"Keine Rettung, keine Regierungsgelder, kein Nichts." Diese klare Botschaft hat das US-Finanzministerium im September 2008 getrommelt. Das mächtige US-Treasury unter dem ehemaligen Goldman-Sachs-Banker Henry Paulson versuchte eine weitere Rettung eines maroden Geldinstituts abzuwenden.

Denn die öffentliche Meinung hatte sich nach milliardenschweren Stützungen für Investmentbanken wie Bear Stearns oder die Hypothekenkonzerne Fannie Mae und Freddie Mac gedreht, die steigende Arbeitslosenquote machte Bankenrettungen unpopulär. "Wir leben immer noch im Schatten von Lehman", sagte er unlängst gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

Nach einem tagelangen Machtkampf zwischen Washington und der Wall Street meldete am 15. September Lehman Brothers Insolvenz an. Doch innerhalb weniger Tage mussten andere Institutionen gerettet werden, die Angst an den Finanzmärkten nahm massiv zu. Das Versprechen "keine Rettung" wich der Verzweiflung. Im Oktober wurde ein Rettungspaket geschnürt. Mit 700 Milliarden Dollar wurden die Geldinstitute damals gerettet. In Europa kosteten die Bankenhilfen laut der NGO Finance Watch mehr als 1600 Milliarden Euro. Dass die Finankrise immer noch nicht ausgestanden ist, glaubt auch der ehemalige Chef der Europäischen Zentralbank, Jean-Claude Trichet.

Fünf Jahre später stellt sich eine zentrale Frage: Könnte es wieder passieren? In Basel, Brüssel und Washington wurden tausende Seiten an Bankenregeln erlassen, alleine der Dodd-Frank-Act zur Regulierung in den USA kommt auf 2300 Seiten. Die EU-Kommission hat im Juli ihre Pläne für das Bankensystem vorgestellt. Das Ziel ist ambitioniert: Künftig werden die Kosten für Steuerzahler "minimal" sein, verspricht Binnenmarktkommissar Michel Barnier. Dafür sollen die Gläubiger von Banken im Krisenfall zur Kassa gebeten werden und die Zentralbank die Aufsicht übernehmen.

Baustellen: Kapital, Risiken

"Es reicht leider nicht aus", glaubt Jan Pieter Krahnen, Leiter des Zentrums für Finanzstudien (CFS) an der Goethe-Universität in Frankfurt. Er war Mitglied der von der EU-Kommission eingesetzten Expertengruppe, die Vorschläge für einen sicheren Bankensektor gemacht hat. "Die USA und Europa haben viele neue Regeln verabschiedet, um die einzelnen Institute sicherer zu machen." So haben die Geldinstitute heute deutlich dickere Kapitalpolster.


Richard Fuld, der Ex-Chef von Lehman, am Weg zur Anhörung vor dem Finanzausschuss. (Foto: Reuters/Ernst)

Statt nur zwei Prozent schreiben die Aufseher den Geldhäusern nach Basel III knapp viermal so viel Eigenkapital vor. Aber das geht vielen zu wenig weit: John Vickers, der in Großbritannien an der Bankenregulierung mitgearbeitet hat, schlägt noch eine Verdoppelung der Kapitalquoten auf 20 Prozent vor. Auch der Ökonom Martin Hellwig hält Quoten von bis zu 30 Prozent für sinnvoll: "Basel III ist nur ein Basel 2,01."

Krahnen wünscht sich zudem eine Trennung zwischen Investment- und Kundengeschäft, "damit es nicht mehr so leicht zu einem Flächenbrand kommt". In den USA wollte der ehemalige Chef der Zentralbank, Paul Volcker, eine klare Trennung durchsetzen. Doch die "Volcker Rule" soll nur für einige Aktivitäten gelten, nicht mehr fürs gesamte Investmentbanking.

Die neuen Regeln und höheren Kapitalvorschriften haben zudem das Wachstum der globalen Derivatemärkte kaum eindämmen können. Heute sind die Märkte, die die Krise verstärkt haben, so groß wie noch nie. 67.500 Milliarden Dollar an Zins-, Währungs- und sonstigen Derivaten existieren laut der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich aktuell, mehr als doppelt so viel wie noch 2005 und ein neues Rekordhoch. Diese Verträge sind bilateral, "over-the-counter", zwischen Banken abgeschlossen. Wo genau die Risiken liegen, wissen die Aufseher daher oft nicht. Das war eines der Probleme bei Lehman Brothers. Weil die Bank als Vertragspartei ausgefallen ist, folgte nur einen Tag später der Versicherungskonzern AIG in die Pleite.

Auch wenn die Banken heute mehr Kapital halten, könnte es wieder zu einer Panik kommen? Ex-Finanzminister Paulson gab darauf vergangene Woche eine kühle Replik: "Die Antwort, fürchte ich, ist ja." (Lukas Sustala, DER STANDARD, 14./15.9.2013)