Sophie Stockinger als 14-jährige Jasmin. Ihre leibliche Mutter Eva spielt Nina Proll.

Foto: La Banda Film

Jasmin sucht den Kontakt zu ihrer Mutter.

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Katharina Mückstein: "Für mich war diese Welle, als in Österreich endlich Regisseurinnen auftauchten - Jessica Hausner, Barbara Albert -, sehr wichtig."

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Eine Familie sitzt beim gemeinsamen Abendessen und schmiedet Urlaubspläne. Nur bei der 14-jährigen Jasmin will keine Vorfreude aufkommen. Jasmin lebt als Pflegekind in dieser Familie. Ihre leibliche Mutter Eva hat sie lange nicht gesehen, sie kennt sie kaum. Anstatt mit ihrer Pflegefamilie in die Ferien zu fahren, will sie das nun nachholen, auch wenn ihre Annäherungen bei Eva vorerst abprallen.

Die Wiener Regisseurin Katharina Mückstein erzählt in ihrem Debutfilm "Talea" von der Suche nach einer Mutter-Tochter-Beziehung und sich selbst. Der Film mit Sophie Stockinger (Jasmin) und Nina Proll (Eva) feiert diese Woche Österreich-Premiere. dieStandard.at sprach mit der Regisseurin über bröckelnde Idealbilder von Müttern, darüber, was sie in ihrer Zeit an der Filmakademie von ihrem Lehrer Michael Haneke gelernt hat und wie sie mit der tanzenden Nina Proll in der Dorfdisco an eine Blütezeit österreichischer Regisseurinnen erinnern will.  

dieStandard.at: Die 14-jährige Jasmin hat große Sehnsucht, ihre leibliche Mutter näher kennenzulernen, die lange im Gefängnis saß. Wie ist diese Sehnsucht zu erklären? Jasmin scheint doch bei sehr liebevollen Pflegeeltern gelandet zu sein. 

Mückstein: Ich wollte die Pflegefamilie nicht klischiert darstellen. Das sind Menschen, die Kinder mit einer schwierigen Vergangenheit aufnehmen und versuchen, ihnen etwas fürs Leben mitzugeben – das wollte ich nicht trist darstellen.

Die Sehnsucht, etwas über sich selbst herauszufinden, ist in uns eingeschrieben. Egal wie das Umfeld ist, in dem wir leben. Zwar hat diese Pflegefamilie an der Oberfläche etwas anzubieten, aber wenn man in der eigenen Identität eine Leerstelle hat, dann gibt es den Druck loszuziehen, um etwas über sich herauszufinden. Und im Frauwerden ist die Mutter eine wichtige Figur, an der man sich abarbeitet. Das war auch mein persönlicher Anknüpfungspunkt; die Frage, was für eine Frau kann ich werden? Eine Coming-of-Age-Geschichte,  aber eben auch eine Suche nach Entwürfen von Weiblichkeit.

dieStandard.at: Für Jasmins leibliche Mutter Eva stellt sich auch eine identitäre Frage, nämlich inwieweit sie die Mutterrolle übernehmen kann und will.

Mückstein: Ja. Nur weil man ein Kind geboren hat, heißt das noch lange nicht, dass man sich ein Leben lang als Mutter fühlt. Mich hat dieses Zusammenspiel interessiert: das Kind, das eine idealisierte Vorstellung der Mutter hat, auf der einen Seite. Und die Mutter, die erkennt, dass sie dieses Ideal nicht erfüllt, auf der anderen Seite.

Das ist meines Erachtens ein Kern der Emanzipation: dass sich der Wunsch nach einem Ideal nicht  erfüllt - man aber dennoch damit klarkommt und durch die Konfrontationen und Konflikte  gestärkt wird. Es ist nicht immer das Beste, wenn eine Beziehung weiterbesteht. Manchmal reicht es, dass man sich aneinander gerieben hat und dann weitergeht.

dieStandard.at: Der Film hält sich mit Details sehr zurück. Wir erfahren nicht, warum Eva in Haft war oder seit wann Jasmin bei ihrer Pflegefamilie lebt. Warum gibt es so wenig Information?

