Verletzungsthemen in Messing, Marmor und Textil: Bruno Gironcolis "Große Messingfigur" (1970-71) behandelt ähnliche Themen wie die Wiener Aktionisten.

Foto: Gregor Titze, Belvedere

Wien - Dem Stimmungsmacher, wie Bruno Gironcolis Figur, auf einem Punkt stehend sich auch nennt, ist das gleiche Schicksal beschieden wie vielen Passstücken seines Kollegen und einstigen Schülers Franz West. Der Lustgewinn, der beim In-Aktion-Treten mit dem Objekt entsteht, entgeht dem Betrachter.

In der Orangerie des Belvedere ist das aktuell vielleicht gar nicht verkehrt. Denn die sexuelle Konnotation der phallischen, goldgetünchten Polyesterfigur (ca. 196569), die Gironcolis frühe Kopfform mit einer Art Rumpf ergänzt, könnte Schamesröte auf Betrachterwangen zaubern. Spielt man mit der Plastik, schubst das sockellose Ding, so stellt es seine aufrechte Position wie ein Stehaufmännchen wieder her.

Lange bevor die Übermutter und deren Symbiose mit dem Kind zum bestimmenden Thema im Werk des 2010 gestorbenen Bildhauers wurde, waren es noch die Geschlechtlichkeit und Körperhaftigkeit, Begehren und Umwerben des testosterongetränkten Jungmanns, die Gironcoli beschäftigten und sich so trefflich in seiner Junggesellen-Bettstatt Ohne Titel (1970-72) widerspiegeln: "Diese Triebhaftigkeit, die auch pornografische Andeutungen enthält, hat meine Plastik bestimmt", gestand er 1997 in einem Interview mit dem STANDARD.

Es ist das frühe, zwischen 1964 und 1979 entstandene Werk aus metallischen Materialien, Holz, Polyester und Gips, das den Schwerpunkt der Ausstellung Gironcoli:Context bildet. "Gironcoli ist keine Insel" wäre ein alternativer Titel für diese kompakte, konzentrierte - und insbesondere erkenntnisreiche - Schau gewesen. Denn es ging darum, Gironcolis ikonografisch sehr spezielles Werk vom Ruf des Rätselhaften und Unvergleichlichen zu befreien. Trotz aller Präsenz, die ihm zum Ende seiner Laufbahn zuteilwurde (2003 vertrat er, bereits 67-jährig, Österreich auf der Biennale Venedig), blieb er ein isoliert Betrachteter.

Kuratorin Bettina M. Busse inszeniert Gironcoli daher nicht als kryptischen Außenseiter, sondern bettet ihn zwischen wichtige Skulpturenpositionen des 20. Jahrhunderts, zwischen Kollegen wie Carl Andre, Bruce Nauman, Joseph Beuys oder Louise Bourgeois. Die Nähe, die hier im übertragenen Sinne hergestellt wird, ergibt sich in der Orangerie auch räumlich. So kommt man den bedrohlichen Kolossen, Gironcolis "Kopfträumen" mit ihren Dornen und Spitzen, Borsten und Haken, mit martialisch-sexueller Formsprache, unweigerlich nahe. Chancenlos, sich von den malträtierten, in Apparaturen gezwängten Vierbeinern distanzieren zu wollen. Gleich daneben dreht sich das Karussell der Conditio humana, an dem Bruce Nauman verstümmelte Tier-Torsi kreisen lässt. Auf der anderen Seite bäumt sich ein Leib von Bourgeois auf.

Ein Raum der Dialoge

Es ist die Suche nach einem adäquaten Menschenbild, das die Zeitgenossen eint; die Abarbeitung an der eigenen Geschlechtlichkeit hallt in Jürgen Klaukes performativen Fotos wider. An Joseph Beuys faszinierte Gironcoli die Aufladung der Materialien, an Carl Andre die Vervielfachung des Formelements sowie die Verräumlichung. Zwischen diesen beiden entsteht ein besonders netter Dialog: Andres Tenth Copper Cardinal macht aus Beuys Eurasienstab II geradezu eine Arbeit des Minimalismus. (Anne Katrin Feßler, DER STANDARD, 12.7.2013)