Bild nicht mehr verfügbar.

Die Tonsillen schützen vor Viren und Bakterien, sind aber wegen ihrer zerfurchten Oberfläche und des häufigen Kontakts mit Nahrungsmitteln und Keimen auch anfällig für Entzündungen.

Foto: apa/BARBARA GINDL

"Raus mit dem Blinddarm, diesem Relikt aus der Urzeit der Menschwerdung, das sein Schattendasein lediglich in seiner entzündenden Form durchbricht". – Auf dieser einfachen Formel beruht sinngemäß die nach wie vor geltende Mehrheitsmeinung, wenn über die Sinnhaftigkeit des Caecums diskutiert wird.

Eine Ansicht, die nicht nur in der Laienwelt auf rege Zustimmung stößt, auch Franz Wuketits, Vorstandsmitglied des Konrad-Lorenz-Instituts für Evolutions- und Kognitionsforschung, spricht in diesem Zusammenhang von einem "typisch rudimentären – also einem rückgebildeten und funktionslos gewordenen Organ". – Und seien wir ehrlich: Eine "Blinddarmoperation", wie sie fälschlicherweise genannt wird (tatsächlich wird der entzündete Wurmfortsatz entfernt), ist zwar unangenehm und schmerzhaft, für das weitere Leben aber nicht weiter bedeutsam.

So sah bereits der britische Naturforscher Charles Darwin das Caecum als weiteren Beweis seiner Evolutionstheorie. Demnach hatten der Blinddarm und sein etwa acht Zentimeter langes Anhängsel (Appendix) für unsere alten, pflanzenfressenden Vorfahren sehr wohl eine Funktion: Sie halfen dabei, die schwer verdaulichen organischen Nährstoffverbindungen besser verarbeiten zu können. Mit der zunehmenden Umstellung auf Fleischkost, sei dieser Teil des Verdauungstraktes aber nicht mehr relevant gewesen, wodurch der Prozess der Verkümmerung einsetzte.

Wichtiges "Reservoir" für Bakterien

"Alles, was einst eine Funktion hatte, kann in der Evolution nur langsam abgetragen werden. Die Evolution ist zweifelsohne innovativ, aber in ihr steckt auch eine konservative Komponente", lautet die Begründung von Franz Wuketits, warum wir dieses rudimentäre und scheinbar sinnlose Organ nach wie vor in uns herumtragen.

Sollten Sie nun zu jenen Mitmenschen zählen, deren Wurmfortsatz operativ entfernt wurde und die nach eigenem Ermessen der Überzeugung sind, dass ihnen Magen-Darm-Erkrankungen besonders zu schaffen machen, dann haben aktuelle wissenschaftliche Studien eine nicht unplausible Erklärung für Ihr Leiden parat: So fanden etwa William Parker und sein Forscherteam von der Duke University in North Carolina heraus, dass der Blinddarm sehr wohl eine wichtige Rolle im Immunsystem spielt.

Dieser Bereich im rechten Unterbauch bietet Darmbakterien einen äußerst guten Nährboden, der diesen auch ein Überleben im Fall einer Durchfallerkrankung sichert. Werden Darmbakterien durch eine Infektion zerstört, so sorgen die „guten, intakten Keime“ im Blinddarm dafür, dass sich die Darmflora wieder relativ rasch regeneriert. Fehlt dieses "Bakterienreservoir", führt das mitunter zu einem langwierigeren Verlauf der Infektion, so das Resümee der Forscher. Ergo: von einer fehlgeleiteten Evolution kann hier keineswegs gesprochen werden.

Mandeln sind besser als ihr Ruf

Ein ähnlich schlechtes Image wie der Blinddarm hatten bis in das späte 20. Jahrhundert auch die Tonsillen, wenngleich sich hier der medizinische Standpunkt in den vergangenen 20 Jahren deutlich ausdifferenziert hat. So gibt es mittlerweile kaum mehr Zweifel darüber, dass die Gaumenmandeln vor allem bei Kleinkindern eine wichtige Abwehrfunktion im lymphatischen Rachenring übernehmen und maßgeblich an der Ausbildung des Immunsystems beteiligt sind. Nicht zuletzt durch sie lernt der Körper fremde Viren und Bakterien zu erkennen und auch abzuwehren. Außerdem gelten sie vor allem bei Kindern als "Wächter" gegen Viren- und Bakterienerkrankungen, indem sie eingedrungene Keime abfangen.

Untersuchungen haben gezeigt, dass Kinder, bei denen die Mandeln vor dem sechsten Lebensjahr entfernt wurden, über ein schwächeres Immunsystem verfügen als Gleichaltrige mit intakten Tonsillen. – Mit ein Grund, warum empfohlen wird, eine Tonsillektomie – also die vollständige chirurgische Entfernung der Gaumenmandeln – im Kindesalter erst ab einer bestimmten Anzahl von wiederkehrenden Mandelentzündungen vornehmen zu lassen. In vielen Fällen reiche vorerst die Teilentfernung – eine Tonsillotomie, wie sie seit Ende der 1990er-Jahre vermehrt zum Einsatz kommt. Der Vorteil dieser Technik ist, dass so die Tonsillenkapsel erhalten bleibt und die größeren zuführenden Gefäße geschont werden, wodurch sich wiederum das (Nach-)Blutungsrisiko reduziert.

Sollten die Mandeln aber zu häufig für Schmerzen sorgen, dann bleibt nach wie vor keine andere Alternative als: "Raus damit!“ (Günther Brandstetter, derStandard.at, 23.7.2013)