Bild: Outlast

Foto: Screenshot
Foto: Screenshot

Bild: Amnesia - A Machine for Pigs

Foto: Screenshot
Foto: Screenshot

Finstere Gänge, markerschütternde Schreie und haarsträubendes Grauen, das uns nur mehr bei Licht schlafen lässt: Horrorfreunde hatten es in den letzten Jahren nicht schwer, sich vor den elektronischen Spielgeräten zu fürchten. Allerdings nicht unbedingt im Mainstream, wie Kollege Wilhelm heuer im Februar zu Recht beklagte - im Hochglanzbereich opferte die Branche ihre ehemaligen Horror-Aushängeschilder wie die "Dead Space"- und die "Resident Evil"-Reihe zunehmend der Action samt uninspiriertem Splatter. Der Irrtum, die ehemaligen Gruselschocker würden sich besser verkaufen, wenn sie nur mehr die Käufer von "Call of Duty" und "Gears of War" ansprechen würden, hat letztlich nicht nur zum Niedergang der "Dead Space"-Franchise, sondern zum Verschwinden des Horrors aus dem AAA-Segment insgesamt geführt.

Das macht aber gar nichts, denn die Freunde des gepflegten Schreckens konnten sich umso mehr über eine wahre Renaissance an Horrorperlen aus dem Indie-Bereich freuen - die kleine Form kurzer, aber umso furchterregenderer Indie-Horror-Titel hat wieder und wieder unter Beweis gestellt, dass es nicht unbedingt Schocksplatter und große Knarren braucht, um im Spieler wahre Angst hervorzurufen: Der phänomenale Erfolg des Freeware-Spiels "Slender" etwa spricht für sich. Aktuell stehen gleich zwei hochkarätige Indie-Schocker zum Download bereit - und eines davon ist der legitime Erbe des vielleicht gruseligsten Spiels aller Zeiten.

Video: Outlast

Ein brandneuer Anwärter auf den Indie-Horrorthron lehrt Spieler aktuell das Fürchten: Mit "Outlast" (Windows, 18,99 Euro) geben vier kanadische Ubisoft-Industrieveteranen ihr Indie-Debüt und beweisen, dass richtiger Horror im Spiel ganz auf Knarren verzichten kann. In der Gestalt eines nur mit Kamera bewaffneten Reporters durchqueren wir - klassisch, klassisch - nachts ein nur scheinbar verlassenes Irrenhaus, in dem Grauenhaftes geschehen ist - und noch immer geschieht. Die Albtraumgestalten verstümmelter Patienten und ihrer nicht minder wahnsinnigen Betreuer machen die Bewegung durch die dunklen, blutbespritzten Gänge zur Nervenprobe, denn außer Weglaufen und unter Betten oder in Kästen Verstecken haben wir keine Handlungsmöglichkeiten.

Nachtsichtmodus

Nett: Unser Camcorder hat einen praktischen Nachtsichtmodus, doch der frisst Batterien, die wir zum Glück überall im Horrorhaus finden können. Am furchterregendsten ist der Horrortrip, wenn wir uns an den unberechenbaren und unheimlichen Insassen der Horroranstalt vorbeischleichen oder aber in halsbrecherischen Sprints vor selbigen davonlaufen müssen. "Outlast" spielt bravourös mit dem Schrecken, keine Frage: Spieler mit schwachem Nervenkostüm sollten sich angesichts der häufigen Jump-Scares und der monströsen und gewalttätigen Gegnerschar eher fernhalten.

Trotzdem, so viel muss bedauernd festgestellt werden, macht sich auf Dauer Routine breit: Trotz nur vier Stunden Spieldauer hat "Outlast" schon vor Ende des Albtraums seine Tricks zur Genüge demonstriert - die unvermeidliche Abhärtung gegenüber zu viel vom Selben ist halt ein Grundproblem des Horrorgenres. Freunde des brachialen Schreckens der Marke Splattergeisterbahn werden sich mit "Outlast" dennoch amüsieren.

