Bestimmte Variationen im Erbgut erhöhen das Risiko, an einem seltenen Knochenmarkkrebs, dem sogenannten Multiplem Myelom, zu erkranken. - Zu diesem Schluss kommen Wissenschaftler aus Heidelberg und London, die das Erbgut von mehr als 4.600 Betroffenen nach charakteristischen Merkmalen durchsucht und dabei vier neue genetische Risikofaktoren entdeckt haben.

Ein solcher Risikofaktor ist eine Variation in einem Abschnitt der Erbinformation (Gen), der beim Alterungsprozess von Zellen eine Rolle spielt. Die genetische Variante könnte gemeinsam mit anderen Faktoren bewirken, dass die Krebszellen sich der Alterung und dem vorgegebenen Zelltod entziehen, vermuten die Forscher. 

Molekulare Entstehung der Krankheit noch unklar

Das Multiple Myelom ist eine bösartige Erkrankung bestimmter Immunzellen - den Plasmazellen - im Knochenmark. Die veränderten Plasmazellen vermehren sich im Knochenmark, stören die Blutbildung und schwächen die Knochensubstanz. - Knochenbrüche, Blutarmut und Anfälligkeit für Infekte sind die Folgen. Die derzeit wirksamste Behandlung ist laut Angaben der Wissenschaftler die Kombination von neuen Medikamenten mit einer Hochdosis-Chemotherapie, gefolgt von einer Transplantation mit patienteneigenen Blutstammzellen. In der Regel kehrt der Krebs jedoch nach einiger Zeit zurück. 

"Die Erbgutanalyse gibt uns wichtige Hinweise auf die molekularen Prozesse innerhalb der Knochenmarkzellen, die bei der Entstehung des Multiplen Myeloms eine Rolle spielen. Wenn wir besser verstehen, wie Myelomzellen funktionieren und welche Eigenschaften sie haben, können wir in Zukunft neue Ansatzpunkte für Medikamente finden", meint Niels Weinhold von der Medizinischen Universitätsklinik Heidelberg.

Bestimmte Varianten im Erbgut treten häufiger auf

Das Forscherteam vermutet, dass die Erkrankung von verschiedenen Veränderungen im Erbgut hervorgerufen wird, die einzeln zwar unkritisch sind, aber ab einer bestimmten Anzahl und in Kombination die Fehlfunktion der Blutzellen verursachen. Um diese Variationen zu finden, verglichen die Wissenschaftler mit Hilfe eines speziellen Analyseverfahrens (genomweite Assoziationsstudie GWAS) das Erbgut (DNS) von 4.692 Multiplem-Myelom-Patienten aus Deutschland und England mit jenem von 10.990 gesunden Menschen. Das gewählte Forschungsdesign basiert auf der Vermutung, dass bestimmte genetische Variationen bei Patienten signifikant häufiger auftreten als bei der Kontrollgruppe.

Die Wissenschaftler identifizierten in der aktuellen Studie vier solcher kritischen Variationen im Erbgut. In den DNS-Abschnitten, die diese Veränderung tragen, sind die genetischen Baupläne für eine ganze Reihe von Proteinen enthalten. Darunter befindet sich das Gen TERC, das die Länge der Schutzkappen am Ende größerer Erbguteinheiten, sogenannte Telomere, reguliert.

Diese Schutzkappen werden bei jeder Zellteilung verkürzt. Sind sie abgetragen, büßt die Zelle bei der Teilung Stücke ihrer Erbinformation ein - sie altert und stirbt schließlich ab. Wird TERC außerplanmäßig aktiviert, wird dieser Prozess verlangsamt beziehungsweise rückgängig gemacht. Die Forscher hoffen nun, dass die entdeckte Variation im Erbgut diesen Regulationsmechanismus in den Tumorzellen beeinflussen könnte. Welche Auswirkungen die genetischen Variationen konkret haben, muss allerdings in weiteren Untersuchungen geklärt werden, betonen die Wissenschaftler. (red, derStandard.at, 16.10.2013)