Strolz verteidigt geistige Anleihen aus der Industriellenvereinigung: "Ich wüsste nicht, dass ich Mitarbeiter erpressen kann."

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STANDARD: Sie präsentieren sich derart aufgedreht, dass Ihre Etiketten von "Duracellhase" bis "Popeye nach einer Überdosis Spinat" reichen. Was schlucken Sie wirklich?

Matthias Strolz: Den Zaubertrank, in den uns die Wählerinnen und Wähler geschubst haben. Wir sind ja so stark gewachsen, dass uns kein G'wand mehr passt. Hunderte Entscheidungen sind zu treffen, Funktionen zu besetzen - im Vergleich dazu war der Wahlkampf ein Erholungsprogramm. Manche unserer Mitarbeiter sind da in eine Art postnatale Depression verfallen. Die waren völlig ausgepowert.

STANDARD: Bei Ihnen kann man sich das kaum vorstellen.

Strolz: Nach dem einen oder anderen Wahlkampfauftritt, den ich mir auf Youtube angeschaut habe, habe ich mir selbst gedacht: "Da warst du g' scheit geladen!" Aber auch ich bin nicht mehr im Kampfmodus, zumal die Eintrittskarte nun ja gelöst ist. Der Duracellhase nimmt Abschied.

STANDARD: Sie wähnen wie einst die Grünen eine ganze Bürgerbewegung in Ihrem Rücken. Wo liegt Ihr Hainburg?

Strolz: Unser Hainburg ist ein Stück weit der Stillstand. An diesen Gestaden kann man zwar nicht zelten, aber doch einen emotionalen Anker legen. Tausende Menschen sind aus ihren Zusehersesseln aufgestanden, um in den düsteren Ort namens "Politik" Lebendigkeit zu bringen. Sie erkennen an, dass Neos mit Freude Politik macht - das ist das größte Kompliment, das man uns machen kann.

STANDARD: Verdankt Neos den Wahlerfolg nicht vor allem einem einzigen, sehr reichen Bürger, dem Gönner Hans Peter Haselsteiner?

Strolz: Nein! Der HPH war ein Turbo und Glücksfall ...

STANDARD: ... und Geldgeber ...

Strolz: ... doch unser Erfolg ist ein Gesamtkunstwerk. HPH hat bis heute 440.000 Euro einbezahlt, und es wird noch mehr kommen. Aber abseits davon haben wir über eine Million Euro von 2900 Sympathisanten gesammelt. Auch daran zeigt sich die Qualität der Bürgerbewegung. Wir haben deshalb kein Problem mit einer Obergrenze für Spenden von Einzelpersonen, sondern sind sogar dafür. Im Gegenzug sollten Kleinspenden steuerlich absetzbar sein. Parteien zu unterstützen ist keine Schande, sondern soziales Engagement. Nur: Transparent muss es sein.

STANDARD: Viele Neos-Ideen klingen aber nicht nach "Mitte der Bevölkerung", sondern nach beinharter Interessenpolitik - diktiert von der Industriellenvereinigung.

Strolz: Ah so?

STANDARD: Zum Beispiel wollen Sie die Kollektivverträge aufweichen. Machen Sie da Arbeitnehmer unter dem Vorwand der Eigenverantwortung nicht erpressbar?

Strolz: Nein, wir haben da ein anderes Menschenbild. Die Zeiten des Klassenkampfes sind vorbei, das habe ich sowohl in meiner Beratungsfirma als auch bei Neos erlebt: Wir haben eine Ausverhandlungskultur mit flachen Hierarchien. Ich wüsste nicht, dass ich Mitarbeiter erpressen könnte.

STANDARD: Eine Handelsangestellte, zum Beispiel, lebt aber in einer anderen Welt. Wie soll die sich gegen längere Arbeitstage wehren, wenn der Chef mit Kündigung droht?

Strolz: Kollektivverträge sollen ja auf Branchen abgestimmte Mindestvorgaben festsetzen, nur eben nicht in jedem Detail. Die konkrete Arbeitszeit soll in den Betrieben ausverhandelt werden. Dort gibt es viele unterschiedliche Bedürfnisse, die eine Flexibilisierung nötig machen.

STANDARD: Verstehen Sie sich als Turboliberaler?

Strolz: Davon bin ich weit entfernt. Neos ist für die Finanztransaktionssteuer und eine Regulierung des Hochfrequenzhandels. Wir würden nie das Stromnetz oder die Schiene privatisieren. All das zeigt: Wir sind keine ignoranten neoliberalen Säcke.

