Die Küche Chinas hat einen ziemlich unbestrittenen Star: die Sojabohne. Sie ist eine der wenigen Regionen übergreifenden Konstanten: Während die Südchinesen eher Reis, die Nordchinesen eher Weizen essen, die Sichuanchinesen ihren Pfeffer lieben, den viele Cantonchinesen kaum hinunter bringen, oder in Yunnan Käse gemacht wird, vor dem einem Shanghaier graust, kann sich das ganze Land auf die Bohne einigen.

Kaum eine Mahlzeit, die ohne sie oder eines ihrer Nebenprodukte auskommt: Sie würzt von der Suppe über schnell Gebratenes und lang Geschmortes fast alles, sei es als Sauce oder, meiner Meinung nach meist interessanter, als fermentiertes Bohnenpüree oder ganze fermentierte Bohne; frisch wird sie gern mit Rohschinken, etwa aus Jinhua gebraten oder kurz blanchiert und mit Bambussprossen serviert;

Foto: Tobias Müller

Ihre Milch wird nachmittags eiskalt geschlürft oder zum Frühstück heiß mit Youtiao, einer Art Langos in Stangenform, aufgetunkt; das hiesige Eskimo-Pendant bietet Sojaeis am Stiel in schickem 50er-Jahre grün an; und einmal zu Tofu verarbeitet sind der Bohne Verwendungsmöglichkeiten fast grenzenlos. Mir am meisten ans Herz gewachsen ist er allerdings in einer Form, die in Europa wenig verbreitet ist: ganz frisch und umgepresst als Dou Hua, Tofu-Creme.

 

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Duo Hua ist der unkomplizierteste Spross der Tofufamilie: Sojamilch, die gerade frisch zu einer Art Pudding geronnen ist, ungepresst, nicht gereift, möglichst schnell nach der Herstellung serviert. In diesem Zustand ist sie nicht flüssig, aber auch nicht wirklich fest, und viel zarter, feiner, als Pudding oder Custard es je sind. Genossen wird Duo Hau sowohl warm als auch kalt, in und um Shanghai eher würzig mit Sojasauce zum Frühstück, in und um Hong Kong meist als Dessert, etwa mit Rohrzucker oder schwarzem Sesambrei. Am allerbesten ist er meiner Meinung nach, wenn er ganz frisch geronnen und noch heiß vom Kochen ist.

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Was in Österreich meist als Tofu verkauft wird, kann man vorsichtig eher als Enttäuschung bezeichnen - seine Konsistenz lässt einen dankbar sein, dass er wenigstens nach nichts schmeckt. In China aber ist das anders. Guter Dou Hua schmeckt mitnichten nach nichts - er hat ein irrsinnig frisches, fast ein wenig blumiges Aroma samt angenehm gemüsigen Sojanoten.

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In Hong Kong gibt es eigene Imbissstände, die nur Sojamilch, Seidentofu und Tofu servieren. Die besseren dieser Sojafachhändler machen ihre Ware frisch und selbst - und der vielleicht allerbeste von ihnen ist Jung Wo, neben der U-Bahn-Station Sham Shui Po. Nicht unweit von hier liegt Kowloon, ein Viertel das als dichtbesiedeltser Ort der Welt gilt, weswegen Mieten sehr schnell steigen und Restaurants eine eher kurze Halbwertszeit haben. Das Jung Wo aber hält sich hier bereits seit über 50 Jahren.

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Ich hatte das Glück, nicht nur jede Menge Douhua hier zu schlürfen, sondern dem Tofumeister auch bei der Produktion zusehen zu dürfen.

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Am Anfang war die Sojabohne. Für die Tofuproduktion wird allermeist ihre gelbe Variante verwendet. Die getrockneten Bohnen werden eingeweicht, bis sie sich mit Wasser vollgesogen haben und eine ähnliche Konsistenz haben wie mehlige Erbsen. Geschmacklich sind sie zu diesem Zeitpunkt wenig aufregend - auf ihnen zu kauen erinnert ein wenig an einen Biss in die Wiese, bzw. so wie ich mir einen solchen vorstelle. Die Bohnen werden mit noch mehr Wasser gemischt und gemahlen. Im Jung Wo erledigt das eine Mühle aus zwei mächtigen Steinscheiben, das Wasser kommt aus der Leitung. Tofupuristen finden das nicht gut: Sie bestehen darauf, dass Wasser aus Bergflüssen das Beste für den Bohnenkäse sei.

