterschiedlichkeit der Genres nicht beantworten: Ein Spiel wie "FIFA" oder "Civilization" kann man, ebenso wie reine Multiplayertitel, kaum von Anfang bis Ende "durchspielen". Versuchen Spiele aber eine Geschichte zu erzählen und dabei ein spannendes, cineastisches Erlebnis zu bieten, wird die Spieldauer zum oft bitter umkämpften Streitthema. Wann ist ein Spiel zu kurz oder gar zu lang?

Ökonomische Hintergedanken

Angesichts der Ereignisse der letzten Wochen rund um Xbox One und den von manchen Seiten erbittert geführten Kampf gegen den Gebrauchtspielemarkt äußerte sich Avalanche-Chef Christofer Sundberg vor kurzem in einem Interview zum Thema: Die meisten Spiele, so der Chef des Studios, das hauptsächlich für die Open-World-Action-Reihe "Just Cause" bekannt ist, seien schlicht zu kurz und böten kaum Wiederspielbarkeit - aus ebendiesem Grund würden sie auch eingetauscht und weiterverkauft. "Wenn ein Spiel in acht bis zehn Stunden durchgespielt ist, würde ich es auch eintauschen. Wenn ein Spiel wenig Abwechslung und kaum Wiederspielbarkeit bietet, gibt es einfach keine Motivation, das Spiel zu behalten. Das ist auch ein Grund, warum ich in Gebrauchtspieleladen nur selten eines unserer Spiele sehe", so Sundberg weiter.

Möglichst lange Spiele, die ihre Spieler nicht stunden-, sondern im besten Fall monatelang an den Bildschirm fesseln, sind so gesehen und aus der Sicht der Branche das Nonplusultra. Und das aus mehreren Gründen: Für einen Titel mit derartigem Langzeitappeal kann mit gutem Gewissen der klassische Vollpreis verlangt werden, und, wie von Sundberg erwähnt, auch  der Secondhand-Markt knabbert dementsprechend weniger an den Margen. Zudem lassen sich so per DLC- oder per Abomodellen über die Spielzeit verteilt eventuell sogar noch weitere Gewinne lukrieren: Kunden, die hunderte Stunden in "CoD"-Multiplayer oder "DotA" versenken, lassen sich im besten Fall auch eher zu In-App-Käufen oder DLC-Addons überreden.

Size matters

Auch die Spieler berechnen traditionellerweise den relativen Wert eines Titels anhand des Schlüssels aus Spielzeit zu Kosten, und dabei gilt stets: Je mehr, desto besser. Tatsächlich ist die Frage nach der richtigen Spiellänge aber immer auch eine nach der Preisgestaltung: Wer 60 Euro für ein aktuelles Konsolenspiel ausgibt, fühlt sich betrogen, wenn schon nach sechs Stunden die Credits rollen - ein Grund, warum bei vielen eigentlich erzählenden Singleplayerspielen wie "Tomb Raider" oder aktuell "The Last of Us", die ihre Geschichte in zehn, zwölf Stunden fertig erzählt haben, mehr oder weniger gelungene Multiplayer-Komponenten an das Hauptspiel geklatscht werden oder aber höhere Schwierigkeitsstufen und Achievements-Schnitzeljagden die Spieldauer künstlich verlängern sollen.

Denn mit explodierenden Entwicklungskosten und immer aufwendiger und teurer werdenden AAA-Titeln werden die meisten Spiele, zumindest in ihren Kampagnen, tatsächlich kürzer. Beim Aufwand für Vertonung, Artdesign und Animation, der für einen aktuellen Blockbuster betrieben wird, ist die Produktion von 20, 30 Stunden Spieldauer  in den allermeisten Fällen schlicht nicht finanzierbar. Doch nicht nur das: Auch die heutzutage gebräuchliche Kampagnenlänge von zehn, zwölf Stunden, wie sie etwa beim spezialisierten Portal HowLongToBeat als akzeptierte Durchschnittsspielzeit erhoben wird, lässt sich in der Regel nicht ohne Längen, Wiederholungen, mühsam in die Länge gezogene Tutorials und Recycling von Spielelementen bewerkstelligen. Die meisten Spiele polstern so ihre Länge mit mäßig interessantem Füllmaterial auf.

Eine Frage des Geldes

Die Branche geht auf unterschiedliche Weise mit diesem Dilemma um: Während klassische Einzelspielertitel wie etwa "Tomb Raider" oder "Bioshock: Infinite" den gleich bleibenden Vollpreis mit ihren zehn Stunden Spieldauer und Multiplayerteil bzw. "New Game+"-Modell rechtfertigen wollen, drehen andere Teile der Branche an der Preisschraube: Im Indie-Bereich haben sich niedrigere Preise oder Pay-what-you-want-Modelle eingebürgert - bei durchschnittlich unter 10 Euro pro Titel lassen sich auch kürzere Spiele gut verkaufen. Im Mobile Gaming hat man sich wohl oder übel, dank regulärer Dumpingpreise, auf drastisch verkürzte Spiele oder schlicht reduzierte Komplexität und Qualität verständigt; in großen Multiplayer-Titeln oder MMOs experimentiert die Branche seit längerem mit Free2Play, In-App-Käufen oder Abomodellen, um die Spielerschaft einerseits an die Titel zu fesseln und sie andererseits zum Geldausgeben zu bewegen.