STANDARD: Na immerhin haben Sie den Staat einen Räuber genannt, als ob dieser nicht im Gegenzug Schulen, Infrastruktur, Sozialleistungen finanzieren würde.

Strolz: Das war etwas zugespitzt. Ich bin dort, wo der Markt versagt, sogar für einen starken Staat. Aber nun, wo der Staat einem Mittelständler bereits bis zu zwei Drittel des Einkommens abknöpft, die Steuerquote weiter zu erhöhen, wäre wirklich räuberisch.

STANDARD: Sie wollen die Steuerquote hingegen bis 2020 auf 40 Prozent des Bruttoinlandsproduktes senken, was 13 Milliarden kostet, und gleichzeitig Schulden um weitere zig Milliarden abbauen. Sorry, aber das ist nicht erfrischend, sondern Populismus alter Schule.

Strolz: Mir ist schon klar, dass das nicht in fünf Jahren geht, aber irgendwann muss man die Reise beginnen. Wir haben ja auch Vorschläge: Pensionen, Förderungen, Föderalismus - da lassen sich Milliarden einsparen. Nehmen Sie die geschützten Werkstätten wie in der Stadt Wien, wo die unkündbaren Bediensteten bei Krankenständen und Frühpensionen top sind. Die Stadt hat offensichtlich zu viel Geld, sonst würde sie dieses nicht so unfair verprassen.

STANDARD: Ohne Beschneidung des Sozialstaates geht Ihre Rechnung nie auf. Ist das auch ein Ziel?

Strolz: Nein. Ich bin ein großer Fan des europäischen Lebensmodells. Asiaten mögen uns als zu demokratisch, Amerikaner als zu langsam belächeln, aber nach zwei gemeinsamen Bieren spürst du fast überall auf unserem Planeten eine insgeheime Sehnsucht nach Europa. Nur: Der Sozialstaat ist nicht zukunftsträchtig, wenn wir ihn seit 50 Jahren auf Pump finanzieren. Bitte mich nicht dafür geißeln! Ich bin nicht die Botschaft, sondern nur der Überbringer.

STANDARD: Laut Programm will Neos die Bildungsausgaben einfrieren. Wie kommen Sie trotz Jugendarbeitslosigkeit und Bildungsschwächen auf diese Idee?

Strolz: Das wollen wir nicht über alle Bereiche. Die Bildung ist sogar das einzige Feld, in das wir investieren wollen.

STANDARD: Da steht in Ihrem Positionspapier aber anderes.

Strolz: Dann müssen wir in unseren Aussagen noch konsistenter werden. Tatsächlich würden wir in Frühkindpädagogik, Kindergärten und Volksschulen investieren. Ich will nur die Fantasie nehmen, dass die Lösung immer mehr Geld sein muss. Österreich gibt ja vergleichsweise viel für die Schulen aus. Es gilt, die Verwaltung abzuschlanken, damit mehr Geld bei den Schülern ankommt.

STANDARD: Noch eine Unklarheit aus dem Parteiprogramm: Ist Neos nun für eine Homo-Ehe oder nicht?

Strolz: Ich bin dafür und in der Substanz gilt das auch für die ganze Bewegung. Übrig bleibt nur die Etikettenfrage, ob man das Ehe nennt oder nicht. Klar ist, wir wollen völlige Gleichberechtigung.

STANDARD: Neos fordert eine Kürzung der Parteienförderung um 75 Prozent, nimmt nun aber selbst die ganze Summe an. Halten Sie das für glaubwürdig?

Strolz: Kanzler Faymann fordert auch höhere Steuern, aber ich habe noch nicht gehört, dass er freiwillig mehr zahlt. Tatsache ist: Es gibt nur die Möglichkeit, die Parteienförderung ganz oder gar nicht zu beantragen. Letzteres ist uns unmöglich, weil wir Darlehen zurückzahlen müssen.

STANDARD: Sie sind einmal für fünf Tage zur Selbstfindung im Wienerwald abgetaucht. Was haben Sie vor, um nun in der Politik nicht die Bodenhaftung zu verlieren?

Strolz: Schwitzyoga und Joggen - und ich habe die Sehnsucht, wieder einmal eine ganze Woche lang zu fasten. Das wäre optimal, um aus der Tretmühle herauszukommen. Fasten bedeutet Loslassen - und das muss man tun, um neue Dinge anpacken zu können. (Gerald John, DER STANDARD, 11.10.2013)