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Alte gebrechliche Menschen vereinsamen häufig, der regelmäßige Besuch von Betreuungspersonen ist oft der einzige Kontakt zur Außenwelt.

Foto: APA/Patrick Pleul

Kati Berger steigt aus ihrem Auto und zündet die Rakete. Das heißt, sie drückt das kleine Raketen-Symbol auf ihrem Smartphone - was den Beginn des Besuchs bei ihrer nächsten Klientin markiert. Frau Sacco ist an der Reihe, 89 und Diabetikerin. Dreimal täglich kommt Berger oder eine Kollegin vom Hilfswerk Niederösterreich in das Haus in Eichgraben, um ihr eine Insulinspritze zu geben. Frau Sacco liegt an diesem Morgen noch im Bett. Es war keine gute Nacht, auf dem Weg zur Toilette ist sie hingefallen. "Es ist mir peinlich, wenn ich nicht mehr so kann, wie ich will", sagt sie.

Ihr Lebensgefährte, ebenfalls an die 90, brüht in der Küche Filterkaffee, während Kati Berger der Dame mit dem schulterlangen grauen Haar beim Waschen und Anziehen hilft. Am Esstisch lehnt eine Postkarte aus Kreta: ein steinaltes Ehepaar, das grinsend auf einem Esel sitzt. "Die Karte hat Kati aus ihrem Urlaub geschickt", sagt Saccos Sohn Gerhard, der zu Besuch ist. Und fügt hinzu: "Wir haben schon ein sehr persönliches Verhältnis."

Die mobile Krankenschwester ist so etwas wie ein Familienmitglied - und das mit Leidenschaft. Für sie seien die Alten wie "lebendige Bücher", erklärt Berger im Auto, auf dem Weg zur nächsten Station. Als sie 1992 von Bratislava nach Wien kam, war sie Säuglings- und Kinderkrankenschwester. Zuerst war es "ein Schock", als sie dem berüchtigten Lainzer Geriatriezentrum (heute Krankenhaus Hietzing) zugeteilt wurde. Dann freundete sie sich an mit den alten Menschen, die sie pflegte. "Sie haben mir Deutsch gelernt", sagt sie.

"Abgöttische" Liebe im Wachkoma

Nach zehn Jahren in Lainz und elf Jahren in der mobilen Pflege hat Berger "alles erlebt". Überfordertes Personal, Massenabfertigung, unwürdige Verhältnisse - aber auch eine ganze Menge sehr berührender Geschichten. Eine davon ist die von Fritz Hollergschwandtner und seiner Lebensgefährtin Ingrid Alavi. Vor drei Jahren erlitt Alavi bei der Operation eines Aneurysmas eine Gehirnblutung. Seitdem ist die Mittfünfzigerin im Wachkoma. In Hochstraß, auf einem Hügel hoch über dem Wienerwald, liegt sie im Wohnzimmer ihres einstöckigen Häuschens, über dem Krankenhausbett ein verblasstes Marienbild.

Sie kann sich nicht bewegen, doch ihr linkes Auge ist klar und wach, folgt dem Geschehen. "Sie versteht komplett. Wenn ich sie etwas frage, antwortet sie. Wir kommunizieren mit den Augen", sagt Hollergschwandtner, ein Bulle von einem Mann mit einem lauten Organ und einer bemerkenswert direkten Art. Früher war er Berufschauffeur. Seit dem Unglück hegt und pflegt er seine Partnerin - 24 Stunden, jeden Tag. Fast ein Jahr lang musste er kämpfen, bis er sie mit nach Hause nehmen durfte. "Niemand hat mir das zugetraut. Aber ich habe von Anfang an im Spital mitgeholfen und alles gelernt." Jetzt weicht er ihr kaum von der Seite, füttert sie, wickelt sie, steht jede Nacht zweimal auf, um sie umzubetten. "Ich liebe sie abgöttisch", erklärt er. "Nie im Leben lade ich sie in einem Heim ab, da fährt die Eisenbahn drüber."

Behindertenauto unleistbar

Was seine Fürsorge bewirkt, sieht man am lebendigen Blick von Ingrid Alavi, wenn ihr Partner ihr einen Kuss auf die Wange gibt. "Ihr Zustand hat sich verbessert", bestätigt Kati Berger, die sie seit nunmehr zwei Jahren betreut. "Die Muskeln werden immer lockerer. Sie lacht manchmal, und sie hat sogar schon geweint." Hollergschwandtner selbst findet in Berger und ihren Kolleginnen vom Hilfswerk, die jeden Morgen vorbeikommen, vor allem jemanden zum Reden. Gemeinsam wechseln sie Alavis Windel, ziehen ihr Hose, T-Shirt und Schuhe an und legen sie auf ein Netz, mit dem sie per Hebelift in den Rollstuhl gehoben wird.

Währenddessen schimpft Hollergschwandtner: über die Willkür der Behörden, die ihn zwei Monate auf einen Behindertenausweis warten ließen, über grobe Sanitäter, überfordertes Heimpersonal, über die Krankenkasse, mit der er um jeden Cent für die teuren Geräte und Therapien streiten muss. Er bekommt kein Geld für seine Leistung, beide müssen mit Alavis Pension und Pflegegeld auskommen. Es fehlt an allen Ecken und Enden.

"Ich möchte ein Behindertenauto kaufen, aber das ist unleistbar", sagt Hollergschwandtner. Bis auf weiteres muss ein Ausflug auf die selbstgezimmerte Veranda reichen. Zweimal am Tag hievt er Alavi in den Rollstuhl und schiebt sie auf die "Bushaltestelle", wie er die Terrasse nennt. Und wartet auf bessere Zeiten - und den nächsten Besuch von Berger, die schon ihre nächste Station ansteuert. (Karin Kirchmayr, DER STANDARD, 14.8.2013)