Video: Amnesia - A Machine for Pigs

"Amnesia" kehrt zurück

Wer unter Horror nicht nur die maximale Menge, Blut, Schock und Beuschl versteht, sei auf die subtilere Handschrift eines zweiten Indie-Horrorspiels verwiesen, das ebenso gerade veröffentlicht wurde: Mit dem soeben erschienenen "Amnesia - A Machine for Pigs" (Windows, Mac, Linux, 15,99 Euro) kehrt nicht nur das vielleicht furchterregendste Horrorspiel aller Zeiten zurück auf die Monitore, sondern auch einer der großen Indie-Innovatoren. Kein Geringerer als Dan Pinchbeck, Mastermind hinter dem vieldiskutierten und -prämierten Indie-Klassiker "Dear Esther", hat im Auftrag der schwedischen "Amnesia"-Macher Frictional seine eigene Vision von Horror in die Realität umgesetzt.

Wie im Vorgänger "Amnesia - The Dark Descent", der sich insgesamt 1,4 Millionen Mal verkaufte, versetzt uns das First-Person-Abenteuerspiel in die Vergangenheit, diesmal allerdings ins Jahr 1899 - 60 Jahre nach dem Vorgänger. Der klassische "Gothic horror" des Vorgängers, mit seinem Spukschloss samt Adelsporträts und Wandteppichen, weicht einer industrialisierteren Art des Schreckens: Wie der Untertitel schon andeutet, geht es "Machine for Pigs" nicht "nur" um das Übernatürliche, sondern vielmehr um das Grauen, das mit den unpersönlichen Mordmaschinen der Industrialisierung auf die Welt zukommt.

Pinchbeck und seine Mitarbeiter bei The Chinese Room verstehen es meisterhaft, durch Texte, Stimmungen und die wie immer fantastische Orchestrierung durch Jessica Curry eine komplexe, subtil-bedrohliche Atmosphäre des verunsichernden Grauens aufzubauen, in der die zu Beginn sparsamen, aber mit Fortgang des Spiels immer heftiger werdenden Horrorelemente ihre beeindruckende Wirkung entfalten. Es ist eben das makellose, großartige Sounddesign von Jessica Curry, das "A Machine for Pigs" neben seiner größeren Subtilität von "Outlast" abhebt - mit Kopfhörern gespielt, eröffnen sich durch clevere musikalische Ideen und Atmosphären Abgründe, die weit über das nur Gezeigte hinausgehen.

Subtiler Schrecken vs. Schock und Splatter

Wie in "Outlast" navigiert der Spieler völlig wehrlos durch ein bedrohliches Labyrinth des Schreckens, muss schleichen und weglaufen, um dem Horror in grauenerregender Gestalt zu entrinnen und mal einfachere, mal komplexere Rätsel lösen. Im Unterschied zum Slasher-Horror des Herausforderers "Outlast" setzt "A Machine for Pigs" allerdings auf Atmosphäre, auf Subtilität und den schleichenden Schrecken von Andeutungen und Hinweisen auf die hintergründige, sich langsam entfaltende Story, die in ihrer Monstrosität eindrücklicher wirkt als der Häcksler-Horror im Irrenhaus von "Outlast". Um keine Unklarheiten aufkommen zu lassen: Auch "A Machine for Pigs" spart nicht an Horrormomenten, doch diese setzen weniger auf Schock und Splatter als auf schleichende Angst und nur gelegentliche Adrenalinschübe.

Zwei Horrorspiele, zwei Horrorerfahrungen - und dennoch große Unterschiede. Natürlich erfüllen beide Spiele das Versprechen, vor den Monitoren für Angst und Schrecken zu sorgen, doch die Mittel, der Anspruch und auch die Atmosphäre machen schnell klar, dass hier ganz unterschiedliche Designphilosophien zum Einsatz kommen. Geschmäcker sind auch im Horror verschieden - Freunde des spielerischen Schreckens sollten deshalb am besten ruhig beiden angenehm tiefpreisigen Titeln eine Chance geben, das Fürchten zu lehren.

Wer sich aber nur für einen einzigen der Horrortitel entscheidet, findet in "Outlast" handfeste Horror-Action mit Schockgarantie, in "A Machine for Pigs" hingegen einen würdigen Nachfolger zum vielleicht besten Horrorspiel aller Zeiten - und ein sich langsamer entfaltendes subtiles Grauen, das dafür seine Klauen tiefer in die Gehirne seiner Spieler schlägt. Angenehmes Gruseln! (Rainer Sigl, derStandard.at, 10.9.2013)