Die großen moosgrünen Kieselsteine ziehen weite Kreise. Als ob Designerin Kati Meyer-Brühl sie in einen echten Teich geworfen hätte. Genauer betrachtet war das bei der Präsentation des "Mosspink"-Sofas sogar der Fall. Verharren wir also noch kurz am Schotterstrand. Der stille Teich, hier steht er für Emotion und Tiefgang im Design. Das Ding, das ihn bewegt: ein Sofa, das wie ein weichgespülter Kieselstein aussieht. Nicht wirklich eckig, nicht wirklich rund. Also durchaus vertraut. Eine Form, die man in verkleinerter Ausgabe wohl gern in die Hand legen mag. Da wird doch tatsächlich ein Sofa zum Gefühl.

Schon länger macht das Prinzip Kieselstein als Speerspitze geomorpher Formen Karriere. Als Polstermöbel und als Couchtisch taucht es auf, liegt als Outdoor-Leuchte im Garten herum. Wobei: Es geht in diesem Falle nicht bloß um die Form. Wer ein von Fließwasser scheinbar weichgespültes Objekt vor sich sieht, der steigt auch in den fiktiven Fluss, genießt so das Fußbad einer erweiterten Produktsemantik. Ein positives, sauberes Bild verbindet sich damit und bedient die Sehnsucht nach der bedrängten Natur. Design by Bergbach – gut fühlt sich das allemal an. Wasser schmirgelt störende Kanten zurecht, schafft handschmeichlerische Ästhetik, macht auf pure Wohnzimmer-Wellness. Das klingt ein wenig nach Adalbert Stifter und Retro-Romantik. Ganz nah dran will organisches Design sein. Bloß: Wie viel Etikettenschwindel verbindet sich eigentlich damit?

Das von Kieselsteinen inspirierte Sofa "Mosspink".

Organisches Design

Wirklich neu sind solche Überlegungen nicht – aber typisch für die unterschiedlichen Motive, die Kieselstein & Co beflügeln. Organisches Design hat dabei einen weiten Weg zurückgelegt. Mal war es dominanter unterwegs, formte Moden. Mal stand es für rundgelutschte Beliebigkeit, für Jugendstil-Schlingwerk an Fassaden, nicht selten für neu entdeckte Freiheiten. Kurzer Blick in den Rückspiegel der Design-Geschichte: Streamline-Kurven tauchen darin auf.

Plötzlich zeigt der frische Fahrtwind, wonach sich die Dinge zu richten haben und was mobil gewordene Menschen fasziniert. Später überholen Verner Panton, Luigi Colani und die Pop-Ära: Natur wird plötzlich mehr von innen heraus dekonstruiert denn imitiert, der Kunststofftechniker macht's möglich. Er erlaubt weiche, fließende Konturen, thermoplastische Eiersessel, einen finnischen Tomato-Chair. Auch das lief im Rahmen der Dekaden unter Organic Design.

Federn und Knochen

Seit einigen Jahren präsentiert sich der Stil, der abwechselnd unter die Haut geht und dann wieder eher auf die Nerven, als Nahtstelle zu neuen Technologien. Der Hype um die Bionik-Mode fällt in diese Kategorie – ein Begriff, der sich aus den Worten Biologie und Technik zusammensetzt und der aus der Biologie abgeleitete Prinzipien vor allem in die Welt des Technikdesigns umsetzt. Das hatte freilich bereits Leonardo da Vinci versucht, indem er auf Vogel- und Fledermausschwingen basierende Schwingenflugzeuge konstruierte. Ein halbes Jahrtausend später machte Otto Lilienthal weiter: Die Bedeutung der leicht gewölbten Flügelfläche für den Auftrieb half dem Flugpionier, die persönliche Flugweite auf 80 Meter zu steigern.

Was der Deutsche mithilfe von Vogelfedern und -knöchelchen ertüftelte, war einem anderen großen Geist der Menschheitsgeschichte im Prinzip schon um 1600 klar: "Die Natur lässt sich nicht betrügen", postulierte Galileo Galilei damals und sprach so das Verhältnis zwischen Technik und Natur an, das erst im Laufe der Jahrhunderte zu einem harmonischen Zusammenspiel zusammenfinden sollte. Das irrige Konzept der Mechanik als einer Kunst, die die Natur zu überlisten habe, wich spätestens seit der Renaissance der Nuova Scienza, dem "Lernen aus dem großen Buche der Natur". Daran hat sich auch heute, nach Newton, Einstein und Cyberspace, nichts Wesentliches geändert.