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Die weiße, milchige Flüssigkeit, die aus der Mühle rinnt, wird anschließend durch ein Tuch geseiht und zentrifugiert, sodass die gequetschten Bohnen - der Sojakuchen - sich von der Milch trennen.

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Das Ergebnis, die ganz frische Sojamilch, schmeckt immer noch eher grasig, ähnlich wie die Bohne.

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Dann kommt die Milch im Jung Wo in ein Kupferbecken, unter dem ein wildes Feuer lodert, und in dem ein automatischer Rührarm dafür sorgt, dass nichts anbrennt. Hier wird sie so lange erhitzt, bis sie ordentlich schäumt und siedet - etwa zwanzig Minuten darf sie wallen, um unerwünschte Stoffe in ihr abzubauen (wenn ich es recht verstanden habe, ein Enzym, das der Verdauung hinderlich ist).

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Was währenddessen zu viel schäumt, wird immer wieder abgeschöpft.

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Nach dem Sieden wird die Milch erneut durch ein Tuch abgeseiht...

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... und in Eimern zwischengelagert. Wer will, der trinkt sie nun heiß oder kühlt sie zwecks Erfrischung zuvor ein.

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Für die Tofuproduktion kommt nun der wichtigste Schritt, das Koagulieren. So wie Kuhmilch Lab zugesetzt wird, damit aus ihr Käse wird, wird die Sojamilch mit einem Salz oder einer Säure gemischt, damit das Eiweiß in ihr gerinnt. Die Wahl des Stoffs beeinflusst das Ergebnis: Säure sorgt für eine gröbere, körnigere Tofukonsistenz, Salz macht ihn weicher und geschmeidiger. Traditionell wird dafür Nigari verwendet, eine Salz-Mineralmischung, die aus Meerwasser destilliert wird. Heutzutage kommt eher Gipspulver zum Einsatz.

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Was genau das Jung Wo verwendet, hätte der Tofumeister mir zwar verraten, ich habe es aber leider partout nicht verstanden. Der Tofukonsistenz nach ist es aber wohl auf der Salzseite angesiedelt. Das Pulver wird jedenfalls in Wasser aufgelöst und anschließend mit der Milch vermischt: Dazu kippt der Tofumeister die heiße, abgeseihte Sojamilch in einem kräftigen Schwall in die Seidentofu-Endlagerbehälter (hier eine Tonamphore), während eine Assistentin die gesalzene Flüssigkeit dazu kippt. Die Wucht der ineinander schwappenden Flüssigkeiten sorgt für eine gute Vermischung, das schwere Gefäß dafür, dass sich die Milch danach nicht mehr bewegt - sonst gelingt die Gerinnung nicht.

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Geht alles gut, wird aus der Flüssigkeit ziemlich schnell ein delikater Pudding. Nach nur wenigen Minuten kann bereits der heiße, frische Dou Hua abgeschöpft werden. Für die Produktion von festem Tofu wird die Sojamilch nach dem Erhitzen nicht nochmals gefiltert, sondern gleich mit Salz versetzt.

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Der Tofumeister schneidet den Dou Hua noch in den Pressbehältern in grobe Stücke, die vorn dann nach Gewicht gehandelt werden. Zum Vor-Ort-Essen gibt es etwas härteren, länger gepressten, frisch gebratenen Tofu, entweder pur oder mit Fischpaste verfeinert.

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Das ganze Setting im Jung Wo, inklusive feuerbeheiztem Kupferbecken, erinnert sehr an die Vorarlberger Alp-Käseküche des Arthur Gasser, den ich einmal besuchen durfte. Tofu und Käse machen ähneln sich, und auch aus Milch lässt sich "Tofu" produzieren. Hier etwa durfte ich einen ganz außergewöhnlich guten Seidentofu aus Büffelmilch genießen, mit schwarzer Yunnan-Trüffel und Shrimpssauce verfeinert. 

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Weil nicht jeder eine Steinmühle und einen Kupferkessel zu Hause hat, ist Milchtofu eine gute Alternative, um trotz mangelnder Ausrüstung in den Genuss einer ähnlichen Konsistenz, wenn auch einen sehr anderen Geschmack wie Dou Hua zu kommen. In China beliebt ist etwa die schnell gemachte "Ingwermilch" - hier wird gut erklärt, wies geht. Wen das Bohnenmahlen nicht schreckt oder wer einfach Sojamilch kauft, der liest zum Beispiel das hier und versucht sich am Original. Gutes Gelingen. (Tobias Müller, derStandard.at, 4.8.2013)

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