Mückstein: Ich hatte fast schon einen sportlichen Ehrgeiz, so viel - wie mir scheint - unnötige Information wegzulassen, denn man wird sehr schnell wertend. Ich wollte meine Figuren nicht einer Vorverurteilung preisgegeben. Wenn klar ist, dass die Mutter eine Mörderin oder aber eine Kreditkartenbetrügerin ist, macht das einen riesigen Unterschied, wie ich ihr als Zuschauerin begegne. Ich wollte zeigen, dass man einen Film fast ohne informativen Gehalt erzählen kann. Wenn man mit den Figuren mitlebt und sie mag, reicht das für die ganze Geschichte.

dieStandard.at:  Es gibt eine sehr lange Szene mit Musik, die Jasmin beim Radfahren zeigt. Musik kommt entweder wie in dieser Szene fast Musikclip-artig vor oder gar nicht.

Mückstein: Ich habe bei Michael Haneke studiert und bei ihm gelernt, dass Musik nur vorkommen soll, wenn sie im Bild verursacht wird - jemand spielt Klavier oder schaltet das Radio ein. Dieser Film ist mein erster außerhalb der Filmakademie. Das war für mich auch ein Befreiungsakt, deshalb habe ich mir zugestanden, Musik ganz offensiv und als Stilmittel zu verwenden. Aber Musik im Hintergrund, die manipuliert, leise Streicher - das gibt es bei mir nicht. Ich will die ZuseherInnen nicht von hinten herum einlullen.

dieStandard.at: Der größte Teil von "Talea" spielt im Waldviertel. Diese Bilder erinnern stark an andere Darstellung vom Land in österreichischen Filmen: Pensionen, die ästhetisch in den 70ern, Dorfdiscos, die in den 80ern steckenbleiben, eine einzige Einöde. Ist das nicht ein sehr urbaner Blick auf das Land?

Mückstein: Ich wollte mit dieser Darstellung des Ländlichen wieder versuchen, Konkretes zu vermeiden, also wo wir genau sind, oder einen bestimmten Dialekt bedienen. Für mich war zentral, dass Mutter und Tochter isoliert sind. Aber ja, vielleicht stimmt das schon, dass man von Wien aus alles rundherum als Provinz wahrnimmt.

dieStandard.at: In der besagten Dorfdisco tanzt, wie schon öfter, Nina Proll alias Eva. Das ist als Zitat gemeint, oder?

Mückstein: Natürlich! Es gibt ja den Sager, dass jeder österreichische Film eine Discoszene braucht.

Für mich war diese Welle, als in Österreich endlich Regisseurinnen auftauchten - Jessica Hausner, Barbara Albert -, sehr wichtig. Damals beschloss ich, Filmemacherin zu werden. Zwar konnten wir zu der Zeit nicht wissen, dass das nur eine kurze Welle war. Aber immerhin ist mittlerweile eine filmgeschichtliche Referenz auf diese Zeit der Regisseurinnen mit ihren Filmen möglich. So schließt sich auch ein Kreis, denn Nina Proll hat seit "Nordrand" von Barbara Albert 1999 nicht in so vielen Arthouse-Filmen gespielt. So dachte ich mir: großartig, eine Discoszene mit Nina Proll!

dieStandard.at: Wie sieht es in der Filmakademie mit Nachwuchs-Regisseurinnen aus?

Mückstein: Für die Regieklassen werden oft sehr wenige, manchmal auch gar keine Frauen aufgenommen. Ich weiß aber auch nicht, wie viele sich bewerben. Es gibt an der Filmakademie seit vielen Jahren keine Frau, die ein künstlerisches Fach unterrichtet. Ich bin in sechs Jahren im Fach Regie von keiner einzigen Frau unterrichtet worden.

dieStandard.at: Sie meinten einmal, Sie hätten von Haneke gelernt, dass Filmemachen sehr oft nur ein Handwerk ist, ein Nine-to-five-Job.

Mückstein: Für mich war es eine große Erleichterung, dass Haneke nie über "Musen" oder "Eingebungen" gesprochen hat, sondern dass es vor allem darum geht, konsequent an etwas zu arbeiten. Mir wurde oft vermittelt, dass ich zu pragmatisch sei, um eine Künstlerin sein zu können. Deshalb war es für mich wichtig zu lernen, dass Talent nur eine Voraussetzung ist, aber es vor allem darauf ankommt, dranzubleiben.

dieStandard.at: Sie engagieren sich schon seit längerem bei dem Film-Frauen-Netzwerk FC Gloria.

Mückstein: Es ist sehr bestärkend, die Frauen der Branche kennenzulernen. Hin und wieder muss ich aber dieses feministische Engagement hintanstellen, weil es auch sehr frustrierend ist, sich dauernd mit den strukturellen Problemen zu befassen. Dann muss ich mich wieder mehr um meine Arbeit als Filmemacherin kümmern. (Beate Hausbichler, dieStandard.at, 12.9.2013)