Kein Wunder, dass in diesem Kontext, also bei jenen Spielen, die die längste Spieldauer versprechen, das "grinding", also das recht stupide, eigentlich langweilige Abgrasen in den jeweiligen Spielmechaniken den absoluten Löwenanteil an den "hunderten Stunden Spielspaß" ausmacht. Auf den ersten Blick paradox: Spieler, die gewillt sind, dafür Geld auszugeben, können sich genau diese Spiellängenstreckung per Zukauf von XP-Verdopplung oder Ähnlichem wieder verkürzen.

"Games are too damn long"

Dass die reine Spielzeit demnach vielleicht ein untaugliches Qualitätskriterium ist, kritisierte etwa Jamin Warren, Herausgeber des legendären Gameskultur-Magazins KillScreen. Was nützt Spielern ein Spiel, das zwar lang, aber dafür uninspiriert gestreckt und mit Füllmaterial aufgeblasen ist? In einem polemischen Artikel mit dem Titel "Games Are Too Damn Long" kritisierte Warren schon Ende letzten Jahres die Tendenz der Industrie und der Fans, die reine Spiellänge als Qualitätskriterium zu sehen, und auch Michael Thomsen beklagte für das US-Qualitätsblog Slate in einem ähnlichen Artikel die übergroßen Zeitanforderungen, die etwa "Dark Souls" an ihn stellte.

Warum müssen Spiele aber überhaupt eine derart hohe Beschäftigungsdauer anbieten? Vermutlich ist es ein Relikt aus der Geschichte des jungen Mediums, das hier der Quantität den Vorzug gibt: Traditionellerweise richten sich Spiele an ein Publikum, das wegen seiner Jugendlichkeit zwar wenig verfügbares Geld, dafür aber massig Zeit zur Verfügung hat - der stereotype jugendliche Gamer, dessen mühsam zusammengespartes Taschengeld einmal im Monat für genau ein Spiel reicht, muss nicht zuletzt durch die Spiellänge davon überzeugt werden, dass Games gegenüber anderen Freizeitvergnügungen wie Kino oder Ausgehen die bessere Investition sind. Wenn somit ein Besuch im Multiplex samt Popcorn auf zehn Euro für zwei Stunden kommt, muss der Vollpreistitel dementsprechend mindestens siebenmal so lange Spaß machen, so die Rechnung.

Kürzere Spiele für ein erwachsenes Publikum?

Irgendwo liegt hier allerdings ein Missverständnis: Der Durchschnittsspieler heute ist kein Teenager mit wenig Geld und endloser Tagesfreizeit, sondern zunehmend erwachsen - und das Verhältnis zwischen freier Zeit und Einkommen ist ein anderes. Es überrascht eigentlich, dass die Branche nur in einigen Ausnahmenischen den Zeitbedürfnissen dieser erwachsenen Spieler entgegenkommt: Episodische Titel wie "The Walking Dead" können in kurzen Sessions gespielt werden und sind narrativ auch darauf ausgelegt, Indie-Titel wie "Limbo" oder "Journey" bieten zum niedrigen Preis Spielspaß für einen Abend und auch einige wenige Hochglanztitel aus jüngerer Zeit, etwa das augenzwinkernde "Call of Juarez: Gunslinger" experimentieren mit einer Mischung aus niedrigem Preis und dafür reduzierter Spieldauer.

Dass dieser Weg hin zum kürzeren Spiel nicht ganz verkehrt sein kann, untermauert auch eine andere Beobachtung: Nur 10 Prozent aller Spieler spielen einen Titel bis zu seinem Ende durch - eine Statistik, wie es sie in fast keinem anderen Medium abgesehen von Maturaleselisten zu beklagen gibt. Ob es da die richtige Lösung ist, gleich ganz auf ein Ende zu verzichten, wie es Jason VandenBerghe von Ubisoft vorgeschlagen hat?

Dauerbaustelle Preispolitik

Man könnte das Pferd auch andersherum aufzäumen: Kürzere Spiele ohne Füllmaterial und Wiederholungen würden vielleicht auch jenes größere, "erwachsene" Zielpublikum bei ihrem Medium halten, das sich in seinen Dreißigern massenweise vom Zeitfresser Games verabschiedet. Der Knackpunkt hierbei wird allerdings eine andere Dauerbaustelle der Industrie sein: die Preispolitik. Vielleicht wäre es an der Zeit, die Worte des ehemaligen EA-Chefs John Riccitiello endlich ernst zu nehmen und die Vollpreispolitik der Branche kreativ zu überdenken - aber nicht unbedingt, wie in den letzten Jahren geschehen, in Richtung des vor allem bei den Spielern unbeliebten Free2Play-Modells.

Denn eigentlich kann ein Spiel nicht zu kurz oder zu lang sein - aber dafür sicher zu teuer im Verhältnis zu dem, was geboten wird. Ob kurz oder lang: Videospiele, lange wie kurze, sollen unterhalten, und es gibt wohl für jede Zielgruppe die "passende" Länge. Die Herausforderung für die Branche wird es sein, den zu den jeweiligen Längen passenden Preis zu finden. (Rainer Sigl, derStandard.at, 12.7.2013)