Ganz im Gegenteil: Die im Zusammenhang mit verbesserten Computerprogrammen entwickelten, häufig amöbenhaft anmutenden, sonderbar fließenden Gebilde der avantgardistischen Fluid Architecture oder der organische Entwurfsstil des Wallisers Ross Lovegrove stehen dafür ein. Das gilt schon gar für Bionik-Studien zur optimierten hydrodynamischen Körperform von Pinguinen und der daraus abgeleiteten perfekten Spindelform, die bei Großraumflugzeugen und Unterwasserfahrzeugen eine drastische Verringerung des Treibstoffverbrauchs bei größerem Fassungsvermögen verspricht.

Die Außenform des "Mycelium Chair" stammt aus dem 3-D-Drucker. Festigkeit verleiht ihm ein innerhalb der Struktur wachsender Pilz.

Mama Natur

Auch für Statiker und Konstrukteure fällt jede Menge Erkenntnis ab: Der Aufbau von Knochen und Bäumen fließt heute in den Hoch- und Leichtbau ein. Seifenblasen dienen als Vorbild für Spanndächer, durchgesägte Termitenbauten lehren das Know-how der passiven Lüftungssysteme. Dazu kommt der prinzipiell optimierende Arbeitsansatz von Mama Natur: Stets sind die Konstruktionen von Grashalmen und Lauftierknochen durch die konstante Oberflächenspannung so leicht wie möglich und zugleich so fest wie nötig. Sollbruchstellen und Materialverschwendung sucht man bei diesem Design vergebens – und lernt stattdessen daraus.

Beim Interior Design wird diese auf funktionale Kriterien reduzierte Ausrichtung allerdings nicht ganz so exakt verfolgt. Sie überlagert sich häufig mit emotionalen Aspekten und mit organisch anmutenden Klischees. Selbsthaftende Textilien, die auf Studien von Gecko-Saugnäpfen aufbauen, und nach dem Vorbild der Klettfrüchte entwickelte Klettverschlüsse fallen zwar nicht in diese Kategorie. Das Prinzip Astgabel, das etwa Philippe Starck für den Entwurf seiner Armatur "Organic" heranzieht, schon eher. Wobei Starcks Astgabel-Optik, mit dem Thema Wassersparen verknüpft, organischer Form und Funktion so zu schöner Deckungsgleichheit verhilft. Und das schon am frühen Morgen.

Sessel aus Pilzen

Das ist freilich alles nichts gegen die Radikalversion, mit der der niederländische Entwerfer Eric Klarenbeek anlässlich der diesjährigen Dutch Design Week aufhorchen lässt. Bei seinem "Mycelium Chair" vermählt sich organisches Design auf ganz besondere Weise mit der großen Zukunftstechnologie des 3-D-Drucks. Der Schlüssel dafür ist das Material. Denn Klarenbeek verwendet für den geprinteten Stuhl keinen Kunststoff, sondern greift auf Lebendmaterialien zurück. Genauer auf eine Mischung aus Wasser, pulverisiertem Stroh und Myzelien, jenen unterirdisch sprießenden fadenförmigen Pilzzellen, die innerhalb der 3-D-geprinteten Möbelstruktur weiterwachsen und dem "Mycelium Chair" ganz allmählich Festigkeit verleihen.

Der ganze Sessel wird aus diesem Mix gedruckt. Es wächst im Inneren und wird immer fester. Die Pilzfäden wachsen so lange, bis sie die gesamte Feuchtigkeit konsumiert haben. Der Designer sagt, man könnte theoretisch ganze Häuser aus diesem Pilz wachsen lassen.

Nach Experimenten mit Lebendkunststoffen und Algen im Badezimmerbereich lässt sich der Schwammerlsessel auch als Metapher fürs robuste Genre des Organic Design lesen. Sie lautet: mal schwammig, mal gut gewachsen. Aber immer so ersprießlich wie das Leben selbst. (Robert Haidinger & Michael Hausenblas, Rondo, DER STANDARD, 8.11.2013)

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